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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Armatur vor Hauptmanns Quartier sein, denn hier wurde jeder Einzelne von
Officieren und Unteroffizieren sorgfältig gemustert, und war am Kopfputze, der
Kleidung und den Waffen der geringste Mangel, oder kam Einer zu spät, so
fing der Stock das Tagwerk an. Nun war der Marsch bis zum Corps oft'eine
Stunde und länger, dann wurde in brennender Sonne, Pulverdampf und Staub
bis 12 oder 1 Uhr manövrirt. Wehe Dem, der nach schlafloser Nacht in den
Pausen zur Erquickung Nichts hatte, als trocknes Brod und Branntwein, und in der
Erschlaffung Fehler machte, denn diese wurden, ehe man sich trennte, vor Haupt¬
manns Quartier bestraft.

Mau hätte glauben sollen, die Leute hätten sich das aus die Dauer nicht
gefallen lassen, oder sie wären lebenslänglich über solche Erpressung und Quälerei
erbittert gewesen. Die Macht der Gewohnheit läßt den Menschen in seiner Hunde-
natur Alles ertragen. Nie horte man eine Bitterkeit oder einen Fluch darüber,
oder über den Landesherr". Wenn bei Volks- oder Familien-Festen oder über
Feierabend die alten Männer zusammcnsaszen, so kam das Gespräch alsbald auf
ihr Lieblingsthema, ihren Soldatenstand. Es waren ihre Universitätsjahrc; mit
Lust sprachen sie von ihren Feldzügen, nahmen ihre Officiere und Unterofficiere
durch, erwähnten so mancher Aeußerung, manches Vorfalls, und beschrieben die Orte
und Gegenden, wo sie gewesen waren, auss Genaueste. Die Jünglinge und
Knaben'hörten aufmerksam zu.

Das Soldatenleben hatte unbeabsichtigt manche gute Folge sür das Leben-
Die Männer noch mehr als die Frauen hielten ans Ordnung und Reinlichkeit
in Kleidung, Wohnung und Geräthen; sie hielten auf körperliche Haltung,
waren bescheiden, ja unterwürfig gegen den Vorgesetzten; ans Mißtrauen vorsich¬
tig in Aeußerungen; waren über viele Dinge aufgeklärt, selteu abergläubisch, und
hatten sich viel Gutes sür Viehzucht, Ackerbau und Obstpflauzung angeeignet.

Eine andere Frage ist, ob der Regent die Geldnot!) der Truppen, und wie
das Land ausgesogen wurde, gekannt hat? Man kann unbedingt mit Ja! ant¬
worten. Er war ein zu guter Rechner, er kannte die Preise der Lebensbedürf¬
nisse zu genau, als daß er nicht gewußt hätte, daß ein gesunder Mann mit dem
kümmerlichen Solde nicht leben konnte, und daß Gardisten bettelten. Nock ge¬
nauer wußte - er es vom Officiercorps durch dessen Eingabe; aber die Leiden¬
schaft, eine imposante Kriegsmacht zu besitzen, verbunden mit der Liebe zum Gelde,
hat das Land in seiner langen Regierung unglücklich gemacht.

Ein Vorwurf aber trifft ihn nicht ganz, nämlich wegen des Verkaufs von
12,000 Hessen nach Amerika im Jahre 1776, er kam erst nach seines Vaters,
des Landgr. Friedrichs U, Tode 1783 zur Regierung. Er war aber seit 1764
Regent über die Grafschaft Hanau, und hat als solcher an dieser Menschenliefe-
rnng Theil genommen. Allein das war Unrecht, daß er sich mit diesem ungeheu¬
ren Schatze nach des Vaters Tode nicht begnügte, sondern den Jaik MV. das


Armatur vor Hauptmanns Quartier sein, denn hier wurde jeder Einzelne von
Officieren und Unteroffizieren sorgfältig gemustert, und war am Kopfputze, der
Kleidung und den Waffen der geringste Mangel, oder kam Einer zu spät, so
fing der Stock das Tagwerk an. Nun war der Marsch bis zum Corps oft'eine
Stunde und länger, dann wurde in brennender Sonne, Pulverdampf und Staub
bis 12 oder 1 Uhr manövrirt. Wehe Dem, der nach schlafloser Nacht in den
Pausen zur Erquickung Nichts hatte, als trocknes Brod und Branntwein, und in der
Erschlaffung Fehler machte, denn diese wurden, ehe man sich trennte, vor Haupt¬
manns Quartier bestraft.

Mau hätte glauben sollen, die Leute hätten sich das aus die Dauer nicht
gefallen lassen, oder sie wären lebenslänglich über solche Erpressung und Quälerei
erbittert gewesen. Die Macht der Gewohnheit läßt den Menschen in seiner Hunde-
natur Alles ertragen. Nie horte man eine Bitterkeit oder einen Fluch darüber,
oder über den Landesherr». Wenn bei Volks- oder Familien-Festen oder über
Feierabend die alten Männer zusammcnsaszen, so kam das Gespräch alsbald auf
ihr Lieblingsthema, ihren Soldatenstand. Es waren ihre Universitätsjahrc; mit
Lust sprachen sie von ihren Feldzügen, nahmen ihre Officiere und Unterofficiere
durch, erwähnten so mancher Aeußerung, manches Vorfalls, und beschrieben die Orte
und Gegenden, wo sie gewesen waren, auss Genaueste. Die Jünglinge und
Knaben'hörten aufmerksam zu.

Das Soldatenleben hatte unbeabsichtigt manche gute Folge sür das Leben-
Die Männer noch mehr als die Frauen hielten ans Ordnung und Reinlichkeit
in Kleidung, Wohnung und Geräthen; sie hielten auf körperliche Haltung,
waren bescheiden, ja unterwürfig gegen den Vorgesetzten; ans Mißtrauen vorsich¬
tig in Aeußerungen; waren über viele Dinge aufgeklärt, selteu abergläubisch, und
hatten sich viel Gutes sür Viehzucht, Ackerbau und Obstpflauzung angeeignet.

Eine andere Frage ist, ob der Regent die Geldnot!) der Truppen, und wie
das Land ausgesogen wurde, gekannt hat? Man kann unbedingt mit Ja! ant¬
worten. Er war ein zu guter Rechner, er kannte die Preise der Lebensbedürf¬
nisse zu genau, als daß er nicht gewußt hätte, daß ein gesunder Mann mit dem
kümmerlichen Solde nicht leben konnte, und daß Gardisten bettelten. Nock ge¬
nauer wußte - er es vom Officiercorps durch dessen Eingabe; aber die Leiden¬
schaft, eine imposante Kriegsmacht zu besitzen, verbunden mit der Liebe zum Gelde,
hat das Land in seiner langen Regierung unglücklich gemacht.

Ein Vorwurf aber trifft ihn nicht ganz, nämlich wegen des Verkaufs von
12,000 Hessen nach Amerika im Jahre 1776, er kam erst nach seines Vaters,
des Landgr. Friedrichs U, Tode 1783 zur Regierung. Er war aber seit 1764
Regent über die Grafschaft Hanau, und hat als solcher an dieser Menschenliefe-
rnng Theil genommen. Allein das war Unrecht, daß er sich mit diesem ungeheu¬
ren Schatze nach des Vaters Tode nicht begnügte, sondern den Jaik MV. das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/508>, abgerufen am 02.07.2024.