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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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wir daher eigentlich nur interessant costümirte Figuren, zu deren innern Motiven
uns der Schlüssel fehlt, und die daher für uns uicht in die Klasse zurechnungs¬
fähiger Wesen gehören. Sie erregen nur lyrische Empfindungen in uns, wie
die Ossianischen Nebelbilder; dramatisch stehen wir in keinem Verhältniß zu ihnen.--
Dagegen ist jener oben erwähnte sinnliche Reiz im hohen Grade angeregt. Die
Geschichten von den Irrfahrten der Indianer, von ihrem wunderbaren Spürsinn,
von der schnellen Combination, mit der sie aus einem umgeknickten Blatt eine
ganze Geschichte ablesen, die Naturschilderungen des Wald- und Steppenbrandes
und der dabei aufgewandten Geistesgegenwart, machen zwar hin und wieder den
Eindruck der Aufschneiderei, aber sie sesseln uns doch so, daß wir dem Dichter auch
gern eine kleine Lüge hingehen lassen. Es ist das übrigens ein Talent, welches
unter den Nachfolgern Coopers am Meisten unserm Landsmann Gerstäcker zu¬
gefallen ist. Seine Schilderungen sind eigentlich noch plastischer und farben¬
reicher, und sie tragen weit mehr das Gepräge der Wahrheit, obgleich er gewiß
eben so aufschneidet. Bei seinen wunderbaren Irrfahrten hat er wahrscheinlich
Gelegenheit gehabt, mehr aus unmittelbarer Anschauung zu berichten.

Ich muß, ehe ich auf die Seeromane eingehe, noch einen Mangel Cooper's
erwähnen, der wieder mit einem Vorzug zusammenhängt. Er ist ein so strenger
Puritaner, daß von geschlechtlichen Verhältnissen bei ihm keine Spur vorkommt.
Das ist allerdings eine Tugend, wenn man ihn z. B. mit Sealsfield vergleicht,
der dem sinnlichen Reiz der Liebe einen allzu großen Raum verstattet, und nicht
selten ius Fieberhafte und Unschöne verfällt, aber es raubt doch nicht mir der
Zeichnung seiner Frauen alles Leben, sondern es läßt auch bei seinen Männern
eine Lücke, die wir nicht ausfüllen können, ohne das Bild, das er uns von ihnen
entwirft, zu stören. Damit soll nicht bezweifelt werden, daß gerade in dieser
Beziehung die puritanische Strenge der Amerikaner etwas sehr Preiswerthes ist.

Die Helden der Seeromane, die Lootsen, die rothen Freibeuter, die
Schmuggler, gleichen in ihrem resignirt heroischen Wesen, in ihrem Rationalis¬
mus und ihrer gelinden Schwärmerei den schon früher besprochenen auf ein Haar.
Der Lootse, in welchem der berühmte Amerikanische Seeheld Paul Jones geschil¬
dert wird, ist eine zweite Auflage des Spions und ein Vorläufer des Bravo;
er ist in dem innerste" Kern seines Charakters eben so wenig deutlich, als diese
Figuren. In den Seeromanen spricht sich überhaupt noch viel klarer aus, was
wir schon von den frühern behauptet haben, daß es Cooper nicht auf die geistige
Entwickelung der Menschen, sondern auf die glänzende Darstellung ihrer mate¬
riellen Thätigkeit ankommt. Die eigentlichen Helden seiner Seeromane sind die
Schiffe, die ein wahrhaft individuelles, charakteristisches und interessantes Leben
gewinnen. Wir interessiren uns für sie, wie die Seeleute, die ihnen angehören,
und wir schätzen die Menschen nur iusoforu, als sie die Bewegung derselben be¬
schleunigen oder hemmen. Die Gemälde von den Seestürmen, von der blitz-


wir daher eigentlich nur interessant costümirte Figuren, zu deren innern Motiven
uns der Schlüssel fehlt, und die daher für uns uicht in die Klasse zurechnungs¬
fähiger Wesen gehören. Sie erregen nur lyrische Empfindungen in uns, wie
die Ossianischen Nebelbilder; dramatisch stehen wir in keinem Verhältniß zu ihnen.—
Dagegen ist jener oben erwähnte sinnliche Reiz im hohen Grade angeregt. Die
Geschichten von den Irrfahrten der Indianer, von ihrem wunderbaren Spürsinn,
von der schnellen Combination, mit der sie aus einem umgeknickten Blatt eine
ganze Geschichte ablesen, die Naturschilderungen des Wald- und Steppenbrandes
und der dabei aufgewandten Geistesgegenwart, machen zwar hin und wieder den
Eindruck der Aufschneiderei, aber sie sesseln uns doch so, daß wir dem Dichter auch
gern eine kleine Lüge hingehen lassen. Es ist das übrigens ein Talent, welches
unter den Nachfolgern Coopers am Meisten unserm Landsmann Gerstäcker zu¬
gefallen ist. Seine Schilderungen sind eigentlich noch plastischer und farben¬
reicher, und sie tragen weit mehr das Gepräge der Wahrheit, obgleich er gewiß
eben so aufschneidet. Bei seinen wunderbaren Irrfahrten hat er wahrscheinlich
Gelegenheit gehabt, mehr aus unmittelbarer Anschauung zu berichten.

Ich muß, ehe ich auf die Seeromane eingehe, noch einen Mangel Cooper's
erwähnen, der wieder mit einem Vorzug zusammenhängt. Er ist ein so strenger
Puritaner, daß von geschlechtlichen Verhältnissen bei ihm keine Spur vorkommt.
Das ist allerdings eine Tugend, wenn man ihn z. B. mit Sealsfield vergleicht,
der dem sinnlichen Reiz der Liebe einen allzu großen Raum verstattet, und nicht
selten ius Fieberhafte und Unschöne verfällt, aber es raubt doch nicht mir der
Zeichnung seiner Frauen alles Leben, sondern es läßt auch bei seinen Männern
eine Lücke, die wir nicht ausfüllen können, ohne das Bild, das er uns von ihnen
entwirft, zu stören. Damit soll nicht bezweifelt werden, daß gerade in dieser
Beziehung die puritanische Strenge der Amerikaner etwas sehr Preiswerthes ist.

Die Helden der Seeromane, die Lootsen, die rothen Freibeuter, die
Schmuggler, gleichen in ihrem resignirt heroischen Wesen, in ihrem Rationalis¬
mus und ihrer gelinden Schwärmerei den schon früher besprochenen auf ein Haar.
Der Lootse, in welchem der berühmte Amerikanische Seeheld Paul Jones geschil¬
dert wird, ist eine zweite Auflage des Spions und ein Vorläufer des Bravo;
er ist in dem innerste» Kern seines Charakters eben so wenig deutlich, als diese
Figuren. In den Seeromanen spricht sich überhaupt noch viel klarer aus, was
wir schon von den frühern behauptet haben, daß es Cooper nicht auf die geistige
Entwickelung der Menschen, sondern auf die glänzende Darstellung ihrer mate¬
riellen Thätigkeit ankommt. Die eigentlichen Helden seiner Seeromane sind die
Schiffe, die ein wahrhaft individuelles, charakteristisches und interessantes Leben
gewinnen. Wir interessiren uns für sie, wie die Seeleute, die ihnen angehören,
und wir schätzen die Menschen nur iusoforu, als sie die Bewegung derselben be¬
schleunigen oder hemmen. Die Gemälde von den Seestürmen, von der blitz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/55>, abgerufen am 02.07.2024.