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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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das Lcihgcschäft fuhren helfen. Der Bibliothekar, ein der Bequemlichkeit mehr
als der Thätigkeit ergebener Mann, findet den Vorschlag annehmbar, und der
mündliche Contract ist geschlossen. Zwar hatte der Herr Principal zuweilen sel¬
ber Nichts zu essen, und konnte dann auch gegen seinen Gehilfen die Bedingungen
nicht einhalten. Indessen so genau nahm es Keiner von Beiden. Man aß,
wenn mau Etwas hatte, und hatte man Nichts, so fand man sich mit gutem Hu¬
mor in die Nothwendigkeit, das Essen zu unterlassen. Befand sich Weiß doch
dabei unter einer Menge von Büchern, die seinen Kenntnißdrang beschäftigten,
seine Einbildungskraft eben so reizten als befriedigten, konnte er doch seinem immer
lebhafter erwachenden Hange zur dramatischen Darstellung aus dem nnn hänfiger
benutzten Liebhabertheater zwischen den Dachsparren jenes Privathauses volles
Genüge thun. Durch Bekanntschaft mit den Mitgliedern des Stadttheaters ge¬
lang es ihm endlich, eine kleine Anstellung bei der öffentlichen Bühne zu erhal¬
ten, und so betrat er als Meister Steinmetz in Schiller's Tell zum ersten Mal
den Schauplatz seines Wirkens.

Die Truppe, welche damals auf dem Magdeburger Stadttheater spielte, be¬
reiste zugleich die Umgegend, und besuchte bald nach der Anstellung des jungen
Weiß die Stadt Burg. Natürlich mußte der Neuling sich in Alles fügen und
Alles übernehmen, was ihm zugewiesen wurde, eine Bereitwilligkeit, die er übrigens
zu jeder Zeit seines Lebens auch ungezwungen und freudig übte. Stets war er
ein abgesagter Feind jenes schauspielerischen Hochmuths, der sich durch die Ueber¬
weisung untergeordneter Rollen in seiner Würde und in seinem Range verletzt
glaubt. Die Eitelkeit und Selbstüberschätzung unsrer modernen Thcatergrößen,
welche lieber zugeben, daß ein dramatisches Kunstwerk unvortheilhaft dargestellt
werde, als daß sie ihre gesalbte Person zu Rollen zweiter und dritter Ordnung
herbeilasse", galt ihm stets nur als eine beklagenswerthe Erfahrung, die er leider
an Andern zu machen gezwungen war. Wem, wie ihm, die Kunst hoher steht
als das Eiuzeiinlcresse des persönlichen Glänzens, der weiß, daß nicht eine ein¬
zelne Darstellung, sondern das künstlerische Zusammenspiel das schauspielerische
Kunstwerk ausmacht und daß Der echten Kunstsinn besitzt, der stets bereit ist,
zu diesem höchsten und eigentlichen Zwecke der Schauspielkunst seine Kräfte einzu¬
setzen. Sein Talent brach sich übrigens so schnell Bahn, daß er schon drei Mo¬
nate nach seinem ersten Auftreten in dem Orte Schonebeck bei Magdeburg den
Franz Moor mit großem Beifall spielte.

Sechs Jahre blieb Weiß bei dem Stadttheater zu Magdeburg. Innerhalb
dieser Zeit gastirte daselbst Ludwig Devrient und Unzelmann von Berlin, welche
den Beruf des strebsamen jungen Mannes erkannten, und von denen es sich nament-
lich der Erstere angelegen sein ließ, ihn dem trefflichen Director Schmidt in Ham¬
burg zu empfehlen. Zugleich setzte sich Weiß mit Diesem in Briefwechsel und
wurde nach Ablauf jener sechs Jahre bei dem Hamburger Stadttheater engagirt.


das Lcihgcschäft fuhren helfen. Der Bibliothekar, ein der Bequemlichkeit mehr
als der Thätigkeit ergebener Mann, findet den Vorschlag annehmbar, und der
mündliche Contract ist geschlossen. Zwar hatte der Herr Principal zuweilen sel¬
ber Nichts zu essen, und konnte dann auch gegen seinen Gehilfen die Bedingungen
nicht einhalten. Indessen so genau nahm es Keiner von Beiden. Man aß,
wenn mau Etwas hatte, und hatte man Nichts, so fand man sich mit gutem Hu¬
mor in die Nothwendigkeit, das Essen zu unterlassen. Befand sich Weiß doch
dabei unter einer Menge von Büchern, die seinen Kenntnißdrang beschäftigten,
seine Einbildungskraft eben so reizten als befriedigten, konnte er doch seinem immer
lebhafter erwachenden Hange zur dramatischen Darstellung aus dem nnn hänfiger
benutzten Liebhabertheater zwischen den Dachsparren jenes Privathauses volles
Genüge thun. Durch Bekanntschaft mit den Mitgliedern des Stadttheaters ge¬
lang es ihm endlich, eine kleine Anstellung bei der öffentlichen Bühne zu erhal¬
ten, und so betrat er als Meister Steinmetz in Schiller's Tell zum ersten Mal
den Schauplatz seines Wirkens.

Die Truppe, welche damals auf dem Magdeburger Stadttheater spielte, be¬
reiste zugleich die Umgegend, und besuchte bald nach der Anstellung des jungen
Weiß die Stadt Burg. Natürlich mußte der Neuling sich in Alles fügen und
Alles übernehmen, was ihm zugewiesen wurde, eine Bereitwilligkeit, die er übrigens
zu jeder Zeit seines Lebens auch ungezwungen und freudig übte. Stets war er
ein abgesagter Feind jenes schauspielerischen Hochmuths, der sich durch die Ueber¬
weisung untergeordneter Rollen in seiner Würde und in seinem Range verletzt
glaubt. Die Eitelkeit und Selbstüberschätzung unsrer modernen Thcatergrößen,
welche lieber zugeben, daß ein dramatisches Kunstwerk unvortheilhaft dargestellt
werde, als daß sie ihre gesalbte Person zu Rollen zweiter und dritter Ordnung
herbeilasse», galt ihm stets nur als eine beklagenswerthe Erfahrung, die er leider
an Andern zu machen gezwungen war. Wem, wie ihm, die Kunst hoher steht
als das Eiuzeiinlcresse des persönlichen Glänzens, der weiß, daß nicht eine ein¬
zelne Darstellung, sondern das künstlerische Zusammenspiel das schauspielerische
Kunstwerk ausmacht und daß Der echten Kunstsinn besitzt, der stets bereit ist,
zu diesem höchsten und eigentlichen Zwecke der Schauspielkunst seine Kräfte einzu¬
setzen. Sein Talent brach sich übrigens so schnell Bahn, daß er schon drei Mo¬
nate nach seinem ersten Auftreten in dem Orte Schonebeck bei Magdeburg den
Franz Moor mit großem Beifall spielte.

Sechs Jahre blieb Weiß bei dem Stadttheater zu Magdeburg. Innerhalb
dieser Zeit gastirte daselbst Ludwig Devrient und Unzelmann von Berlin, welche
den Beruf des strebsamen jungen Mannes erkannten, und von denen es sich nament-
lich der Erstere angelegen sein ließ, ihn dem trefflichen Director Schmidt in Ham¬
burg zu empfehlen. Zugleich setzte sich Weiß mit Diesem in Briefwechsel und
wurde nach Ablauf jener sechs Jahre bei dem Hamburger Stadttheater engagirt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/60>, abgerufen am 02.07.2024.