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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Nicht der unschuldige Zopf, souderu das grausame Soldatenspiel mit unbe¬
stimmtem Urlaub und elender Löhnung hat dem Lande die besten Arbeitskräfte
entzogen, den einzelnen Haushaltungen das Mark aus den Knochen gesogen, und
alle Wohlhabenheit des Landmannes, außer in den gesegnetste" Strichen, gehin¬
dert; und noch nach 30 Jahren ist der alte Schaden nicht überwachsen.

Wie war nun die Behandlung des Soldaten? stetes Schelten, furchtbares
Fluchen, Prügel und Spießruthen waren die Drcssurmittel; uicht eine Spur von
Humanität, mit seltenen Ausnahmen; dagegen mußte der Soldat oft der Gegen¬
stand sei", an welchem der mit seiner Lage unzufriedene Officier und Unterofficier
seinen Aerger ausließ, wie rohe Menschen oft an dem unschuldigen Weibe und
Kindern. Jeder Unterofficier trug neben dem Degen einen Stock, welchen er
ohne Verantwortung bei bemerkten Fehlern bis zu sechs Schlägen gebrauchen
konnte. Nun war der ganze Dienst reiner Kamaschendienst, bei welchem ein
Knopf, eine Schnalle oder andere Kleinigkeiten eine hohe Wichtigkeit hatten.

Empörend war das Spießruthenlaufen, bei welchen: die Kameraden den ent¬
blößten Rücken des Unglücklichen blutig bauen mußten; an deu Gliedern gingen
Untervfstciere, welche Die prügelten, welche nach ihrer Meinung nicht stark genng
geschlagen hatten. Ein Arzt ging neben her, welcher das Gesicht beobachtete und,
wenn Gefahr war, Halt! gebot. Nach dieser im Angesichts von oft Hunderten
von Zuschauern vollzogenen Execution mußte der arme Schelm dem Major noch
"ut entblößtem Haupte für gnädige Strafe danken.")

Wie lästig dieser Kamaschendienst war, möge nur noch die Revue oder die
große Musterung zeigen. Die zusammengezogenen Truppen lagen dicht, auch in
Scheuern. Nur wenige Burschen konnten sich selbst frisiren, Locken steifen und
Zopf machen; die geschicktem thaten an dem Tage, wo es galt, den Uebrigen
diesen Dienst. Da aber am Morgen nicht Zeit dazu war, so fing man Abends
"u; wer fertig war, durfte sich nicht hinlegen, sondern mußte im Sitzen schlafen.
Die Reiter hatten außer dein Kopspich noch eine Last mit ihren ledernen Bein¬
kleidern, welche umgefärbt sein und ohne Falte sitzen mußten. Da sie nun ge¬
trocknet schwer anzuziehen sind, und leicht nicht recht sitzen, so wurden sie ge¬
waschen und gefärbt, am Abende angezogen und trockneten Nachts am Leibe.
Man denke sich Reihen dieser Leute auf über Böcke oder Tonnen gelegten Bretern
die Nacht beständig im Schlaft nicken.

Mit dem Tage mußte mau mit der schon Tags vorher sorgfältigen Kleidung und



^) Bald nach der Hinrichtung des Königs von Frankreich saßen Ziimnergcsellcn. welche an
°r Saline bei Allendorf arbeiteten, in den Ruhestunden Mittags zusammen, und hätten gern
^"e Vorstellung von einer Guillotine gehabt. Kiner, welcher ans irgend eine Weise Kcnntnisi
^'"^ "halten, hatte, verfertigte in Eile von dem Holzabfallc ein Modell. Das sprach sich
lauf -^"^ "'"'^ zum Regimente beordert, und mußte für den Vorwitz zehn Mal Gassen
her. So verhaßt war dem Kurfürsten Alles, was an die Revolution erinnerte.
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Nicht der unschuldige Zopf, souderu das grausame Soldatenspiel mit unbe¬
stimmtem Urlaub und elender Löhnung hat dem Lande die besten Arbeitskräfte
entzogen, den einzelnen Haushaltungen das Mark aus den Knochen gesogen, und
alle Wohlhabenheit des Landmannes, außer in den gesegnetste» Strichen, gehin¬
dert; und noch nach 30 Jahren ist der alte Schaden nicht überwachsen.

Wie war nun die Behandlung des Soldaten? stetes Schelten, furchtbares
Fluchen, Prügel und Spießruthen waren die Drcssurmittel; uicht eine Spur von
Humanität, mit seltenen Ausnahmen; dagegen mußte der Soldat oft der Gegen¬
stand sei», an welchem der mit seiner Lage unzufriedene Officier und Unterofficier
seinen Aerger ausließ, wie rohe Menschen oft an dem unschuldigen Weibe und
Kindern. Jeder Unterofficier trug neben dem Degen einen Stock, welchen er
ohne Verantwortung bei bemerkten Fehlern bis zu sechs Schlägen gebrauchen
konnte. Nun war der ganze Dienst reiner Kamaschendienst, bei welchem ein
Knopf, eine Schnalle oder andere Kleinigkeiten eine hohe Wichtigkeit hatten.

Empörend war das Spießruthenlaufen, bei welchen: die Kameraden den ent¬
blößten Rücken des Unglücklichen blutig bauen mußten; an deu Gliedern gingen
Untervfstciere, welche Die prügelten, welche nach ihrer Meinung nicht stark genng
geschlagen hatten. Ein Arzt ging neben her, welcher das Gesicht beobachtete und,
wenn Gefahr war, Halt! gebot. Nach dieser im Angesichts von oft Hunderten
von Zuschauern vollzogenen Execution mußte der arme Schelm dem Major noch
»ut entblößtem Haupte für gnädige Strafe danken.")

