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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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listischen und supranatnralistischen Anschauungsweise der Natur verleiht in der
Darstellung der Indianer sowol, wie der halbwilden Ansiedler dem jüngern Dich¬
ter einen großen Vorzug. Auf diese specifisch-Amerikanischen Bilder müssen wir
jetzt genauer eingehen, weil sie eigentlich Cooper's Uns begründet haben.

Auch in diesem Roman ist in Beziehung aus die eigentliche Charakterbildung
eine große Einförmigkeit. Es sind die nämlichen Motive, die in allen wieder¬
kehren. Abgesehen von den jungen Liebenden, den republikanischen oder rvhali-
stischen Lieutenants, die hier so aussehen wie anderwärts, sind es vorzugsweise
drei Figuren, die uns aufstoßen. Die eine ist das uuter den verschiedensten
Namen in einem ganzen Cyclus von Novellen wieder austretende Individuum,
Falkenauge, Lederstrumpf, oder wie er sich sonst nennen mag, der einsame Jäger
in den Urwäldern, der sich mit einem Jndianerstamm näher eingelassen hat, und
im Uebrigen als wohlthätiger Intrigant oder Maschinist der Stücke verwandt wird.
Wenn man diese Figur mit Sealssield's Nathan, dem Squcttter Regulator,
vergleicht, so fällt Einem sogleich der Unterschied der Zeichnung in die Angen.
Nathan gehört eigentlich einer solidern Klasse an. Er hat eine feste Ansiedelung,
Weib und Kind, und ist der Vorsteher einer Art von Gemeinde, während Falkenauge
ein so wild romantisches Leben führt, daß man kaum noch Spuren Europäischer
Civilisation an ihm wahrzunehmen hoffen könnte, und dennoch tritt uns Nathan
als eine fremdartige, imponirende und doch wieder in ihrer Art plastisch ver¬
ständliche Erscheinung gegenüber. Er hat Anschauungen, Empfindungen, die von
den unsrigen himmelweit abweichen, keine Spur von Europäischer Gemüthlichkeit,
sondern jenes knöcherne, harte, egoistische Wesen, wie es dem Hinterwäldler
ziemt, während Falkenauge gerade so denkt und empfindet, wie wir, einen un¬
erschöpflichen Fonds vou Gemüthlichkeit und Wohlwollen in sich trägt, die Gesetze
der Tugend und Sittlichkeit ans das Strengste befolgt, und nnr in seinem Costum
uus fremd vorkommt. Sealssield nämlich hat seinen Helden, wie es das Gesetz
der Poesie erfordert, dadurch idealisirt, daß er die seinen Voraussetzungen ent¬
sprechenden Eigenthümlichkeiten auf die Spitze getrieben, und in eine innere Ueber¬
einstimmung und Harmonie gebracht hat. Cooper dagegen idealisirt ans die
Schillersche Weise; er verleiht seinem Helden neben den Eigenschaften, die seiner
Stellung im Leben zukommen, und die mehr materieller, als geistiger Natur sind,
auch noch die Vorzüge des allgemein Menschlichen, die aber zu jenen nicht recht
stimmen. So geschieht es, daß wir bei diesem Letzter" nur auf sein äußeres
Thun und Treiben unsre Aufmersamkeit richten, daß wir über den innern Zu¬
sammenhang seiner Gedanken und seiner Neigungen nicht reflectiren. Sobald
wir in diese Reflexion kommen, Hort die Illusion auf und wir haben eine
gemachte Figur vor uns; dagegen sind wir bei Nathan augenblicklich genöthigt,
ihn uns als Totalität vorzustellen, und je fremdartiger uns sein erstes Auftreten


listischen und supranatnralistischen Anschauungsweise der Natur verleiht in der
Darstellung der Indianer sowol, wie der halbwilden Ansiedler dem jüngern Dich¬
ter einen großen Vorzug. Auf diese specifisch-Amerikanischen Bilder müssen wir
jetzt genauer eingehen, weil sie eigentlich Cooper's Uns begründet haben.

Auch in diesem Roman ist in Beziehung aus die eigentliche Charakterbildung
eine große Einförmigkeit. Es sind die nämlichen Motive, die in allen wieder¬
kehren. Abgesehen von den jungen Liebenden, den republikanischen oder rvhali-
stischen Lieutenants, die hier so aussehen wie anderwärts, sind es vorzugsweise
drei Figuren, die uns aufstoßen. Die eine ist das uuter den verschiedensten
Namen in einem ganzen Cyclus von Novellen wieder austretende Individuum,
Falkenauge, Lederstrumpf, oder wie er sich sonst nennen mag, der einsame Jäger
in den Urwäldern, der sich mit einem Jndianerstamm näher eingelassen hat, und
im Uebrigen als wohlthätiger Intrigant oder Maschinist der Stücke verwandt wird.
Wenn man diese Figur mit Sealssield's Nathan, dem Squcttter Regulator,
vergleicht, so fällt Einem sogleich der Unterschied der Zeichnung in die Angen.
Nathan gehört eigentlich einer solidern Klasse an. Er hat eine feste Ansiedelung,
Weib und Kind, und ist der Vorsteher einer Art von Gemeinde, während Falkenauge
ein so wild romantisches Leben führt, daß man kaum noch Spuren Europäischer
Civilisation an ihm wahrzunehmen hoffen könnte, und dennoch tritt uns Nathan
als eine fremdartige, imponirende und doch wieder in ihrer Art plastisch ver¬
ständliche Erscheinung gegenüber. Er hat Anschauungen, Empfindungen, die von
den unsrigen himmelweit abweichen, keine Spur von Europäischer Gemüthlichkeit,
sondern jenes knöcherne, harte, egoistische Wesen, wie es dem Hinterwäldler
ziemt, während Falkenauge gerade so denkt und empfindet, wie wir, einen un¬
erschöpflichen Fonds vou Gemüthlichkeit und Wohlwollen in sich trägt, die Gesetze
der Tugend und Sittlichkeit ans das Strengste befolgt, und nnr in seinem Costum
uus fremd vorkommt. Sealssield nämlich hat seinen Helden, wie es das Gesetz
der Poesie erfordert, dadurch idealisirt, daß er die seinen Voraussetzungen ent¬
sprechenden Eigenthümlichkeiten auf die Spitze getrieben, und in eine innere Ueber¬
einstimmung und Harmonie gebracht hat. Cooper dagegen idealisirt ans die
Schillersche Weise; er verleiht seinem Helden neben den Eigenschaften, die seiner
Stellung im Leben zukommen, und die mehr materieller, als geistiger Natur sind,
auch noch die Vorzüge des allgemein Menschlichen, die aber zu jenen nicht recht
stimmen. So geschieht es, daß wir bei diesem Letzter» nur auf sein äußeres
Thun und Treiben unsre Aufmersamkeit richten, daß wir über den innern Zu¬
sammenhang seiner Gedanken und seiner Neigungen nicht reflectiren. Sobald
wir in diese Reflexion kommen, Hort die Illusion auf und wir haben eine
gemachte Figur vor uns; dagegen sind wir bei Nathan augenblicklich genöthigt,
ihn uns als Totalität vorzustellen, und je fremdartiger uns sein erstes Auftreten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/53>, abgerufen am 02.07.2024.