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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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dennoch zu sehen. Was ist denn die Welt, und was machen wir darauf, wenn
man den Himmel umschleiern muß, um in Frieden zu leben? u. s. w." Diese
und ähnliche poetische Einfälle hat er in Prosa in seiner Vnnkv"lion ä'un cui-me
"locke- ausführlicher ausgesprochen. Es geht ihm gerade, wie Janin und den
übrigen coguctten Skeptiker"; sie werfen sich vor den'Altären nieder, uicht um
einen bestimmten Gegenstand anzubeten, sondern um ihrem zu schweren Haupt
eine Stütze zu geben. Er flüchtet mit einer unnennbaren Angst bald zu deu heitern
Göttergestalten des Olymp (die er übrigens in' seinem Nvlla mit wirklicher Poesie
schildert), bald zu dem bleichen Antlitz von Golgatha. "O Christus, ich gehöre
uicht zu Denen, welche das Gebet in Deinen stummen Tempel mit zitternden
Schritten sührt, die zu Deiner Schädelstätte wallfahrten, um Deine blutenden
Füße zu küssen; ich stehe aufrecht in Deinen heiligen Hallen, wenn Dein treues
Volk sich murmelnd unter dem Lufthauch der Hymnen beugt, wie Schilf im Nord¬
wind; ich glaube nicht, v Christus, an Dein heiliges Wort, ich bin zu spät in
eine zu alte Welt gekommen, aus einem Jahrhundert ohne Hoffnung geht ein
Jahrhundert ohne Furcht hervor; die Kometen des unsrigen haben die Himmel
entvölkert. Jetzt treibt der Zufall die.von ihren Träumen aufgeweckten Welten
schattengleich vor sich her; der Geist der Vergangenheit, auf ihren Trümmer"
umherirrend, stürzt Deine verstümmelten Engel in den ewigen Abgrund; kam"
halten Dich noch die Nägel am Kreuze fest; Dein Ruhm ist todt, und auf unsrem
Kreuz von Ebenholz ist Dein himmlischer Leichnam in Stand verfallen. Aber
dennoch muß das ungläubigste Kind dieses glaubenlosen Jahrhunderts den Staub
küssen und weinen aus dieser kalten Erde, die vou Deinem Tod lebte, und die ohne
Dich sterben wird. Wer soll ihr jetzt das Leben wiedergeben? Mit Deinem reinen
Blute hast Du sie verjüngt; wer soll uns verjüngen, uns Greise von gestern?"^

Auf solche und ähnliche poetische Ausbrüche, an deren voller Aufrichtig^
ich übrigens nicht zweifle, die mir vielmehr erst Vieles in dieser Dichtung erklären
müssen, was sonst unbegreiflich wäre, folgen dann sofort jene Scenen des
brechens, des Lasters und des Schmuzes, welche die andere Seite des Bildet
ausmachen. Je elender die Welt ist, desto mehr wird sie sich nach Christus sehne".
Wir nehmen ein psychologisches Interesse an diesem Schmerz des Gedankens,
der über sich selbst nicht Herr werden kann, und dem daher vor sich selber grani,
aber wir müssen, diesem haltlosen, angstvollen und coquetten Geist der Romantik
gegenüber, sehr ernsthaft und entschieden ein großes und segeureiches Zeitalter u
Schutz nehmen, welches zwar auch frivol war, aber nur gegen das Lächerliche
auch ungläubig, aber nur gegen Das, was dem Verstand und dem Herzen wider-
sprach, und welches in seiner anscheinenden heitern Leichtfertigkeit mehr erni
Nachdenken, und mehr wahres Gefühl verbarg, als dieser moderne heidnische
Pietismus, der erst lästern, sündigen und fluchen muß, ehe er sich der süße"
2> ^' Thränen einer grenzenlosen Neue und Sehnsucht erfreut.




dennoch zu sehen. Was ist denn die Welt, und was machen wir darauf, wenn
man den Himmel umschleiern muß, um in Frieden zu leben? u. s. w." Diese
und ähnliche poetische Einfälle hat er in Prosa in seiner Vnnkv»lion ä'un cui-me
«locke- ausführlicher ausgesprochen. Es geht ihm gerade, wie Janin und den
übrigen coguctten Skeptiker»; sie werfen sich vor den'Altären nieder, uicht um
einen bestimmten Gegenstand anzubeten, sondern um ihrem zu schweren Haupt
eine Stütze zu geben. Er flüchtet mit einer unnennbaren Angst bald zu deu heitern
Göttergestalten des Olymp (die er übrigens in' seinem Nvlla mit wirklicher Poesie
schildert), bald zu dem bleichen Antlitz von Golgatha. „O Christus, ich gehöre
uicht zu Denen, welche das Gebet in Deinen stummen Tempel mit zitternden
Schritten sührt, die zu Deiner Schädelstätte wallfahrten, um Deine blutenden
Füße zu küssen; ich stehe aufrecht in Deinen heiligen Hallen, wenn Dein treues
Volk sich murmelnd unter dem Lufthauch der Hymnen beugt, wie Schilf im Nord¬
wind; ich glaube nicht, v Christus, an Dein heiliges Wort, ich bin zu spät in
eine zu alte Welt gekommen, aus einem Jahrhundert ohne Hoffnung geht ein
Jahrhundert ohne Furcht hervor; die Kometen des unsrigen haben die Himmel
entvölkert. Jetzt treibt der Zufall die.von ihren Träumen aufgeweckten Welten
schattengleich vor sich her; der Geist der Vergangenheit, auf ihren Trümmer»
umherirrend, stürzt Deine verstümmelten Engel in den ewigen Abgrund; kam»
halten Dich noch die Nägel am Kreuze fest; Dein Ruhm ist todt, und auf unsrem
Kreuz von Ebenholz ist Dein himmlischer Leichnam in Stand verfallen. Aber
dennoch muß das ungläubigste Kind dieses glaubenlosen Jahrhunderts den Staub
küssen und weinen aus dieser kalten Erde, die vou Deinem Tod lebte, und die ohne
Dich sterben wird. Wer soll ihr jetzt das Leben wiedergeben? Mit Deinem reinen
Blute hast Du sie verjüngt; wer soll uns verjüngen, uns Greise von gestern?"^

Auf solche und ähnliche poetische Ausbrüche, an deren voller Aufrichtig^
ich übrigens nicht zweifle, die mir vielmehr erst Vieles in dieser Dichtung erklären
müssen, was sonst unbegreiflich wäre, folgen dann sofort jene Scenen des
brechens, des Lasters und des Schmuzes, welche die andere Seite des Bildet
ausmachen. Je elender die Welt ist, desto mehr wird sie sich nach Christus sehne».
Wir nehmen ein psychologisches Interesse an diesem Schmerz des Gedankens,
der über sich selbst nicht Herr werden kann, und dem daher vor sich selber grani,
aber wir müssen, diesem haltlosen, angstvollen und coquetten Geist der Romantik
gegenüber, sehr ernsthaft und entschieden ein großes und segeureiches Zeitalter u
Schutz nehmen, welches zwar auch frivol war, aber nur gegen das Lächerliche
auch ungläubig, aber nur gegen Das, was dem Verstand und dem Herzen wider-
sprach, und welches in seiner anscheinenden heitern Leichtfertigkeit mehr erni
Nachdenken, und mehr wahres Gefühl verbarg, als dieser moderne heidnische
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/502>, abgerufen am 02.07.2024.