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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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eine ihrer vielen Cardinaltugenden. Es giebt natürlich auch in dieser Beziehung
Ausnahmen und sehr würdige Ausnahmen; manche Grisette wird zum Schutzengel
ihres Freundes, sie opfert ihm ihr Leben, nachdem sie ihm ihre Ehre geopfert,
und das ist keine blinde, sondern eine ganz bewußte Ergebenheit, denn die armen
Geschöpfe wissen, daß mit Beendigung der Studien auch ihr Glück zu Ende geht,
und sie fügen sich in ihr Schicksal mit einer Resignation, die man in andern
Klassen vergebens suchte. Freilich manchmal auch bricht das arme Herz, und die
Morgue hat manchen Jammer zu erzählen. Mancher Roman findet hier seinen
tragischen Schluß, und gar mancher Mediciner sieht die Geliebte eines Schul¬
kameraden auf dem Sccirtische zum letzten Male wieder. Es ist überhaupt merk¬
würdig, daß in dem revolutionairen Paris noch eine solche Achtung vor den
Rangunterschiedeu herrscht, und es fällt diesen unglücklichen Geschöpfen gar nicht
ein, daß ein junger Doctor oder ein junger Advocat bis zu ihnen herabsteigen
könnte. Es steckt in der Pariser Grisette ein Gemisch von Leichtsinn und Auf¬
opferung, die allein sie auf die Bahn des Lasters führen. Sie hält das Schicksal
quitt für die wenigen Jahre jugendlichen Glücks, und nimmt ihre spätere Pro¬
stitution als eine unabweisbare Sühne hin.

Leider gehören diese Erscheinungen edler Weibernatnreu im (watior kaum
fast zu den Ausnahmen. Das Leben der Studenten ist ein rein liederliches ge¬
worden, und wirkt verderbend aus diese armen Geschöpfe, indem sie mit den
Bedürfnissen des Luxus, die ihnen sonst fremd gewesen, dem Laster in die Arme
geworfen werden. Das Verhältniß zwischen den jungen Leuten gestaltet sich da¬
durch zu einem eigennützigen, vertragsmäßigen.

Dies verhindert die Grisette, wie bemerkt, nicht, eifersüchtig zu sein, ">le
eine wahre Geliebte, und wehe dem Studiosus, der auf eiuer Untreue ertappt
wird, die er anders als an seinen Büchern ausübt. Die liebenswürdige Latei¬
nern: liest ihm den Text mit einer Beredsamkeit, der es anch an handgreifliche"
Argumenten nicht fehlt. Ihre Hand ist flink, und ein Paar Ohrfeigen sind leich¬
ter bekommen als vergessen. Sie weiß, daß sie von den männlichen Vorurtheilen
über Ehre und Genugthuung unberührt bleibt; sie braucht sich nicht zu schlagen,
und hat eben genug gethan, indem sie schlägt. Solche Scenen gehören in den
Regionen des gelehrten Stadtviertels keineswegs zu den Seltenheiten, und schließen
eben so wenig die radicalste Wiederversöhnung aus. Nur wenn der Gegenstand
der Untreue eine Freundin der betrogenen Geliebten ist, nimmt die Sache eine
ernstere Wendung, denn in diesem Falle muß unser Studiosus für den Verrath
an der Freundschaft und für seine eigene büßen.¬

Im <ZuM<zr latin giebt es keinen Sonntag, da für die Unterhaltung dorti
ger Jugend jeder Tag ein Festtag ist. Der Sonntag unterscheidet sich für den
Studenten nur darin, daß er im Sommer aus's Land hinaus zieht, um den
Schauplatz der Thorheiten, die er an Wochentagen im Suarl.u;r I-Mu übt, in


eine ihrer vielen Cardinaltugenden. Es giebt natürlich auch in dieser Beziehung
Ausnahmen und sehr würdige Ausnahmen; manche Grisette wird zum Schutzengel
ihres Freundes, sie opfert ihm ihr Leben, nachdem sie ihm ihre Ehre geopfert,
und das ist keine blinde, sondern eine ganz bewußte Ergebenheit, denn die armen
Geschöpfe wissen, daß mit Beendigung der Studien auch ihr Glück zu Ende geht,
und sie fügen sich in ihr Schicksal mit einer Resignation, die man in andern
Klassen vergebens suchte. Freilich manchmal auch bricht das arme Herz, und die
Morgue hat manchen Jammer zu erzählen. Mancher Roman findet hier seinen
tragischen Schluß, und gar mancher Mediciner sieht die Geliebte eines Schul¬
kameraden auf dem Sccirtische zum letzten Male wieder. Es ist überhaupt merk¬
würdig, daß in dem revolutionairen Paris noch eine solche Achtung vor den
Rangunterschiedeu herrscht, und es fällt diesen unglücklichen Geschöpfen gar nicht
ein, daß ein junger Doctor oder ein junger Advocat bis zu ihnen herabsteigen
könnte. Es steckt in der Pariser Grisette ein Gemisch von Leichtsinn und Auf¬
opferung, die allein sie auf die Bahn des Lasters führen. Sie hält das Schicksal
quitt für die wenigen Jahre jugendlichen Glücks, und nimmt ihre spätere Pro¬
stitution als eine unabweisbare Sühne hin.

Leider gehören diese Erscheinungen edler Weibernatnreu im (watior kaum
fast zu den Ausnahmen. Das Leben der Studenten ist ein rein liederliches ge¬
worden, und wirkt verderbend aus diese armen Geschöpfe, indem sie mit den
Bedürfnissen des Luxus, die ihnen sonst fremd gewesen, dem Laster in die Arme
geworfen werden. Das Verhältniß zwischen den jungen Leuten gestaltet sich da¬
durch zu einem eigennützigen, vertragsmäßigen.

Dies verhindert die Grisette, wie bemerkt, nicht, eifersüchtig zu sein, ">le
eine wahre Geliebte, und wehe dem Studiosus, der auf eiuer Untreue ertappt
wird, die er anders als an seinen Büchern ausübt. Die liebenswürdige Latei¬
nern: liest ihm den Text mit einer Beredsamkeit, der es anch an handgreifliche"
Argumenten nicht fehlt. Ihre Hand ist flink, und ein Paar Ohrfeigen sind leich¬
ter bekommen als vergessen. Sie weiß, daß sie von den männlichen Vorurtheilen
über Ehre und Genugthuung unberührt bleibt; sie braucht sich nicht zu schlagen,
und hat eben genug gethan, indem sie schlägt. Solche Scenen gehören in den
Regionen des gelehrten Stadtviertels keineswegs zu den Seltenheiten, und schließen
eben so wenig die radicalste Wiederversöhnung aus. Nur wenn der Gegenstand
der Untreue eine Freundin der betrogenen Geliebten ist, nimmt die Sache eine
ernstere Wendung, denn in diesem Falle muß unser Studiosus für den Verrath
an der Freundschaft und für seine eigene büßen.¬

Im <ZuM<zr latin giebt es keinen Sonntag, da für die Unterhaltung dorti
ger Jugend jeder Tag ein Festtag ist. Der Sonntag unterscheidet sich für den
Studenten nur darin, daß er im Sommer aus's Land hinaus zieht, um den
Schauplatz der Thorheiten, die er an Wochentagen im Suarl.u;r I-Mu übt, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/470>, abgerufen am 04.07.2024.