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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Nvlla, hat der Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld
durchgebracht, und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht
mit einem recht schonen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie die
meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette für ihn zu versetzen:
gerührt über so viel Liebe, schlägt er es ans und tobtet sich. Die Pointe fehlt. --
Aehnlich ist der Verlauf aller seiner Geschichten. Ich muß dabei bemerken, daß
diese Scheußlichkeiten keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind,
wie bei Eugen Sue, Souliv u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht aus die
Masse des Factischcn an, sondern ans die Emotionen, die es in der Seele erregt.
So ist auch in seiner Sinnlichkeit nicht jenes weiche, süßliche Wesen, das schmeich¬
lerisch verführt, sondern ein frecher Cynismus und eine individuelle Charakte¬
ristik, die mitunter etwas Humoristisches hat, und die nicht gerade unmoralischer
zu neunen ist, als jene sentimentale Sinnlichkeit.--Die Stimmung dieser Schil¬
derungen ist so augelegt, daß man auf die Idee kommen muß, er habe nicht
Ausnahmsfälle, sondern die allgemeinen Culturzustände seiner Zeit schildern wol¬
len, das Greuelwesen jenes modernen Babylon, welches bereits Barbier und
andere Satyriker mit so grellen Farben geschildert haben. Zwar ist auch darin
viel Coquetterie, aber leider nicht blos individuelle Ueberspannung. In dem Ver¬
führerischen, das diese moderne Gesellschaft charakterisirt, ist zugleich etwas Un¬
heimliches, wie die Wollust, die vom Kraiupf ergriffen wird und über bösen Ge¬
danken brütet. Es ist die Nachtseite von Paris, die jener Trennung entspricht,
welche der Franzose zwischen Pflicht und Neigung macht; zwischen der Thätigkeit,
die er abmacht, um leben zu können, und der fieberhaften Lust, der er zitternd
nachgeht, sobald er sich der verhaßte" Realität entzogen hat. In der äußerlichen
Erscheinung funkelt, leuchtet und blitzt diese wunderbare Welt, aber sie hat keine
Wärme. Es ist wie ein Feenpalast, der auf eiuen Sumpf gebant ist; ans der
Oberfläche ein Uebermaß von Geist, Witz, Grazie und Pracht, eine schwindelnde
bachantische Freude, die wild, aber nicht ohne Neiz ist, aber mitten in diesem
Glanz steigen unreine Ausdünstungen ans dem Wasser aus, und bald athmet man
eine Mischung von durchdringenden Parfüms und von Kohlendampf, ein der
mau erstickt. Der Selbstmord liegt hart neben der ausschweifenden Lust. Diese
Mischung von ätherischen und mephitischen Düften herrscht in der Pariser Dich¬
tung wie im Pariser Leben; nirgend aber mit so viel Energie, als bei unsrem
Dichter.

Noch ein zweiter Umstand, der scheinbar jener Verallgemeinerung des Lasters
widerspricht, dient nur dazu, diesen Zusammenhang noch deutlicher zu mache",
nämlich die absolute Subjectivität seiner Dichtung. Als Ergänzung der einförmigen
Cultur, welche eines der charakteristischen Momente Frankreichs ist, tritt in den
hoher" Schichten der Gesellschaft jene grenzenlose Ausbildung der Caprice n"d
der gesetzlosen Individualität hinzu, welche alles Maß aufhebt. Da solche wunder-


Nvlla, hat der Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld
durchgebracht, und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht
mit einem recht schonen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie die
meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette für ihn zu versetzen:
gerührt über so viel Liebe, schlägt er es ans und tobtet sich. Die Pointe fehlt. —
Aehnlich ist der Verlauf aller seiner Geschichten. Ich muß dabei bemerken, daß
diese Scheußlichkeiten keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind,
wie bei Eugen Sue, Souliv u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht aus die
Masse des Factischcn an, sondern ans die Emotionen, die es in der Seele erregt.
So ist auch in seiner Sinnlichkeit nicht jenes weiche, süßliche Wesen, das schmeich¬
lerisch verführt, sondern ein frecher Cynismus und eine individuelle Charakte¬
ristik, die mitunter etwas Humoristisches hat, und die nicht gerade unmoralischer
zu neunen ist, als jene sentimentale Sinnlichkeit.—Die Stimmung dieser Schil¬
derungen ist so augelegt, daß man auf die Idee kommen muß, er habe nicht
Ausnahmsfälle, sondern die allgemeinen Culturzustände seiner Zeit schildern wol¬
len, das Greuelwesen jenes modernen Babylon, welches bereits Barbier und
andere Satyriker mit so grellen Farben geschildert haben. Zwar ist auch darin
viel Coquetterie, aber leider nicht blos individuelle Ueberspannung. In dem Ver¬
führerischen, das diese moderne Gesellschaft charakterisirt, ist zugleich etwas Un¬
heimliches, wie die Wollust, die vom Kraiupf ergriffen wird und über bösen Ge¬
danken brütet. Es ist die Nachtseite von Paris, die jener Trennung entspricht,
welche der Franzose zwischen Pflicht und Neigung macht; zwischen der Thätigkeit,
die er abmacht, um leben zu können, und der fieberhaften Lust, der er zitternd
nachgeht, sobald er sich der verhaßte» Realität entzogen hat. In der äußerlichen
Erscheinung funkelt, leuchtet und blitzt diese wunderbare Welt, aber sie hat keine
Wärme. Es ist wie ein Feenpalast, der auf eiuen Sumpf gebant ist; ans der
Oberfläche ein Uebermaß von Geist, Witz, Grazie und Pracht, eine schwindelnde
bachantische Freude, die wild, aber nicht ohne Neiz ist, aber mitten in diesem
Glanz steigen unreine Ausdünstungen ans dem Wasser aus, und bald athmet man
eine Mischung von durchdringenden Parfüms und von Kohlendampf, ein der
mau erstickt. Der Selbstmord liegt hart neben der ausschweifenden Lust. Diese
Mischung von ätherischen und mephitischen Düften herrscht in der Pariser Dich¬
tung wie im Pariser Leben; nirgend aber mit so viel Energie, als bei unsrem
Dichter.

