Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier befestigte sich sein Ruf als tüchtiger und einsichtsvoller Darsteller im vorzugs¬
weise so genannten Charaktersach, und im Jahre -1823 berief ihn der Graf Brühl
zum Gastspiel nach Berlin.

Mit Frende, aber auch nicht ohne Zagen, folgte Weiß dieser Aufforderung.
Er trat hier in einen Kreis der bewährtesten Meister, vor ein Publicum, das, an die
trefflichsten Kunstleistungen, an ein ausgezeichnetes Ensemble gewöhnt, in Sachen
des Theatergeschmacks damals den Ausschlag geben konnte. Fleck und Jffland
lebten noch in der Erinnerung, Devrient, Wolfs, Lenau, Beschvrt, Uuzelmann,
Rebenstein und Andere bildeten einen seltenen Verein von Künstlern erster Ord¬
nung und reichen Talenten.

, Zu seiner ersten Gastrolle wählte Weiß den Tartüffe, damals "Muffel, der
Scheinheilige" (nach der Bearbeitung von Nicolai), und die gesunde Lebens¬
wahrheit wie die stylvolle nud doch lebhaft uuancirte Feinheit seiner Darstellung
errang den Preis schon am ersten Abend. Das Gastspiel nahm einen außer¬
ordentlich glücklichen Verlauf, Weiß kehrte mit allen Zeichen der Anerkennung
und mit der Aussicht aus Anstellung in Berlin nach Hamburg zurück. Als er
zum zweiten Male in Berlin auftrat, geschah es in der Eigenschaft als engagirtes
Mitglied des Hoftheaters, im August 1826.

Graf Brühl hatte mit seinem Kennerange bald ergründet, daß der eiser¬
volle Ernst, mit welchem Weiß der Kunst ergeben war, seine ruhige und sichere
Beobachtung des Lebens, seiue Bescheidenheit und von allen Mitgliedern anerkannte
richtige Schätzung der Personen und Sachen in ihrem künstlerischen Werthe, daß
alle diese Eigenschaften ihn zu einer leitenden Wirksamkeit befähigten. In solcher
Ueberzeugung trug er dem jungen Manne, als er kaum zwei Jahre dem Berliner
Theater angehörte, die Uebernahme der Regie des Lustspiels an. Weiß war
von diesem Anerbieten in hohem Grade überrascht, nud im ersten Augenblick ge¬
neigt, die ehrenvolle Aufgabe zurückzuweisen, weil er sich derselben nicht gewachsen
glaubte. Mau draug in ihn. Er hatte sich bereits die Achtung und Liebe seiner
College" so ungetheilt erworben, daß alle mit dem gleichen Wunsche ihm entge¬
genkamen. Er schrieb an den alten Meister Schmidt nach Hamburg, und fragte
ihn um Rath. Als Dieser antwortete, er solle nur getrost den Versuch wagen,
entschloß er sich endlich, die Regie zu übernehmen, und er hat sie nun seit 1827,
beinahe fünfundzwanzig Jahre, zum Nutzen der Bühne geführt, hat die wider¬
strebenden Elemente zusammengehalten, oft versöhnt und ausgeglichen.

Weiß ist eiuer von den Veteranen der Schauspielkunst, die sich bis in das
Greisenalter Gesundheit und Frische der Darstellung erhalten, weil sie mit sinni¬
gem Gemüthe nud natürlichem Humor wahre Bescheidenheit verbinden. Ein
Zeugniß dieser Bescheidenheit ist es anch, daß er das fünfundzwanzigste Jahr
seines Wirkens in Berlin vorübergehen ließ, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu
lenken. ES war das Jahr 18S0. Wenn Andere ein solches Ereigniß ausbeuten,


Hier befestigte sich sein Ruf als tüchtiger und einsichtsvoller Darsteller im vorzugs¬
weise so genannten Charaktersach, und im Jahre -1823 berief ihn der Graf Brühl
zum Gastspiel nach Berlin.

Mit Frende, aber auch nicht ohne Zagen, folgte Weiß dieser Aufforderung.
Er trat hier in einen Kreis der bewährtesten Meister, vor ein Publicum, das, an die
trefflichsten Kunstleistungen, an ein ausgezeichnetes Ensemble gewöhnt, in Sachen
des Theatergeschmacks damals den Ausschlag geben konnte. Fleck und Jffland
lebten noch in der Erinnerung, Devrient, Wolfs, Lenau, Beschvrt, Uuzelmann,
Rebenstein und Andere bildeten einen seltenen Verein von Künstlern erster Ord¬
nung und reichen Talenten.

, Zu seiner ersten Gastrolle wählte Weiß den Tartüffe, damals „Muffel, der
Scheinheilige" (nach der Bearbeitung von Nicolai), und die gesunde Lebens¬
wahrheit wie die stylvolle nud doch lebhaft uuancirte Feinheit seiner Darstellung
errang den Preis schon am ersten Abend. Das Gastspiel nahm einen außer¬
ordentlich glücklichen Verlauf, Weiß kehrte mit allen Zeichen der Anerkennung
und mit der Aussicht aus Anstellung in Berlin nach Hamburg zurück. Als er
zum zweiten Male in Berlin auftrat, geschah es in der Eigenschaft als engagirtes
Mitglied des Hoftheaters, im August 1826.