Wie lästig dieser Kamaschendienst war, möge nur noch die Revue oder die
große Musterung zeigen. Die zusammengezogenen Truppen lagen dicht, auch in
Scheuern. Nur wenige Burschen konnten sich selbst frisiren, Locken steifen und
Zopf machen; die geschicktem thaten an dem Tage, wo es galt, den Uebrigen
diesen Dienst. Da aber am Morgen nicht Zeit dazu war, so fing man Abends
"u; wer fertig war, durfte sich nicht hinlegen, sondern mußte im Sitzen schlafen.
Die Reiter hatten außer dein Kopspich noch eine Last mit ihren ledernen Bein¬
kleidern, welche umgefärbt sein und ohne Falte sitzen mußten. Da sie nun ge¬
trocknet schwer anzuziehen sind, und leicht nicht recht sitzen, so wurden sie ge¬
waschen und gefärbt, am Abende angezogen und trockneten Nachts am Leibe.
Man denke sich Reihen dieser Leute auf über Böcke oder Tonnen gelegten Bretern
die Nacht beständig im Schlaft nicken.

Mit dem Tage mußte mau mit der schon Tags vorher sorgfältigen Kleidung und



^) Bald nach der Hinrichtung des Königs von Frankreich saßen Ziimnergcsellcn. welche an
°r Saline bei Allendorf arbeiteten, in den Ruhestunden Mittags zusammen, und hätten gern
^"e Vorstellung von einer Guillotine gehabt. Kiner, welcher ans irgend eine Weise Kcnntnisi
^'"^ "halten, hatte, verfertigte in Eile von dem Holzabfallc ein Modell. Das sprach sich
lauf -^"^ "'"'^ zum Regimente beordert, und mußte für den Vorwitz zehn Mal Gassen
her. So verhaßt war dem Kurfürsten Alles, was an die Revolution erinnerte.
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[0507] Nicht der unschuldige Zopf, souderu das grausame Soldatenspiel mit unbe¬ stimmtem Urlaub und elender Löhnung hat dem Lande die besten Arbeitskräfte entzogen, den einzelnen Haushaltungen das Mark aus den Knochen gesogen, und alle Wohlhabenheit des Landmannes, außer in den gesegnetste» Strichen, gehin¬ dert; und noch nach 30 Jahren ist der alte Schaden nicht überwachsen. Wie war nun die Behandlung des Soldaten? stetes Schelten, furchtbares Fluchen, Prügel und Spießruthen waren die Drcssurmittel; uicht eine Spur von Humanität, mit seltenen Ausnahmen; dagegen mußte der Soldat oft der Gegen¬ stand sei», an welchem der mit seiner Lage unzufriedene Officier und Unterofficier seinen Aerger ausließ, wie rohe Menschen oft an dem unschuldigen Weibe und Kindern. Jeder Unterofficier trug neben dem Degen einen Stock, welchen er ohne Verantwortung bei bemerkten Fehlern bis zu sechs Schlägen gebrauchen konnte. Nun war der ganze Dienst reiner Kamaschendienst, bei welchem ein Knopf, eine Schnalle oder andere Kleinigkeiten eine hohe Wichtigkeit hatten. Empörend war das Spießruthenlaufen, bei welchen: die Kameraden den ent¬ blößten Rücken des Unglücklichen blutig bauen mußten; an deu Gliedern gingen Untervfstciere, welche Die prügelten, welche nach ihrer Meinung nicht stark genng geschlagen hatten. Ein Arzt ging neben her, welcher das Gesicht beobachtete und, wenn Gefahr war, Halt! gebot. Nach dieser im Angesichts von oft Hunderten von Zuschauern vollzogenen Execution mußte der arme Schelm dem Major noch »ut entblößtem Haupte für gnädige Strafe danken.") Wie lästig dieser Kamaschendienst war, möge nur noch die Revue oder die große Musterung zeigen. Die zusammengezogenen Truppen lagen dicht, auch in Scheuern. Nur wenige Burschen konnten sich selbst frisiren, Locken steifen und Zopf machen; die geschicktem thaten an dem Tage, wo es galt, den Uebrigen diesen Dienst. Da aber am Morgen nicht Zeit dazu war, so fing man Abends "u; wer fertig war, durfte sich nicht hinlegen, sondern mußte im Sitzen schlafen. Die Reiter hatten außer dein Kopspich noch eine Last mit ihren ledernen Bein¬ kleidern, welche umgefärbt sein und ohne Falte sitzen mußten. Da sie nun ge¬ trocknet schwer anzuziehen sind, und leicht nicht recht sitzen, so wurden sie ge¬ waschen und gefärbt, am Abende angezogen und trockneten Nachts am Leibe. Man denke sich Reihen dieser Leute auf über Böcke oder Tonnen gelegten Bretern die Nacht beständig im Schlaft nicken. Mit dem Tage mußte mau mit der schon Tags vorher sorgfältigen Kleidung und ^) Bald nach der Hinrichtung des Königs von Frankreich saßen Ziimnergcsellcn. welche an °r Saline bei Allendorf arbeiteten, in den Ruhestunden Mittags zusammen, und hätten gern ^"e Vorstellung von einer Guillotine gehabt. Kiner, welcher ans irgend eine Weise Kcnntnisi ^'"^ "halten, hatte, verfertigte in Eile von dem Holzabfallc ein Modell. Das sprach sich lauf -^"^ "'"'^ zum Regimente beordert, und mußte für den Vorwitz zehn Mal Gassen her. So verhaßt war dem Kurfürsten Alles, was an die Revolution erinnerte. 03

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/507>, abgerufen am 02.07.2024.