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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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er dagegen, die Phantasie nach einer andern Richtung hin in Spannung zu setzen.
Er ist nämlich der Erste, der jene Virtuosität in der Schilderung von gefährlichen
Wegen, von fieberhaften, durch die Flucht und eine beständige Gefahr beschleu¬
nigten Märschen, kurz jene materielle Spannung ausgeübt hat, die man sich sonst
begnügte, nur im Allgemeinen anzudeuten. Die leitende Empfindung ist eine
sehr einfache, aber sie ist genau detaillirt und mit einer lebendigen Darstellung
der Localitäten verknüpft. In späterer Zeit ist diese Virtuosität allerdings viel
raffinirter geworden. Wenn man z. B. die Flucht des Dick Turpin in Ains-
worth's Novkwood, oder die verschiedenen Gefahren, denen der Jack Sheppard
desselben Dichters entgeht, mit den Abenteuern des Harvey Birch vergleicht,
so sehen diese freilich wie ein Kinderspiel dagegen aus; dagegen ist Cooper in
seinen Schilderungen gewissenhafter und naturgetreuer. Auch die fieberhafte Auf¬
regung schildert er mit pragmatischer Nüchternheit. Er selbst verliert nie die
Besinnung, und man ist stets im Staude, sich zu orientiren. Wenn man ihn
vollends mit Sealsficld vergleicht, dessen Hauptstärke, abgesehen von der größern
Poesie in seinen Figuren, in demselben Talent liegt, so wird der Unterschied noch
großer. Sealsficld geräth bei der Darstellung der verwirrten, phantastischen, wilden
Scenen selbst in eine Art von Trunkenheit, er stürmt dnrch seine fieberhaften
Bilder auf unsre Phantasie los, er giebt sich nicht mehr die Mühe, uns deutlich
zu werden. Wir müssen uns selber in den Zustand der Trunkenheit versetzen,
um ihm zu folgen. Es liegt in dieser hochgetriebener Spannung ein gewisser
Reiz, der Cooper allerdings abgeht, der aber nach meiner Meinung anch nicht
ein ganz gesunder ist. Eben so ist es mit der eigentlichen Naturschilderung.
Cooper ist zwar aufmerksam auf die Localitäten, um so aufmerksamer, je mehr sie
sich von den gewöhnlichen Plätzen der civilisirten Welt unterscheiden, und er sucht
uns ein deutliches Bild davon zu geben, um uns zu orientiren, aber er macht
keine eigene selbstständige Poesie daraus, wie es bei Sealsficld der Fall ist, dessen
Naturschilderungen bei seiner Übersprudeluden Phantasie eben so häufig grandios
wie fratzenhaft sind. Cooper's Phantasie bewegt sich stets in der Heerstraße,
wenn auch seine Gegenstände ungewöhnlicher Natur sind. Wenn man anch dabei
den Umstand in Betracht ziehen muß, daß seine Schilderungen meistens in den
nördlichen Theil der Freistaaten fallen, deren Natur der unsrigen bei Weitem mehr
entspricht, während Sealssteld am Liebsten im Süden verweilt, unter tropischem
Einfluß, der allerdings die Phantasie in fieberhafte Stimmungen zu versetzen ge¬
eignet ist, so liegt der Unterschied doch zum Theil auch darin, daß Cooper die
Natur mit den Augen eines eingebornen Amerikaners ansieht, dem sie wenigstens
in ihrer Totalität nicht eigentlich fremd ist, wenn sie auch im Einzelnen ihm viel
Seltsames bietet, Sealsficld dagegen mit den Augen eines Poeten, d/r eine
neue Welt entdeckt.

Dieser Unterschied einer, mau möge mir den Ausdruck nachsehen, rationa-


er dagegen, die Phantasie nach einer andern Richtung hin in Spannung zu setzen.
Er ist nämlich der Erste, der jene Virtuosität in der Schilderung von gefährlichen
Wegen, von fieberhaften, durch die Flucht und eine beständige Gefahr beschleu¬
nigten Märschen, kurz jene materielle Spannung ausgeübt hat, die man sich sonst
begnügte, nur im Allgemeinen anzudeuten. Die leitende Empfindung ist eine
sehr einfache, aber sie ist genau detaillirt und mit einer lebendigen Darstellung
der Localitäten verknüpft. In späterer Zeit ist diese Virtuosität allerdings viel
raffinirter geworden. Wenn man z. B. die Flucht des Dick Turpin in Ains-
worth's Novkwood, oder die verschiedenen Gefahren, denen der Jack Sheppard
desselben Dichters entgeht, mit den Abenteuern des Harvey Birch vergleicht,
so sehen diese freilich wie ein Kinderspiel dagegen aus; dagegen ist Cooper in
seinen Schilderungen gewissenhafter und naturgetreuer. Auch die fieberhafte Auf¬
regung schildert er mit pragmatischer Nüchternheit. Er selbst verliert nie die
Besinnung, und man ist stets im Staude, sich zu orientiren. Wenn man ihn
vollends mit Sealsficld vergleicht, dessen Hauptstärke, abgesehen von der größern
Poesie in seinen Figuren, in demselben Talent liegt, so wird der Unterschied noch
großer. Sealsficld geräth bei der Darstellung der verwirrten, phantastischen, wilden
Scenen selbst in eine Art von Trunkenheit, er stürmt dnrch seine fieberhaften
Bilder auf unsre Phantasie los, er giebt sich nicht mehr die Mühe, uns deutlich
zu werden. Wir müssen uns selber in den Zustand der Trunkenheit versetzen,
um ihm zu folgen. Es liegt in dieser hochgetriebener Spannung ein gewisser
Reiz, der Cooper allerdings abgeht, der aber nach meiner Meinung anch nicht
ein ganz gesunder ist. Eben so ist es mit der eigentlichen Naturschilderung.
Cooper ist zwar aufmerksam auf die Localitäten, um so aufmerksamer, je mehr sie
sich von den gewöhnlichen Plätzen der civilisirten Welt unterscheiden, und er sucht
uns ein deutliches Bild davon zu geben, um uns zu orientiren, aber er macht
keine eigene selbstständige Poesie daraus, wie es bei Sealsficld der Fall ist, dessen
Naturschilderungen bei seiner Übersprudeluden Phantasie eben so häufig grandios
wie fratzenhaft sind. Cooper's Phantasie bewegt sich stets in der Heerstraße,
wenn auch seine Gegenstände ungewöhnlicher Natur sind. Wenn man anch dabei
den Umstand in Betracht ziehen muß, daß seine Schilderungen meistens in den
nördlichen Theil der Freistaaten fallen, deren Natur der unsrigen bei Weitem mehr
entspricht, während Sealssteld am Liebsten im Süden verweilt, unter tropischem
Einfluß, der allerdings die Phantasie in fieberhafte Stimmungen zu versetzen ge¬
eignet ist, so liegt der Unterschied doch zum Theil auch darin, daß Cooper die
Natur mit den Augen eines eingebornen Amerikaners ansieht, dem sie wenigstens
in ihrer Totalität nicht eigentlich fremd ist, wenn sie auch im Einzelnen ihm viel
Seltsames bietet, Sealsficld dagegen mit den Augen eines Poeten, d/r eine
neue Welt entdeckt.

