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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ist es umgekehrt. Der Gethaner Bürgermeister, der unsre Ansichten vertritt, ist,
abgesehen von dem über die Parteien hinausragenden Helden, der Einzige, der
sich zusammenhängend über seine Ideen ausspricht, und der niemals Unsinn redet;
jeder Andere hat einen Augenblick, wo ihm, und zwar mit vollem Bewußtsein
des Verfassers, die Bestuuuug ausgeht. Das liegt nicht allein in der Absicht.
Herr v. Radowitz hat erst seit den letzten Jahren den eigentlichen Liberalismus
kennen gelernt; er hat die Gethaner Blätter fleißig gelesen (auch die Grenzboten
haben ihm in einem Punkt, der für sie sehr schmeichelhaft sein kann, da sie uicht
über die diplomatischen Mittel eines Preußischen Ministers der auswärtigen An¬
gelegenheiten zu verfügen haben, vielleicht einige Winke gegeben über den Cha¬
rakter des Kaisers von Nußland), und er hat sich dadurch nicht nur in den Stand
gesetzt, die Ansichten eiues Gothauerö im Zusammenhang darzustellen, sondern er
hat auch die meisten derselben eingesogen. Er bekennt sich offen zur constitu-
tionellen Monarchie, und giebt sein ständisches Princip vollständig und unum-
wunden auf; er stimmt mit der Partei in ihrer Ansicht von der Entwickelung
Deutschlands im Ganzen überein, und weicht nnr hie und da in der Wahl der
Mittel von ihr ab; aber auch da bleibt es zweifelhaft, ob er in den Antworten,
die er den Gothaner Angriffen gegen seine factische Politik entgegensetzt, wirklich
seine abweichende Meinung rechtfertigen, oder nnr Andere schonen will. Wir
fordern jeden Beliebiger auf, welcher Partei er auch augehören mag, das Gespräch
zwischen dem Gethaner und Waldheim, wo von der Politik der letzten Jahre
die Rede ist, zu verfolgen, und sind überzeugt, daß er in allen Punkten den
Vorwürfen des ehrlichen Bürgermeisters beitteten wird, wie sehr er auch in den
Ansichten, die beiden Rednern gemein sind, von ihnen abweichen möge. -- Aus
zwei Gründen glauben wir aber, daß unsre Partei die Apologie des Herrn von
Radvwitz nicht anerkennen wird. Einmal hat er seine Befähigung zur Leitung
der Staatsangelegenheiten nicht bewiesen. Der einzige Grund, deu er für sein
unentschlossenes Zaudern im Moment der Krisis anführte, daß er nämlich als
persönlicher Freund und schwärmerischer Anhänger des Königs dem bestimm? aus¬
gesprochenen Willen Desselben nicht entgegentreten durfte, wird von ihm selbst auf
das schlagendste widerlegt: dann hätte er nämlich nicht Minister werden sollen.--
Abgesehen von diesem Mangel eines entschiedenen Willens, fällt ihm noch ein
Zweites zur Last. Von den Staatsmännern, die wir für befähigt zur Ausführung
unsrer Ideen halten sollen, müssen wir doch erwarten, daß sie wenigstens einiger¬
maßen klarer und tiefer in die Lage der Dinge blicken, als wir, ihre Anhänger.
Das ist hier so wenig der Fall, daß wir uns häufig eiues gelinden Kvpfschnttelns
nicht enthalten können.

Ein zweiter Umstand, der uns bedenklich machen muß, ist die Hoffnung, die
er noch immer hegt, sich mit seinen alten Freunden, mit seineu Kollegen vom po¬
litischen Wochenblatt und den Ultramontanen zu verständigen. Allerdings ist
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ist es umgekehrt. Der Gethaner Bürgermeister, der unsre Ansichten vertritt, ist,
abgesehen von dem über die Parteien hinausragenden Helden, der Einzige, der
sich zusammenhängend über seine Ideen ausspricht, und der niemals Unsinn redet;
jeder Andere hat einen Augenblick, wo ihm, und zwar mit vollem Bewußtsein
des Verfassers, die Bestuuuug ausgeht. Das liegt nicht allein in der Absicht.
Herr v. Radowitz hat erst seit den letzten Jahren den eigentlichen Liberalismus
kennen gelernt; er hat die Gethaner Blätter fleißig gelesen (auch die Grenzboten
haben ihm in einem Punkt, der für sie sehr schmeichelhaft sein kann, da sie uicht
über die diplomatischen Mittel eines Preußischen Ministers der auswärtigen An¬
gelegenheiten zu verfügen haben, vielleicht einige Winke gegeben über den Cha¬
rakter des Kaisers von Nußland), und er hat sich dadurch nicht nur in den Stand
gesetzt, die Ansichten eiues Gothauerö im Zusammenhang darzustellen, sondern er
hat auch die meisten derselben eingesogen. Er bekennt sich offen zur constitu-
tionellen Monarchie, und giebt sein ständisches Princip vollständig und unum-
wunden auf; er stimmt mit der Partei in ihrer Ansicht von der Entwickelung
Deutschlands im Ganzen überein, und weicht nnr hie und da in der Wahl der
Mittel von ihr ab; aber auch da bleibt es zweifelhaft, ob er in den Antworten,
die er den Gothaner Angriffen gegen seine factische Politik entgegensetzt, wirklich
seine abweichende Meinung rechtfertigen, oder nnr Andere schonen will. Wir
fordern jeden Beliebiger auf, welcher Partei er auch augehören mag, das Gespräch
zwischen dem Gethaner und Waldheim, wo von der Politik der letzten Jahre
die Rede ist, zu verfolgen, und sind überzeugt, daß er in allen Punkten den
Vorwürfen des ehrlichen Bürgermeisters beitteten wird, wie sehr er auch in den
Ansichten, die beiden Rednern gemein sind, von ihnen abweichen möge. — Aus
zwei Gründen glauben wir aber, daß unsre Partei die Apologie des Herrn von
Radvwitz nicht anerkennen wird. Einmal hat er seine Befähigung zur Leitung
der Staatsangelegenheiten nicht bewiesen. Der einzige Grund, deu er für sein
unentschlossenes Zaudern im Moment der Krisis anführte, daß er nämlich als
persönlicher Freund und schwärmerischer Anhänger des Königs dem bestimm? aus¬
gesprochenen Willen Desselben nicht entgegentreten durfte, wird von ihm selbst auf
das schlagendste widerlegt: dann hätte er nämlich nicht Minister werden sollen.—
Abgesehen von diesem Mangel eines entschiedenen Willens, fällt ihm noch ein
Zweites zur Last. Von den Staatsmännern, die wir für befähigt zur Ausführung
unsrer Ideen halten sollen, müssen wir doch erwarten, daß sie wenigstens einiger¬
maßen klarer und tiefer in die Lage der Dinge blicken, als wir, ihre Anhänger.
Das ist hier so wenig der Fall, daß wir uns häufig eiues gelinden Kvpfschnttelns
nicht enthalten können.

Ein zweiter Umstand, der uns bedenklich machen muß, ist die Hoffnung, die
er noch immer hegt, sich mit seinen alten Freunden, mit seineu Kollegen vom po¬
litischen Wochenblatt und den Ultramontanen zu verständigen. Allerdings ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/67>, abgerufen am 02.07.2024.