Graf Brühl hatte mit seinem Kennerange bald ergründet, daß der eiser¬
volle Ernst, mit welchem Weiß der Kunst ergeben war, seine ruhige und sichere
Beobachtung des Lebens, seiue Bescheidenheit und von allen Mitgliedern anerkannte
richtige Schätzung der Personen und Sachen in ihrem künstlerischen Werthe, daß
alle diese Eigenschaften ihn zu einer leitenden Wirksamkeit befähigten. In solcher
Ueberzeugung trug er dem jungen Manne, als er kaum zwei Jahre dem Berliner
Theater angehörte, die Uebernahme der Regie des Lustspiels an. Weiß war
von diesem Anerbieten in hohem Grade überrascht, nud im ersten Augenblick ge¬
neigt, die ehrenvolle Aufgabe zurückzuweisen, weil er sich derselben nicht gewachsen
glaubte. Mau draug in ihn. Er hatte sich bereits die Achtung und Liebe seiner
College« so ungetheilt erworben, daß alle mit dem gleichen Wunsche ihm entge¬
genkamen. Er schrieb an den alten Meister Schmidt nach Hamburg, und fragte
ihn um Rath. Als Dieser antwortete, er solle nur getrost den Versuch wagen,
entschloß er sich endlich, die Regie zu übernehmen, und er hat sie nun seit 1827,
beinahe fünfundzwanzig Jahre, zum Nutzen der Bühne geführt, hat die wider¬
strebenden Elemente zusammengehalten, oft versöhnt und ausgeglichen.

