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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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der Situation geben, deren Wirkung aber verloren geht, wenn man vorher
dnrch die langen Auseinandersetzungen und häufige Wiederholungen ermüdet ist.

Wir haben beiden Staatsmännern das Prädicat "liberal" gegeben, obgleich
sie, scheinbar zu zwei entgegengesetzten Parteien gehörten. Hardenberg verfolgte
eine progressistische, Peel eine conservative Richtung; aber wir müssen uns allmählich
daran gewöhnen, in dem Begriff des Liberalismus, wenn man ihn zum Unterschied
von den radicalen und demokratischen Parteien gebraucht, neben der Idee des
Fortschritts auch noch ein cvnservativeS Moment zu suchen, dessen sich auch der
kühnste Staatsmann nicht wird einschlagen können. Der Theoretiker kann und
soll bei der Vertheidigung seines politischen Princips mit einer gewissen Rück¬
sichtslosigkeit zu Werke gehen, deun es muß ihm vorzugsweise daraus ankomme",
das Neue, das er gefunden hat, gegen die Vorurtheile der Masse, die sich stets
gegen das Neue sträubt, mit Schärfe und Entschiedenheit zu vertreten. Dem
Staatsmann ist eine solche Rücksichtslosigkeit nicht erlaubt; er muß bis zu einem
gewissen Grade immer über den Parteien stehen, d. h. er muß die verschiedenen,
zum Theil widersprechenden Gesichtspunkte, die ans den concreten Verwickelungen
seiner Lage sich ergeben, immer zugleich im Auge behalten. Wenn daher d'Jsraeli
in seiner berühmten Rede gegen Peel als einen großen Staatsmann nnr Den¬
jenigen gelten lassen wollte, den man mit einem wichtigen Princip identificiren
könne, so ist das nur halb wahr, wenigstens wird in diesem Ausspruch die eine
Seite der staatsmännischen Thätigkeit vollständig verkannt: die unbedingte Herr¬
schaft über die gegebenen Verhältnisse, deren Fülle und Mannichfaltigkeit "ach
einem abstracten Princip nicht abgemessen werden kann.

Es ist daher ein Irrthum, in den wir häufig verfalle", wem, wir vo"
ziemlich allen vernünftigen Engländern Peel als großen Staatsmann rühmen
hören, daß wir diesen Ruhm aus seine welthistorischen Thaten einschränke".
Allerdings gehört Das dazu, und es sind durch seine Energie und Ausdauer eine
Menge Reformen im Englischen Staatsleben möglich geworden, die vorzugsweise
seinen Namen auf die Nachwelt bringen werden; allein wenn sich sein Verdienst
darauf allein beschränkte, so wäre es doch ein zweifelhaftes, denn er ist "M
Erfinder jeuer Ideen, er hat sich vielmehr mit großer Hartnäckigkeit dagegen
gesträubt, und es könnte wenigstens fraglich erscheinen, ob es nicht ohne diese"
Widerstand seinen Gegner" gelungen wäre, sie früher durchzuführen.u¬

Wenn der Engländer von Peel'S Große spricht, so meint er vielmehr z
nächst etwas Anderes. Die Staatsverwaltung beruht nicht blos in den Refor¬
men, die doch immer nur von Zeit zu Zeit eintreten können, das Leben des
Englischen Staatsmanns ist vielmehr eine unaufhörliche, furchtbar anstrengende
Productivität, und erfordert eine Arbeitskraft, eine umfassende Einsicht in "lie
öffentlichen Verhältnisse, und eine zugleich umsichtige und entschiedene Energie in
den täglich sich wiederholenden Collistonssällen, von der sich unsre abstracten Po-


der Situation geben, deren Wirkung aber verloren geht, wenn man vorher
dnrch die langen Auseinandersetzungen und häufige Wiederholungen ermüdet ist.

Wir haben beiden Staatsmännern das Prädicat „liberal" gegeben, obgleich
sie, scheinbar zu zwei entgegengesetzten Parteien gehörten. Hardenberg verfolgte
eine progressistische, Peel eine conservative Richtung; aber wir müssen uns allmählich
daran gewöhnen, in dem Begriff des Liberalismus, wenn man ihn zum Unterschied
von den radicalen und demokratischen Parteien gebraucht, neben der Idee des
Fortschritts auch noch ein cvnservativeS Moment zu suchen, dessen sich auch der
kühnste Staatsmann nicht wird einschlagen können. Der Theoretiker kann und
soll bei der Vertheidigung seines politischen Princips mit einer gewissen Rück¬
sichtslosigkeit zu Werke gehen, deun es muß ihm vorzugsweise daraus ankomme»,
das Neue, das er gefunden hat, gegen die Vorurtheile der Masse, die sich stets
gegen das Neue sträubt, mit Schärfe und Entschiedenheit zu vertreten. Dem
Staatsmann ist eine solche Rücksichtslosigkeit nicht erlaubt; er muß bis zu einem
gewissen Grade immer über den Parteien stehen, d. h. er muß die verschiedenen,
zum Theil widersprechenden Gesichtspunkte, die ans den concreten Verwickelungen
seiner Lage sich ergeben, immer zugleich im Auge behalten. Wenn daher d'Jsraeli
in seiner berühmten Rede gegen Peel als einen großen Staatsmann nnr Den¬
jenigen gelten lassen wollte, den man mit einem wichtigen Princip identificiren
könne, so ist das nur halb wahr, wenigstens wird in diesem Ausspruch die eine
Seite der staatsmännischen Thätigkeit vollständig verkannt: die unbedingte Herr¬
schaft über die gegebenen Verhältnisse, deren Fülle und Mannichfaltigkeit »ach
einem abstracten Princip nicht abgemessen werden kann.

