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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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noch schärfer hervor, >veil er nicht blos el" sehr bedeutendes Talent, sondern mich
eigentlich einen vollständig gesunden Menschenverstand besitzt, der sich liberal' geltend
macht, wo er es nicht mit seinen fixen Idee" zu thun hat. Seine Regellosigkeit
geht nie bis zu dieser wahnsinnigen Unnatur, wie z. B. bei Heine, der einmal
mit großer Lüsternheit seine Liebe zu einem Gespenst ausmalt; seine Frechheit
gegen alle sittlichen Voraussetzungen ist nie so siech, wie bei unsrem jungen Deutsch¬
land; das Gefühl für Ehre und Schande geht nie ganz bei ihm aus, er bleibt immer
Franzose, und das geht zuweilen so weit, daß in schwachen Stunden der militai-
rische Eroberungsdrang Napoleon's sich in ihm regt, wie z. B. damals, als er
das Nhcinlicd von Nikolaus Becker mit einer sehr dreisten Marseillaise beant¬
wortete. Er zeigt sogar, wenn er einmal ernsthaft analysirt, einen großen
Scharfsinn, und geht entschieden auf deu Kern der Sache; er weiß sehr gut den
letzten Grund aller der Uebelstände, die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie
zuerst in seinem Innern auszurotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand
setzt, sind seine Gedanken klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht
ans die Geburt des Grafen von Paris, welches' man mit deu schwülstige" "ut
servilen Oden Victor Hugo's und Lamarti"e's aus die Geburt des Herzogs von
Bordeaux vergleichen muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sei"
sittlicher Fonds ist.

Aber er bleibt nur selten längere Zeit in diesem natürlichen Fluß; jeden
Augenblick wird der gesunde Gang seiner Gedanken durch absichtlich eingestreute
cynische oder blasirte Einfälle, durch Coquetterie mit extravaganten und paradoxen
Vorstellungen, und durch jene gcgcustandlose Trauer unterbrochen, die etwas Un¬
reifes "ut Widerwärtiges hat, denn sie tritt in demselben Augenblick ein, wo er
sich für den Gegenstand begeistert, der dann wieder sein Herz schwer macht.
ist das eine Unwahrheit, nicht gegen Andere, sondern gegen sich selber. Sie hat
ihren Grund in der Anticipation idealer Empfindnnge", die bei unsrer literarische"
Jugend so häusig ist. Ihr Gehirn wird müde, noch ehe es gedacht hat; ihr
Gefühl ist ausgegeben, noch ehe es einen Gegenstand gefunden; sobald das wirk¬
liche Leben eintritt, entschwinden ihre träumerischen Illusionen, sie stürzen sich '"'^
einer gewissen Leidenschaftlichkeit in das Chaos der unsittlichen Welt, die sie Hass"''
weil sie noch immer im Geheimen ihr Ideal im Herzen tragen, an die sie aber
doch allein glauben, da sie nicht die Kraft fühlen, ihr zu widerstehen; so ist ihr
' Haß gegen die Idealität zugleich Haß gegen die Wirklichkeit, und' ihre geniale Kühn¬
heit nur der Versuch, sich der Bekümmerniß über ihre verfehlte Existenz zu entziehene

Man möge sich durch den lustigen und frivolen äußern Anstrich dieser Poesi
nicht täuschen lassen, der Gnmdzug derselben ist herbe und bittere Melancholie-
Ich will kein so großes Gewicht auf die einzelnen Ausbrüche legen, in denen sich dieses
Gefühl direct ausspricht, denn in diese" ist theils eine vorübergehende Stimmung,
theils auch wol etwas Coquetterie. So z. B. ein Sonett: "Ich habe meine


noch schärfer hervor, >veil er nicht blos el» sehr bedeutendes Talent, sondern mich
eigentlich einen vollständig gesunden Menschenverstand besitzt, der sich liberal' geltend
macht, wo er es nicht mit seinen fixen Idee» zu thun hat. Seine Regellosigkeit
geht nie bis zu dieser wahnsinnigen Unnatur, wie z. B. bei Heine, der einmal
mit großer Lüsternheit seine Liebe zu einem Gespenst ausmalt; seine Frechheit
gegen alle sittlichen Voraussetzungen ist nie so siech, wie bei unsrem jungen Deutsch¬
land; das Gefühl für Ehre und Schande geht nie ganz bei ihm aus, er bleibt immer
Franzose, und das geht zuweilen so weit, daß in schwachen Stunden der militai-
rische Eroberungsdrang Napoleon's sich in ihm regt, wie z. B. damals, als er
das Nhcinlicd von Nikolaus Becker mit einer sehr dreisten Marseillaise beant¬
wortete. Er zeigt sogar, wenn er einmal ernsthaft analysirt, einen großen
Scharfsinn, und geht entschieden auf deu Kern der Sache; er weiß sehr gut den
letzten Grund aller der Uebelstände, die er beklagt, aber er denkt nicht daran, sie
zuerst in seinem Innern auszurotten. Wo er sich einen bestimmten Gegenstand
setzt, sind seine Gedanken klar, seine Sprache edel; so z. B. in seinem Gedicht
ans die Geburt des Grafen von Paris, welches' man mit deu schwülstige» »ut
servilen Oden Victor Hugo's und Lamarti»e's aus die Geburt des Herzogs von
Bordeaux vergleichen muß, um zu empfinden, wie viel gesünder eigentlich sei«
sittlicher Fonds ist.

Aber er bleibt nur selten längere Zeit in diesem natürlichen Fluß; jeden
Augenblick wird der gesunde Gang seiner Gedanken durch absichtlich eingestreute
cynische oder blasirte Einfälle, durch Coquetterie mit extravaganten und paradoxen
Vorstellungen, und durch jene gcgcustandlose Trauer unterbrochen, die etwas Un¬
reifes »ut Widerwärtiges hat, denn sie tritt in demselben Augenblick ein, wo er
sich für den Gegenstand begeistert, der dann wieder sein Herz schwer macht.
ist das eine Unwahrheit, nicht gegen Andere, sondern gegen sich selber. Sie hat
ihren Grund in der Anticipation idealer Empfindnnge», die bei unsrer literarische»
Jugend so häusig ist. Ihr Gehirn wird müde, noch ehe es gedacht hat; ihr
Gefühl ist ausgegeben, noch ehe es einen Gegenstand gefunden; sobald das wirk¬
liche Leben eintritt, entschwinden ihre träumerischen Illusionen, sie stürzen sich '"'^
einer gewissen Leidenschaftlichkeit in das Chaos der unsittlichen Welt, die sie Hass"''
weil sie noch immer im Geheimen ihr Ideal im Herzen tragen, an die sie aber
doch allein glauben, da sie nicht die Kraft fühlen, ihr zu widerstehen; so ist ihr
' Haß gegen die Idealität zugleich Haß gegen die Wirklichkeit, und' ihre geniale Kühn¬
heit nur der Versuch, sich der Bekümmerniß über ihre verfehlte Existenz zu entziehene

Man möge sich durch den lustigen und frivolen äußern Anstrich dieser Poesi
nicht täuschen lassen, der Gnmdzug derselben ist herbe und bittere Melancholie-
Ich will kein so großes Gewicht auf die einzelnen Ausbrüche legen, in denen sich dieses
Gefühl direct ausspricht, denn in diese« ist theils eine vorübergehende Stimmung,
theils auch wol etwas Coquetterie. So z. B. ein Sonett: „Ich habe meine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/500>, abgerufen am 04.07.2024.