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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ist, desto genauer verstehen wir ihn im weitern Verlauf, eben weil von vom
herein unsre Reflexion angeregt wird.

Die zweite Figur ist der alte Presbyterianer, der sich aus der alten Welt
zurückgezogen hat, und in der neue" seine strenge, einfach religiöse Gemeinde
gründet, die eben so ans der Selbstständigkeit der Einzelnen, wie ans ihrer un¬
bedingten Unterwerfung nnter die Regel der Sitte beruht. Diese Figur ist z. B.
in der "Beweinten von Wiss-ton- Wiss" sehr gut ausgeführt, und auch von den
spätern Dichtern nicht übertroffen worden. Sie ist auch in ihrer Anlage nicht
nen; wir finden sie z. B. bei Walter Scott im "Herzen von Midlothian", nur
die Situationen sind anders geworden. Sealsfield und die Andern haben nur
noch einen größern Reichthum vou Ansiedlern hinzugefügt. Von dem sehr inte¬
ressanten Unterschied des derben, etwas aristokratischen, Sclaven haltende" Virgi-
niers, von dem puritanischen Aaukee und von dem südlichen Creolen findet
sich bei Cooper noch keine Spur.

Wir kommen endlich zu den Indianern. Durch unsre frühere Lectüre Coo-
per's sind uns Diese so geläufig und vertraut geworden, daß wir Schilderungen
wie z. B. die von Catlin, gar nicht begreifen, und doch, wenn wir genauer zu¬
sehen, liegt wenigstens im Materiellen der Unterschied nicht. Cooper schildert
uns das Costum und die Gebräuche seiner Indianer wild und abenteuerlich genug.
Sie tätowiren sich, sie halten ihre'wahnsinnigen Kriegstänze, sie foltern und
quälen einander, wie es im Buche steht, und doch, wenn wir die Bilder in Catlin
ansehen, erkennen wir unsre alten Freunde nicht wieder. Das kommt daher,
Cooper giebt uus seine Indianer als Ideale, nicht nur in dem Sinn, daß ihre
rohe Naturkraft, ihre verstärkte Sinnlichkeit und dergleichen dem verwöhnten Kul¬
turmenschen imponiren, sondern auch gewissermaßen in geistiger Beziehung. Ihr
Denken ist zwar weniger entwickelt und weniger ausgebildet, aber reiner und edler,
als das der Europäer; wenigstens gilt dies von seinen Lieblingen, den Annas,
den Cvnanchct u. s. w. Sie haben eine auffallende Familienähnlichkeit mit unsern
Rinaldini und Abällino, den edel gesinnten Rändern. Das ist eine sentimentale
Auffassung, die gegen jene allgemein menschliche Wahrheit verstößt, daß ohne
eine gewisse Weite des geistigen Horizonts auch die sittliche Anschauung eine
beschränkte bleiben muß. Sealsfield hat daher gleich in seinem ersten Roman,
der sich im Uebrigen noch ganz der Manier der Cooperschen anschließt, insofern
einen glücklichen Griff gethan, daß er in seinem Helden diese geistige-Beschränkt¬
heit, diese Unfähigkeit, sich in fern liegende sittliche Bestimmungen zu finden, und
die daraus entspringende Verblendung in allen Verwickelungen, über welche ihm
die Tradition seines Stammes keinen Codex giebt, dargestellt hat. Es geht uns
mit den Cooperschen Indianern in noch höherm Grade, wie mit seinem Falken¬
auge; wir lassen uns von dem sinnlichen Reiz der Erzählung hinreißen, und denken
nicht an den realen Inhalt seiner Charaktere. Sehen wir genauer zu, so haben


ist, desto genauer verstehen wir ihn im weitern Verlauf, eben weil von vom
herein unsre Reflexion angeregt wird.

Die zweite Figur ist der alte Presbyterianer, der sich aus der alten Welt
zurückgezogen hat, und in der neue» seine strenge, einfach religiöse Gemeinde
gründet, die eben so ans der Selbstständigkeit der Einzelnen, wie ans ihrer un¬
bedingten Unterwerfung nnter die Regel der Sitte beruht. Diese Figur ist z. B.
in der „Beweinten von Wiss-ton- Wiss" sehr gut ausgeführt, und auch von den
spätern Dichtern nicht übertroffen worden. Sie ist auch in ihrer Anlage nicht
nen; wir finden sie z. B. bei Walter Scott im „Herzen von Midlothian", nur
die Situationen sind anders geworden. Sealsfield und die Andern haben nur
noch einen größern Reichthum vou Ansiedlern hinzugefügt. Von dem sehr inte¬
ressanten Unterschied des derben, etwas aristokratischen, Sclaven haltende» Virgi-
niers, von dem puritanischen Aaukee und von dem südlichen Creolen findet
sich bei Cooper noch keine Spur.

Wir kommen endlich zu den Indianern. Durch unsre frühere Lectüre Coo-
per's sind uns Diese so geläufig und vertraut geworden, daß wir Schilderungen
wie z. B. die von Catlin, gar nicht begreifen, und doch, wenn wir genauer zu¬
sehen, liegt wenigstens im Materiellen der Unterschied nicht. Cooper schildert
uns das Costum und die Gebräuche seiner Indianer wild und abenteuerlich genug.
Sie tätowiren sich, sie halten ihre'wahnsinnigen Kriegstänze, sie foltern und
quälen einander, wie es im Buche steht, und doch, wenn wir die Bilder in Catlin
ansehen, erkennen wir unsre alten Freunde nicht wieder. Das kommt daher,
Cooper giebt uus seine Indianer als Ideale, nicht nur in dem Sinn, daß ihre
rohe Naturkraft, ihre verstärkte Sinnlichkeit und dergleichen dem verwöhnten Kul¬
turmenschen imponiren, sondern auch gewissermaßen in geistiger Beziehung. Ihr
Denken ist zwar weniger entwickelt und weniger ausgebildet, aber reiner und edler,
als das der Europäer; wenigstens gilt dies von seinen Lieblingen, den Annas,
den Cvnanchct u. s. w. Sie haben eine auffallende Familienähnlichkeit mit unsern
Rinaldini und Abällino, den edel gesinnten Rändern. Das ist eine sentimentale
Auffassung, die gegen jene allgemein menschliche Wahrheit verstößt, daß ohne
eine gewisse Weite des geistigen Horizonts auch die sittliche Anschauung eine
beschränkte bleiben muß. Sealsfield hat daher gleich in seinem ersten Roman,
der sich im Uebrigen noch ganz der Manier der Cooperschen anschließt, insofern
einen glücklichen Griff gethan, daß er in seinem Helden diese geistige-Beschränkt¬
heit, diese Unfähigkeit, sich in fern liegende sittliche Bestimmungen zu finden, und
die daraus entspringende Verblendung in allen Verwickelungen, über welche ihm
die Tradition seines Stammes keinen Codex giebt, dargestellt hat. Es geht uns
mit den Cooperschen Indianern in noch höherm Grade, wie mit seinem Falken¬
auge; wir lassen uns von dem sinnlichen Reiz der Erzählung hinreißen, und denken
nicht an den realen Inhalt seiner Charaktere. Sehen wir genauer zu, so haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/54>, abgerufen am 02.07.2024.