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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Kraft "ut mein Leben verloren, meine Freude und meinen Frohsinn; ich habe
sogar den Stolz verloren, der mich an meinen Genius glauben liess. Als ich die
Wahrheit kennen lernte, glaubte ich, daß es eine Freundin wäre; als ich sie be¬
griff und empfand, war ich ihrer schon überdrüssig..... Das einzige Gute,
das mir in der Welt bleibt, ist, zuweilen geweint zu haben." Oder wenn el
einmal Frankreich mit der aus dem Grabe aufsteigenden Julictte vergleicht:

Wie gesagt, es ist in diesen Ausdrücken etwas Gemachtes, aber ans mich
machen gerade diejenigen Stellen, in denen er sich mir anscheinend ausschweifen¬
der Lustigkeit bewegt, einen eben so frostigen, unheimlichen Eindruck. An Zwei¬
feln und Verzweiflung wetteifert er mit dem alten Hamlet; er glaubt nicht an
das Gute und Wahre, und doch sehnt er sich, daran zu glauben. Seine Blasirt-
heit, die er zuweilen zur Schan trägt, als ob sie etwas Schönes wäre, beruht
'"ehe auf dem Unglauben an das Wesen des Ideals überhaupt, aber auch nicht
blos auf dem vermeintlichen Widerspruch zwischen diesem Ideal nud der Wirklich¬
st, sondern auf dem Widerspruch zwischen seinen verschiedenen
idealen. In dieser ungewissen und unklaren Stimmung ist er geneigt, die
großen Schriftsteller der Aufklärung anzuklagen, als hätte" sie ihm die Sicher¬
heit seines Denkens und Empfindens geraubt, in demselben Augenblick, wo er
>le an Frechheit und Frivolität um das Tausendfache überbietet. So hat er
einmal gerade eine recht scheußliche Scene geschildert, und zwar mit großem,
"Man Behagen, da bricht er plöM) gegen Voltaire los: "Bist Du zufrieden
'u Deinem Schlaf, Voltaire, und schwebt Dein häßliches Lächeln über Deine"
^fleischten Knochen? Dein Jahrhundert, sagt man, war zu jung, um Dich zu
verstehe"; das unsrige muß Dir gefallen, Deine Zeit ist gekommen. Es ist ein¬
stürzt ans uns, dieses erhabene Gebäude, welches Du mit Deinen breiten Hätt¬
en Tag und Nacht unterwühltest. Mit Ungeduld mußte Dich der Tod erwarten,
"ur den Dn achtzig Jahre hindurch mit teuflischer Liebe buhltest. Verlässest Du nie-
">"is das Hochzeitbett, auf dem Du die Würmer des Grabes umarmst, um mit
Deiner bl ,? eichen Stiru ein verlassenes Kloster oder ein altes Schloß heimzusuchen
^"s sagen Dir alsdann diese gewaltigen Leichname, diese schweigenden Mauern
"Ub diese verwüsteten Altäre, welche Dein Athem für die Ewigkeit entvölkert hat?
sagt Dir das Krenz, was sagt Dir der Messias? Bindet er noch, wenn
em nächtliches Gespenst an seinem zitternden Stamm rüttelt, um ihn hcrabzu-
rcchen wie eine kranke Blume?" -- Er sehnt sich nach einer Religion. Gern
nichte ex ^ach der Weise Epikur's das Leben der Frende leben, aber "er kann
^ nicht, das Unendliche macht ihm Qual, er kauu nicht daran denken ohne Furcht
ohne Hoffnung; seine Verminst entsetzt sich, es nicht zu begreifen und es


Kraft »ut mein Leben verloren, meine Freude und meinen Frohsinn; ich habe
sogar den Stolz verloren, der mich an meinen Genius glauben liess. Als ich die
Wahrheit kennen lernte, glaubte ich, daß es eine Freundin wäre; als ich sie be¬
griff und empfand, war ich ihrer schon überdrüssig..... Das einzige Gute,
das mir in der Welt bleibt, ist, zuweilen geweint zu haben." Oder wenn el
einmal Frankreich mit der aus dem Grabe aufsteigenden Julictte vergleicht:

Wie gesagt, es ist in diesen Ausdrücken etwas Gemachtes, aber ans mich
machen gerade diejenigen Stellen, in denen er sich mir anscheinend ausschweifen¬
der Lustigkeit bewegt, einen eben so frostigen, unheimlichen Eindruck. An Zwei¬
feln und Verzweiflung wetteifert er mit dem alten Hamlet; er glaubt nicht an
das Gute und Wahre, und doch sehnt er sich, daran zu glauben. Seine Blasirt-
heit, die er zuweilen zur Schan trägt, als ob sie etwas Schönes wäre, beruht
'"ehe auf dem Unglauben an das Wesen des Ideals überhaupt, aber auch nicht
blos auf dem vermeintlichen Widerspruch zwischen diesem Ideal nud der Wirklich¬
st, sondern auf dem Widerspruch zwischen seinen verschiedenen
idealen. In dieser ungewissen und unklaren Stimmung ist er geneigt, die
großen Schriftsteller der Aufklärung anzuklagen, als hätte» sie ihm die Sicher¬
heit seines Denkens und Empfindens geraubt, in demselben Augenblick, wo er
>le an Frechheit und Frivolität um das Tausendfache überbietet. So hat er
einmal gerade eine recht scheußliche Scene geschildert, und zwar mit großem,
"Man Behagen, da bricht er plöM) gegen Voltaire los: „Bist Du zufrieden
'u Deinem Schlaf, Voltaire, und schwebt Dein häßliches Lächeln über Deine»
^fleischten Knochen? Dein Jahrhundert, sagt man, war zu jung, um Dich zu
verstehe»; das unsrige muß Dir gefallen, Deine Zeit ist gekommen. Es ist ein¬
stürzt ans uns, dieses erhabene Gebäude, welches Du mit Deinen breiten Hätt¬
en Tag und Nacht unterwühltest. Mit Ungeduld mußte Dich der Tod erwarten,
"ur den Dn achtzig Jahre hindurch mit teuflischer Liebe buhltest. Verlässest Du nie-
">"is das Hochzeitbett, auf dem Du die Würmer des Grabes umarmst, um mit
Deiner bl ,? eichen Stiru ein verlassenes Kloster oder ein altes Schloß heimzusuchen
^"s sagen Dir alsdann diese gewaltigen Leichname, diese schweigenden Mauern
"Ub diese verwüsteten Altäre, welche Dein Athem für die Ewigkeit entvölkert hat?
sagt Dir das Krenz, was sagt Dir der Messias? Bindet er noch, wenn
em nächtliches Gespenst an seinem zitternden Stamm rüttelt, um ihn hcrabzu-
rcchen wie eine kranke Blume?" — Er sehnt sich nach einer Religion. Gern
nichte ex ^ach der Weise Epikur's das Leben der Frende leben, aber „er kann
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ohne Hoffnung; seine Verminst entsetzt sich, es nicht zu begreifen und es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/501>, abgerufen am 02.07.2024.