Es ist daher ein Irrthum, in den wir häufig verfalle», wem, wir vo»
ziemlich allen vernünftigen Engländern Peel als großen Staatsmann rühmen
hören, daß wir diesen Ruhm aus seine welthistorischen Thaten einschränke».
Allerdings gehört Das dazu, und es sind durch seine Energie und Ausdauer eine
Menge Reformen im Englischen Staatsleben möglich geworden, die vorzugsweise
seinen Namen auf die Nachwelt bringen werden; allein wenn sich sein Verdienst
darauf allein beschränkte, so wäre es doch ein zweifelhaftes, denn er ist »M
Erfinder jeuer Ideen, er hat sich vielmehr mit großer Hartnäckigkeit dagegen
gesträubt, und es könnte wenigstens fraglich erscheinen, ob es nicht ohne diese»
Widerstand seinen Gegner» gelungen wäre, sie früher durchzuführen.u¬

Wenn der Engländer von Peel'S Große spricht, so meint er vielmehr z
nächst etwas Anderes. Die Staatsverwaltung beruht nicht blos in den Refor¬
men, die doch immer nur von Zeit zu Zeit eintreten können, das Leben des
Englischen Staatsmanns ist vielmehr eine unaufhörliche, furchtbar anstrengende
Productivität, und erfordert eine Arbeitskraft, eine umfassende Einsicht in "lie
öffentlichen Verhältnisse, und eine zugleich umsichtige und entschiedene Energie in
den täglich sich wiederholenden Collistonssällen, von der sich unsre abstracten Po-


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[0510] der Situation geben, deren Wirkung aber verloren geht, wenn man vorher dnrch die langen Auseinandersetzungen und häufige Wiederholungen ermüdet ist. Wir haben beiden Staatsmännern das Prädicat „liberal" gegeben, obgleich sie, scheinbar zu zwei entgegengesetzten Parteien gehörten. Hardenberg verfolgte eine progressistische, Peel eine conservative Richtung; aber wir müssen uns allmählich daran gewöhnen, in dem Begriff des Liberalismus, wenn man ihn zum Unterschied von den radicalen und demokratischen Parteien gebraucht, neben der Idee des Fortschritts auch noch ein cvnservativeS Moment zu suchen, dessen sich auch der kühnste Staatsmann nicht wird einschlagen können. Der Theoretiker kann und soll bei der Vertheidigung seines politischen Princips mit einer gewissen Rück¬ sichtslosigkeit zu Werke gehen, deun es muß ihm vorzugsweise daraus ankomme», das Neue, das er gefunden hat, gegen die Vorurtheile der Masse, die sich stets gegen das Neue sträubt, mit Schärfe und Entschiedenheit zu vertreten. Dem Staatsmann ist eine solche Rücksichtslosigkeit nicht erlaubt; er muß bis zu einem gewissen Grade immer über den Parteien stehen, d. h. er muß die verschiedenen, zum Theil widersprechenden Gesichtspunkte, die ans den concreten Verwickelungen seiner Lage sich ergeben, immer zugleich im Auge behalten. Wenn daher d'Jsraeli in seiner berühmten Rede gegen Peel als einen großen Staatsmann nnr Den¬ jenigen gelten lassen wollte, den man mit einem wichtigen Princip identificiren könne, so ist das nur halb wahr, wenigstens wird in diesem Ausspruch die eine Seite der staatsmännischen Thätigkeit vollständig verkannt: die unbedingte Herr¬ schaft über die gegebenen Verhältnisse, deren Fülle und Mannichfaltigkeit »ach einem abstracten Princip nicht abgemessen werden kann. Es ist daher ein Irrthum, in den wir häufig verfalle», wem, wir vo» ziemlich allen vernünftigen Engländern Peel als großen Staatsmann rühmen hören, daß wir diesen Ruhm aus seine welthistorischen Thaten einschränke». Allerdings gehört Das dazu, und es sind durch seine Energie und Ausdauer eine Menge Reformen im Englischen Staatsleben möglich geworden, die vorzugsweise seinen Namen auf die Nachwelt bringen werden; allein wenn sich sein Verdienst darauf allein beschränkte, so wäre es doch ein zweifelhaftes, denn er ist »M Erfinder jeuer Ideen, er hat sich vielmehr mit großer Hartnäckigkeit dagegen gesträubt, und es könnte wenigstens fraglich erscheinen, ob es nicht ohne diese» Widerstand seinen Gegner» gelungen wäre, sie früher durchzuführen.u¬ Wenn der Engländer von Peel'S Große spricht, so meint er vielmehr z nächst etwas Anderes. Die Staatsverwaltung beruht nicht blos in den Refor¬ men, die doch immer nur von Zeit zu Zeit eintreten können, das Leben des Englischen Staatsmanns ist vielmehr eine unaufhörliche, furchtbar anstrengende Productivität, und erfordert eine Arbeitskraft, eine umfassende Einsicht in "lie öffentlichen Verhältnisse, und eine zugleich umsichtige und entschiedene Energie in den täglich sich wiederholenden Collistonssällen, von der sich unsre abstracten Po-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/510>, abgerufen am 02.07.2024.