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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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schnellen Bewegung, mit der die Mischine dem Geiste gehorcht, von dem Verlieren,
Suchen und Wiederfinden hat Eovper einzelne Gemälde geliefert, die uns in
athemloser Spannung erhalten. Zudem war er der Erste, der dieses Genre dem
Publicum vorführte. Er hat eine zahllose Menge Nachahmer gefunden. Die
Schiffsführer und Flottencapitaine, die sich nachher mit dieser Literatur abgaben,
konnten in manchem Detail gründlicher und genauer zu Werke gehen; an leben¬
digem Interesse der Darstellung, soweit es die oben angeführten Eigenschaften in
Anspruch nimmt, sind sie ihm kaum vorzuziehen. Dagegen hat namentlich Cap-
tain Marryat eine andere Seite des Schiffswesens ungleich plastischer dargestellt,
das gemüthlich possenhafte Treiben der Midshipmen und des übrigen Schiffsvolks;
seiue Menschen sind viel besser, weil sie härter gehalten und mit einem derben
Anflug von Humor ausgestattet siud. Von den übrigen Seenovellisten ist nament¬
lich Captain Chamier und der Verfasser des Romans Trelawney zu nennen; auch
die Franzosen haben sich bekanntlich mit diesem Genre beschäftigt, und dadurch
für ihre celtische Phantasie einen neuen Spielraum gewonnen. -- Wie groß
auch die Virtuosität sein möge, die man ans diesen Gegenstand verwendet, zuletzt
wird man doch genöthigt, wenn man nicht in die leerste Einförmigkeit verfallen
will, zu übertreiben, und die unglaublichsten Räubergeschichten zusammenznhänfeu.
Eine mit nüchterner Ehrlichkeit dargestellte Seefahrt ist immer langweilig, die
Poesie kann in diesem Punkt die Wirklichkeit nicht bezwingen, und es wird dieser
Gattung des Romans wie aller rein materialistischen Poesie ergehen, die über
dem Mittel den eigentlichen Zweck aus den Augen setzt: sie wird in bloße Manier
ausarten. Der eigentliche Zweck der Poesie sind die Menschen, und wer die
Menschen nicht versteht, wird anch bei der reichsten Kunst, mit der er die sinnliche
Natur wiedergiebt, nur ein vorübergehendes Interesse in Anspruch nehmen
können.

Von den übrigen Romanen Coopers ist Nichts weiter zu sagen. Wo er nicht
mehr von seinem sentimental materialistischen Gegenstande getragen wird, von
seinen Urwäldern oder von seinen Oceanen, tritt die Armuth seiner Phantasie
und seiner Empfindung und sein eigentlich unhistorischer Sinn zu deutlich hervor.
Das ist der große Vorzug Walter Scott's. Auch er gewann sich durch eiuen
bestimmten Gegenstand, durch die Naturkinder seiner Hochlande, zuerst die Aufmerk¬
samkeit des romantischen Publicums; aber je weiter er sich aus diesem Natur¬
wuchs entfernte, desto prächtiger entwickelten sich die reichen Hallen seines histo¬
rischen Sinnes, desto tiefer drang er in den Schacht deS menschlichen Herzens ein.
Cooper hat trotz seines großen Talents nur einer bestimmten Richtung der Zeit
I. S. gedient, und ist mit ihr vorübergegangen.




schnellen Bewegung, mit der die Mischine dem Geiste gehorcht, von dem Verlieren,
Suchen und Wiederfinden hat Eovper einzelne Gemälde geliefert, die uns in
athemloser Spannung erhalten. Zudem war er der Erste, der dieses Genre dem
Publicum vorführte. Er hat eine zahllose Menge Nachahmer gefunden. Die
Schiffsführer und Flottencapitaine, die sich nachher mit dieser Literatur abgaben,
konnten in manchem Detail gründlicher und genauer zu Werke gehen; an leben¬
digem Interesse der Darstellung, soweit es die oben angeführten Eigenschaften in
Anspruch nimmt, sind sie ihm kaum vorzuziehen. Dagegen hat namentlich Cap-
tain Marryat eine andere Seite des Schiffswesens ungleich plastischer dargestellt,
das gemüthlich possenhafte Treiben der Midshipmen und des übrigen Schiffsvolks;
seiue Menschen sind viel besser, weil sie härter gehalten und mit einem derben
Anflug von Humor ausgestattet siud. Von den übrigen Seenovellisten ist nament¬
lich Captain Chamier und der Verfasser des Romans Trelawney zu nennen; auch
die Franzosen haben sich bekanntlich mit diesem Genre beschäftigt, und dadurch
für ihre celtische Phantasie einen neuen Spielraum gewonnen. — Wie groß
auch die Virtuosität sein möge, die man ans diesen Gegenstand verwendet, zuletzt
wird man doch genöthigt, wenn man nicht in die leerste Einförmigkeit verfallen
will, zu übertreiben, und die unglaublichsten Räubergeschichten zusammenznhänfeu.
Eine mit nüchterner Ehrlichkeit dargestellte Seefahrt ist immer langweilig, die
Poesie kann in diesem Punkt die Wirklichkeit nicht bezwingen, und es wird dieser
Gattung des Romans wie aller rein materialistischen Poesie ergehen, die über
dem Mittel den eigentlichen Zweck aus den Augen setzt: sie wird in bloße Manier
ausarten. Der eigentliche Zweck der Poesie sind die Menschen, und wer die
Menschen nicht versteht, wird anch bei der reichsten Kunst, mit der er die sinnliche
Natur wiedergiebt, nur ein vorübergehendes Interesse in Anspruch nehmen
können.

Von den übrigen Romanen Coopers ist Nichts weiter zu sagen. Wo er nicht
mehr von seinem sentimental materialistischen Gegenstande getragen wird, von
seinen Urwäldern oder von seinen Oceanen, tritt die Armuth seiner Phantasie
und seiner Empfindung und sein eigentlich unhistorischer Sinn zu deutlich hervor.
Das ist der große Vorzug Walter Scott's. Auch er gewann sich durch eiuen
bestimmten Gegenstand, durch die Naturkinder seiner Hochlande, zuerst die Aufmerk¬
samkeit des romantischen Publicums; aber je weiter er sich aus diesem Natur¬
wuchs entfernte, desto prächtiger entwickelten sich die reichen Hallen seines histo¬
rischen Sinnes, desto tiefer drang er in den Schacht deS menschlichen Herzens ein.
Cooper hat trotz seines großen Talents nur einer bestimmten Richtung der Zeit
I. S. gedient, und ist mit ihr vorübergegangen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/56>, abgerufen am 02.07.2024.