Dieser Unterschied einer, mau möge mir den Ausdruck nachsehen, rationa-


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[0052] er dagegen, die Phantasie nach einer andern Richtung hin in Spannung zu setzen. Er ist nämlich der Erste, der jene Virtuosität in der Schilderung von gefährlichen Wegen, von fieberhaften, durch die Flucht und eine beständige Gefahr beschleu¬ nigten Märschen, kurz jene materielle Spannung ausgeübt hat, die man sich sonst begnügte, nur im Allgemeinen anzudeuten. Die leitende Empfindung ist eine sehr einfache, aber sie ist genau detaillirt und mit einer lebendigen Darstellung der Localitäten verknüpft. In späterer Zeit ist diese Virtuosität allerdings viel raffinirter geworden. Wenn man z. B. die Flucht des Dick Turpin in Ains- worth's Novkwood, oder die verschiedenen Gefahren, denen der Jack Sheppard desselben Dichters entgeht, mit den Abenteuern des Harvey Birch vergleicht, so sehen diese freilich wie ein Kinderspiel dagegen aus; dagegen ist Cooper in seinen Schilderungen gewissenhafter und naturgetreuer. Auch die fieberhafte Auf¬ regung schildert er mit pragmatischer Nüchternheit. Er selbst verliert nie die Besinnung, und man ist stets im Staude, sich zu orientiren. Wenn man ihn vollends mit Sealsficld vergleicht, dessen Hauptstärke, abgesehen von der größern Poesie in seinen Figuren, in demselben Talent liegt, so wird der Unterschied noch großer. Sealsficld geräth bei der Darstellung der verwirrten, phantastischen, wilden Scenen selbst in eine Art von Trunkenheit, er stürmt dnrch seine fieberhaften Bilder auf unsre Phantasie los, er giebt sich nicht mehr die Mühe, uns deutlich zu werden. Wir müssen uns selber in den Zustand der Trunkenheit versetzen, um ihm zu folgen. Es liegt in dieser hochgetriebener Spannung ein gewisser Reiz, der Cooper allerdings abgeht, der aber nach meiner Meinung anch nicht ein ganz gesunder ist. Eben so ist es mit der eigentlichen Naturschilderung. Cooper ist zwar aufmerksam auf die Localitäten, um so aufmerksamer, je mehr sie sich von den gewöhnlichen Plätzen der civilisirten Welt unterscheiden, und er sucht uns ein deutliches Bild davon zu geben, um uns zu orientiren, aber er macht keine eigene selbstständige Poesie daraus, wie es bei Sealsficld der Fall ist, dessen Naturschilderungen bei seiner Übersprudeluden Phantasie eben so häufig grandios wie fratzenhaft sind. Cooper's Phantasie bewegt sich stets in der Heerstraße, wenn auch seine Gegenstände ungewöhnlicher Natur sind. Wenn man anch dabei den Umstand in Betracht ziehen muß, daß seine Schilderungen meistens in den nördlichen Theil der Freistaaten fallen, deren Natur der unsrigen bei Weitem mehr entspricht, während Sealssteld am Liebsten im Süden verweilt, unter tropischem Einfluß, der allerdings die Phantasie in fieberhafte Stimmungen zu versetzen ge¬ eignet ist, so liegt der Unterschied doch zum Theil auch darin, daß Cooper die Natur mit den Augen eines eingebornen Amerikaners ansieht, dem sie wenigstens in ihrer Totalität nicht eigentlich fremd ist, wenn sie auch im Einzelnen ihm viel Seltsames bietet, Sealsficld dagegen mit den Augen eines Poeten, d/r eine neue Welt entdeckt. Dieser Unterschied einer, mau möge mir den Ausdruck nachsehen, rationa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/52>, abgerufen am 02.07.2024.