Noch ein zweiter Umstand, der scheinbar jener Verallgemeinerung des Lasters
widerspricht, dient nur dazu, diesen Zusammenhang noch deutlicher zu mache»,
nämlich die absolute Subjectivität seiner Dichtung. Als Ergänzung der einförmigen
Cultur, welche eines der charakteristischen Momente Frankreichs ist, tritt in den
hoher» Schichten der Gesellschaft jene grenzenlose Ausbildung der Caprice n»d
der gesetzlosen Individualität hinzu, welche alles Maß aufhebt. Da solche wunder-


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[0496] Nvlla, hat der Held, ein Mittelding zwischen Don Juan und Faust, all sein Geld durchgebracht, und will sich den folgenden Tag todten, vorher aber noch die Nacht mit einem recht schonen Freudenmädchen zubringen. Diese, gutmüthig, wie die meisten Geschöpfe der Art, erbietet sich, eine goldene Kette für ihn zu versetzen: gerührt über so viel Liebe, schlägt er es ans und tobtet sich. Die Pointe fehlt. — Aehnlich ist der Verlauf aller seiner Geschichten. Ich muß dabei bemerken, daß diese Scheußlichkeiten keineswegs mit dem breiten Materialismus ausgeführt sind, wie bei Eugen Sue, Souliv u. f. w.; es kommt dem Dichter nicht aus die Masse des Factischcn an, sondern ans die Emotionen, die es in der Seele erregt. So ist auch in seiner Sinnlichkeit nicht jenes weiche, süßliche Wesen, das schmeich¬ lerisch verführt, sondern ein frecher Cynismus und eine individuelle Charakte¬ ristik, die mitunter etwas Humoristisches hat, und die nicht gerade unmoralischer zu neunen ist, als jene sentimentale Sinnlichkeit.—Die Stimmung dieser Schil¬ derungen ist so augelegt, daß man auf die Idee kommen muß, er habe nicht Ausnahmsfälle, sondern die allgemeinen Culturzustände seiner Zeit schildern wol¬ len, das Greuelwesen jenes modernen Babylon, welches bereits Barbier und andere Satyriker mit so grellen Farben geschildert haben. Zwar ist auch darin viel Coquetterie, aber leider nicht blos individuelle Ueberspannung. In dem Ver¬ führerischen, das diese moderne Gesellschaft charakterisirt, ist zugleich etwas Un¬ heimliches, wie die Wollust, die vom Kraiupf ergriffen wird und über bösen Ge¬ danken brütet. Es ist die Nachtseite von Paris, die jener Trennung entspricht, welche der Franzose zwischen Pflicht und Neigung macht; zwischen der Thätigkeit, die er abmacht, um leben zu können, und der fieberhaften Lust, der er zitternd nachgeht, sobald er sich der verhaßte» Realität entzogen hat. In der äußerlichen Erscheinung funkelt, leuchtet und blitzt diese wunderbare Welt, aber sie hat keine Wärme. Es ist wie ein Feenpalast, der auf eiuen Sumpf gebant ist; ans der Oberfläche ein Uebermaß von Geist, Witz, Grazie und Pracht, eine schwindelnde bachantische Freude, die wild, aber nicht ohne Neiz ist, aber mitten in diesem Glanz steigen unreine Ausdünstungen ans dem Wasser aus, und bald athmet man eine Mischung von durchdringenden Parfüms und von Kohlendampf, ein der mau erstickt. Der Selbstmord liegt hart neben der ausschweifenden Lust. Diese Mischung von ätherischen und mephitischen Düften herrscht in der Pariser Dich¬ tung wie im Pariser Leben; nirgend aber mit so viel Energie, als bei unsrem Dichter. Noch ein zweiter Umstand, der scheinbar jener Verallgemeinerung des Lasters widerspricht, dient nur dazu, diesen Zusammenhang noch deutlicher zu mache», nämlich die absolute Subjectivität seiner Dichtung. Als Ergänzung der einförmigen Cultur, welche eines der charakteristischen Momente Frankreichs ist, tritt in den hoher» Schichten der Gesellschaft jene grenzenlose Ausbildung der Caprice n»d der gesetzlosen Individualität hinzu, welche alles Maß aufhebt. Da solche wunder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/496>, abgerufen am 04.07.2024.