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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Wir werde" uns aber doch an Beides gewöhnen müssen, sowol den Um¬
ständen Rechnung zu tragen, d. h. ehe wir einen Ban anfangen, uns über unser
Material, über die Sicherheit des Bodens und über unsre Geldmittel ins Klare
zu setzen, als auch dann, wenn es zur Entscheidung kommt, unser Gemüth zum
Schweigen zu bringen und rücksichtslos zu verfahren, da, wenn man einen Zweck
will, man auch die Mittel wollen muß.

Unter die Reihe dieser Mittel rechnen wir eins, aus das wir fortwährend
zurückkommen müssen, weil es das einzige ist, uns aus der Versunkenheit unsrer
Zustände zu erheben. Wir werden nun durch das Leben Hardenberg's recht
lebhaft wieder daran erinnert. Hardenberg ist mit den edelsten Absichten von der
Welt, mit einer gründlichen Sachkenntnis; und mit einem großen Lebensmuth in
seine Stellung getreten, und doch hat er nicht allein ein Terrain nach dem andern
verloren, sondern hat sich zuletzt auch geradezu als Werkzeug der Reaction Mi߬
bräuchen lassen. Der Grund lag allein darin,' daß der Liberalismus bei uns
isolirt auftrat, daß er sich nicht ans eine compacte, zuverlässige, organisirte Partei
stützte. Hardenberg's Einfluß beruhte lediglich aus der Geneigtheit des Königs, und
Dieser war auch bei dem besten Willen den verschiedenartigsten Einflüssen aus¬
gesetzt; er sah in seinem Rathgeber nnr die Person, nicht den Träger eines realen,
ans einer breiten Grundlage ruhenden Princips.

Wir verkeimen zwar nicht, daß in den letzten Jahren zur Bildung einer
liberalen Partei, einer Partei, die den Fortschritt auf dem Boden der gegebenen
Zustände will, und die iusoferu deu Umständen Rechnung trägt, als sie ihre
Ideale aus den Verhältnissen nimmt, anstatt sie den Verhältnissen entgegenzu¬
setzen, sehr viel geschehen Ist, aber noch lange nicht genug. Es sind sich eigent¬
lich mir die parlamentarischen Führer der liberalen Partei nahe getreten, wozu
ihnen die häufigen gesetzgebenden Versammlungen hinlänglich Gelegenheit gäbe".
Es muß das aber auch bei der Masse der Partei geschehen. Freilich ist das bei
uns viel schwerer, als bei den Ncactionairs und bei den Demokraten; denn
bei den Ersteren besteht der eigentlich active Theil der Partei aus dem reichen
Adel, der ohnehin gesellschaftlich zusammenhängt, und den Troß der Partei oder
das Gesinde können sie zusammentrommeln, so oft es ihnen beliebt; bei den
Demokraten ist es umgekehrt, der Stamm ihrer Partei sind die kleinen Leute in
den Bierstuben, wo ihre Führer sie leicht auffinden können, und wo lange vor
der Stunde der Entscheidung sich ein gemüthliches Verhältniß bildet, welches
später in der Regel wenigstens bis zu einem gewissen Grade aushält. Der Klasse,
deren Vertreter unsre Partei ist, fehlt Beides; sie hat mit ihren Geschäften zu viel
zu thun, um sich viel in den Salons oder in deu Bierstuben bewegen zu können.
I" der Regel werden wir daher nnr durch unser abstractes Princip, nicht durch
irgeud eine Gemeinschaft des Lebens zusammengehalten. Dieser Mangel ""s
nothwendiger Weise ergänzt werden, wenn auch künstlich, wozu gar nicht nöthig


Wir werde» uns aber doch an Beides gewöhnen müssen, sowol den Um¬
ständen Rechnung zu tragen, d. h. ehe wir einen Ban anfangen, uns über unser
Material, über die Sicherheit des Bodens und über unsre Geldmittel ins Klare
zu setzen, als auch dann, wenn es zur Entscheidung kommt, unser Gemüth zum
Schweigen zu bringen und rücksichtslos zu verfahren, da, wenn man einen Zweck
will, man auch die Mittel wollen muß.

Unter die Reihe dieser Mittel rechnen wir eins, aus das wir fortwährend
zurückkommen müssen, weil es das einzige ist, uns aus der Versunkenheit unsrer
Zustände zu erheben. Wir werden nun durch das Leben Hardenberg's recht
lebhaft wieder daran erinnert. Hardenberg ist mit den edelsten Absichten von der
Welt, mit einer gründlichen Sachkenntnis; und mit einem großen Lebensmuth in
seine Stellung getreten, und doch hat er nicht allein ein Terrain nach dem andern
verloren, sondern hat sich zuletzt auch geradezu als Werkzeug der Reaction Mi߬
bräuchen lassen. Der Grund lag allein darin,' daß der Liberalismus bei uns
isolirt auftrat, daß er sich nicht ans eine compacte, zuverlässige, organisirte Partei
stützte. Hardenberg's Einfluß beruhte lediglich aus der Geneigtheit des Königs, und
Dieser war auch bei dem besten Willen den verschiedenartigsten Einflüssen aus¬
gesetzt; er sah in seinem Rathgeber nnr die Person, nicht den Träger eines realen,
ans einer breiten Grundlage ruhenden Princips.

Wir verkeimen zwar nicht, daß in den letzten Jahren zur Bildung einer
liberalen Partei, einer Partei, die den Fortschritt auf dem Boden der gegebenen
Zustände will, und die iusoferu deu Umständen Rechnung trägt, als sie ihre
Ideale aus den Verhältnissen nimmt, anstatt sie den Verhältnissen entgegenzu¬
setzen, sehr viel geschehen Ist, aber noch lange nicht genug. Es sind sich eigent¬
lich mir die parlamentarischen Führer der liberalen Partei nahe getreten, wozu
ihnen die häufigen gesetzgebenden Versammlungen hinlänglich Gelegenheit gäbe».
Es muß das aber auch bei der Masse der Partei geschehen. Freilich ist das bei
uns viel schwerer, als bei den Ncactionairs und bei den Demokraten; denn
bei den Ersteren besteht der eigentlich active Theil der Partei aus dem reichen
Adel, der ohnehin gesellschaftlich zusammenhängt, und den Troß der Partei oder
das Gesinde können sie zusammentrommeln, so oft es ihnen beliebt; bei den
Demokraten ist es umgekehrt, der Stamm ihrer Partei sind die kleinen Leute in
den Bierstuben, wo ihre Führer sie leicht auffinden können, und wo lange vor
der Stunde der Entscheidung sich ein gemüthliches Verhältniß bildet, welches
später in der Regel wenigstens bis zu einem gewissen Grade aushält. Der Klasse,
deren Vertreter unsre Partei ist, fehlt Beides; sie hat mit ihren Geschäften zu viel
zu thun, um sich viel in den Salons oder in deu Bierstuben bewegen zu können.
I» der Regel werden wir daher nnr durch unser abstractes Princip, nicht durch
irgeud eine Gemeinschaft des Lebens zusammengehalten. Dieser Mangel ""s
nothwendiger Weise ergänzt werden, wenn auch künstlich, wozu gar nicht nöthig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/512>, abgerufen am 02.07.2024.