Weiß ist eiuer von den Veteranen der Schauspielkunst, die sich bis in das
Greisenalter Gesundheit und Frische der Darstellung erhalten, weil sie mit sinni¬
gem Gemüthe nud natürlichem Humor wahre Bescheidenheit verbinden. Ein
Zeugniß dieser Bescheidenheit ist es anch, daß er das fünfundzwanzigste Jahr
seines Wirkens in Berlin vorübergehen ließ, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu
lenken. ES war das Jahr 18S0. Wenn Andere ein solches Ereigniß ausbeuten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280148"/>
          <p xml:id="ID_150" prev="#ID_149"> Hier befestigte sich sein Ruf als tüchtiger und einsichtsvoller Darsteller im vorzugs¬<lb/>
weise so genannten Charaktersach, und im Jahre -1823 berief ihn der Graf Brühl<lb/>
zum Gastspiel nach Berlin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_151"> Mit Frende, aber auch nicht ohne Zagen, folgte Weiß dieser Aufforderung.<lb/>
Er trat hier in einen Kreis der bewährtesten Meister, vor ein Publicum, das, an die<lb/>
trefflichsten Kunstleistungen, an ein ausgezeichnetes Ensemble gewöhnt, in Sachen<lb/>
des Theatergeschmacks damals den Ausschlag geben konnte. Fleck und Jffland<lb/>
lebten noch in der Erinnerung, Devrient, Wolfs, Lenau, Beschvrt, Uuzelmann,<lb/>
Rebenstein und Andere bildeten einen seltenen Verein von Künstlern erster Ord¬<lb/>
nung und reichen Talenten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_152"> , Zu seiner ersten Gastrolle wählte Weiß den Tartüffe, damals &#x201E;Muffel, der<lb/>
Scheinheilige" (nach der Bearbeitung von Nicolai), und die gesunde Lebens¬<lb/>
wahrheit wie die stylvolle nud doch lebhaft uuancirte Feinheit seiner Darstellung<lb/>
errang den Preis schon am ersten Abend. Das Gastspiel nahm einen außer¬<lb/>
ordentlich glücklichen Verlauf, Weiß kehrte mit allen Zeichen der Anerkennung<lb/>
und mit der Aussicht aus Anstellung in Berlin nach Hamburg zurück. Als er<lb/>
zum zweiten Male in Berlin auftrat, geschah es in der Eigenschaft als engagirtes<lb/>
Mitglied des Hoftheaters, im August 1826.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_153"> Graf Brühl hatte mit seinem Kennerange bald ergründet, daß der eiser¬<lb/>
volle Ernst, mit welchem Weiß der Kunst ergeben war, seine ruhige und sichere<lb/>
Beobachtung des Lebens, seiue Bescheidenheit und von allen Mitgliedern anerkannte<lb/>
richtige Schätzung der Personen und Sachen in ihrem künstlerischen Werthe, daß<lb/>
alle diese Eigenschaften ihn zu einer leitenden Wirksamkeit befähigten. In solcher<lb/>
Ueberzeugung trug er dem jungen Manne, als er kaum zwei Jahre dem Berliner<lb/>
Theater angehörte, die Uebernahme der Regie des Lustspiels an. Weiß war<lb/>
von diesem Anerbieten in hohem Grade überrascht, nud im ersten Augenblick ge¬<lb/>
neigt, die ehrenvolle Aufgabe zurückzuweisen, weil er sich derselben nicht gewachsen<lb/>
glaubte. Mau draug in ihn. Er hatte sich bereits die Achtung und Liebe seiner<lb/>
College« so ungetheilt erworben, daß alle mit dem gleichen Wunsche ihm entge¬<lb/>
genkamen. Er schrieb an den alten Meister Schmidt nach Hamburg, und fragte<lb/>
ihn um Rath. Als Dieser antwortete, er solle nur getrost den Versuch wagen,<lb/>
entschloß er sich endlich, die Regie zu übernehmen, und er hat sie nun seit 1827,<lb/>
beinahe fünfundzwanzig Jahre, zum Nutzen der Bühne geführt, hat die wider¬<lb/>
strebenden Elemente zusammengehalten, oft versöhnt und ausgeglichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_154" next="#ID_155"> Weiß ist eiuer von den Veteranen der Schauspielkunst, die sich bis in das<lb/>
Greisenalter Gesundheit und Frische der Darstellung erhalten, weil sie mit sinni¬<lb/>
gem Gemüthe nud natürlichem Humor wahre Bescheidenheit verbinden. Ein<lb/>
Zeugniß dieser Bescheidenheit ist es anch, daß er das fünfundzwanzigste Jahr<lb/>
seines Wirkens in Berlin vorübergehen ließ, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu<lb/>
lenken. ES war das Jahr 18S0. Wenn Andere ein solches Ereigniß ausbeuten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Hier befestigte sich sein Ruf als tüchtiger und einsichtsvoller Darsteller im vorzugs¬ weise so genannten Charaktersach, und im Jahre -1823 berief ihn der Graf Brühl zum Gastspiel nach Berlin. Mit Frende, aber auch nicht ohne Zagen, folgte Weiß dieser Aufforderung. Er trat hier in einen Kreis der bewährtesten Meister, vor ein Publicum, das, an die trefflichsten Kunstleistungen, an ein ausgezeichnetes Ensemble gewöhnt, in Sachen des Theatergeschmacks damals den Ausschlag geben konnte. Fleck und Jffland lebten noch in der Erinnerung, Devrient, Wolfs, Lenau, Beschvrt, Uuzelmann, Rebenstein und Andere bildeten einen seltenen Verein von Künstlern erster Ord¬ nung und reichen Talenten. , Zu seiner ersten Gastrolle wählte Weiß den Tartüffe, damals „Muffel, der Scheinheilige" (nach der Bearbeitung von Nicolai), und die gesunde Lebens¬ wahrheit wie die stylvolle nud doch lebhaft uuancirte Feinheit seiner Darstellung errang den Preis schon am ersten Abend. Das Gastspiel nahm einen außer¬ ordentlich glücklichen Verlauf, Weiß kehrte mit allen Zeichen der Anerkennung und mit der Aussicht aus Anstellung in Berlin nach Hamburg zurück. Als er zum zweiten Male in Berlin auftrat, geschah es in der Eigenschaft als engagirtes Mitglied des Hoftheaters, im August 1826. Graf Brühl hatte mit seinem Kennerange bald ergründet, daß der eiser¬ volle Ernst, mit welchem Weiß der Kunst ergeben war, seine ruhige und sichere Beobachtung des Lebens, seiue Bescheidenheit und von allen Mitgliedern anerkannte richtige Schätzung der Personen und Sachen in ihrem künstlerischen Werthe, daß alle diese Eigenschaften ihn zu einer leitenden Wirksamkeit befähigten. In solcher Ueberzeugung trug er dem jungen Manne, als er kaum zwei Jahre dem Berliner Theater angehörte, die Uebernahme der Regie des Lustspiels an. Weiß war von diesem Anerbieten in hohem Grade überrascht, nud im ersten Augenblick ge¬ neigt, die ehrenvolle Aufgabe zurückzuweisen, weil er sich derselben nicht gewachsen glaubte. Mau draug in ihn. Er hatte sich bereits die Achtung und Liebe seiner College« so ungetheilt erworben, daß alle mit dem gleichen Wunsche ihm entge¬ genkamen. Er schrieb an den alten Meister Schmidt nach Hamburg, und fragte ihn um Rath. Als Dieser antwortete, er solle nur getrost den Versuch wagen, entschloß er sich endlich, die Regie zu übernehmen, und er hat sie nun seit 1827, beinahe fünfundzwanzig Jahre, zum Nutzen der Bühne geführt, hat die wider¬ strebenden Elemente zusammengehalten, oft versöhnt und ausgeglichen. Weiß ist eiuer von den Veteranen der Schauspielkunst, die sich bis in das Greisenalter Gesundheit und Frische der Darstellung erhalten, weil sie mit sinni¬ gem Gemüthe nud natürlichem Humor wahre Bescheidenheit verbinden. Ein Zeugniß dieser Bescheidenheit ist es anch, daß er das fünfundzwanzigste Jahr seines Wirkens in Berlin vorübergehen ließ, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. ES war das Jahr 18S0. Wenn Andere ein solches Ereigniß ausbeuten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/61>, abgerufen am 30.06.2024.