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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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einen der vielen reizenden Flecken der Pariser Umgebung zu verlegen. Aber
weder er, noch seine Grisette befinden sich anderweitig so beimisch, als in ihrem
geliebten Lateinerlande, und die Unterhaltung im ?raüo, oder im Sommer in
der "Äojzvrw UlW gehen ihm über Alles. Hier sind sie zu Hause, hier gehört
die Welt ihnen, da haben sie lauter bekannte Gesichter, denn außer den Stu¬
denten wagen sich nur die Künstlerscholaren Hieher, welche angeblich K reLkkickL
eines muäölt! sind. Es wäre überflüssig, zu erwähnen, daß es kein moüel" an
Tugend ist, was sie suchen.

Beim rauschenden Orchester des Herrn Pilodi, auf dem hellerleuchteten Wie¬
senplane, oder in den gehörig dunkel gelassenen Lauben und Schattengängen der
geschmackvoll angelegten Gärten, beim Tanze oder beim duftenden Mokka oder
beim berauschenden Gerstensäfte , bei der dampfenden Cigarre findet der Student
und die emancipirte Frau des neunzehnten Jahrhunderts ihre Lieblingszerstreuung.
Wenn die müden Beine nicht mehr Elasticität und Humor genug besitzen, um
den Ueberschwänglichkeiten zu genügen, die man in der Ologerie in-rs Tanz nennt,
Jede man sich um einen Tisch und verplaudert die Zeit, wie man nur in Paris
und wie namentlich nur die Pariserin zu plaudern versteht. Da werden auch die
neuen Chansons und Romane zum Besten gegeben, und deren Werke sanctionirt.
Ermangelung neuer Lieder kehrt man auch gern zu den ewig frischen Chan-
Ions Bcwanger's zurück. Dieser bleibt der Liebling der männlichen und weiblichen
Studentenwelt, er ist der Dichter der Jugend, so wie er der Sänger der Hütte
'se- B6ranger weiß dies sehr gut, und von Zeit zu Zeit schleicht er sich unter
seine Freunde, um in der Freude dieser rauschenden Jugend das Ich seiner eige¬
nen wiederzufinden.

Vergangenes Jahr erschien er einmal uuter der Studentenwelt, und saß lange
unbemerkt an der Seite seiner Lisette, die in unveränderliche Treue an ihm
^ugt, bei einem Bierschoppen. Plötzlich wird er erkannt, und ans den Ruf:
"^r-LmÄn^r of>. iLi!" eilt Alles herbei, und bildet einen dichten Kreis um den
Erschrockenen. "Vive Le-r-ax-zr!" erschallte es aus jedem Munde, und man stimmte
ein Lied des geliebten Dichters an. Hierauf wurde er mit Blumen, an denen
^ in Paris nirgends fehlen darf, wo Frauen sind, reichlich bekränzt, und er mußte
überdies jedem der anwesenden Mädchen einen Kuß geben. Nun sollte er im
^ riumph herumgetragen-werden, und erst ans vieles Bitten verschonte man den
^benswürdigen Chansonnier mit dieser Ovation, und ließ ihn entschlüpfen. Die
^etat für ihre großen Geister, mögen diese sich nnn in was immer für einem
"^che auszeichnen, ist den Franzosen aller Klassen gemeinschaftlich, und B^ranger
^urbe eine ähnliche Demonstration überall widerfahren, wo er nur erkannt würde.
"u glaube aber ja nicht, daß solche Kundgebungen im Bedürfnisse, Spectakel
rochen, ihren Grund haben; die Franzosen lieben theatralische Scenen, das
^ Niemand läugnen, allein ihre Huldigungen, die sie ihren Lieblingsschrift-


einen der vielen reizenden Flecken der Pariser Umgebung zu verlegen. Aber
weder er, noch seine Grisette befinden sich anderweitig so beimisch, als in ihrem
geliebten Lateinerlande, und die Unterhaltung im ?raüo, oder im Sommer in
der «Äojzvrw UlW gehen ihm über Alles. Hier sind sie zu Hause, hier gehört
die Welt ihnen, da haben sie lauter bekannte Gesichter, denn außer den Stu¬
denten wagen sich nur die Künstlerscholaren Hieher, welche angeblich K reLkkickL
eines muäölt! sind. Es wäre überflüssig, zu erwähnen, daß es kein moüel« an
Tugend ist, was sie suchen.

Beim rauschenden Orchester des Herrn Pilodi, auf dem hellerleuchteten Wie¬
senplane, oder in den gehörig dunkel gelassenen Lauben und Schattengängen der
geschmackvoll angelegten Gärten, beim Tanze oder beim duftenden Mokka oder
beim berauschenden Gerstensäfte , bei der dampfenden Cigarre findet der Student
und die emancipirte Frau des neunzehnten Jahrhunderts ihre Lieblingszerstreuung.
Wenn die müden Beine nicht mehr Elasticität und Humor genug besitzen, um
den Ueberschwänglichkeiten zu genügen, die man in der Ologerie in-rs Tanz nennt,
Jede man sich um einen Tisch und verplaudert die Zeit, wie man nur in Paris
und wie namentlich nur die Pariserin zu plaudern versteht. Da werden auch die
neuen Chansons und Romane zum Besten gegeben, und deren Werke sanctionirt.
Ermangelung neuer Lieder kehrt man auch gern zu den ewig frischen Chan-
Ions Bcwanger's zurück. Dieser bleibt der Liebling der männlichen und weiblichen
Studentenwelt, er ist der Dichter der Jugend, so wie er der Sänger der Hütte
'se- B6ranger weiß dies sehr gut, und von Zeit zu Zeit schleicht er sich unter
seine Freunde, um in der Freude dieser rauschenden Jugend das Ich seiner eige¬
nen wiederzufinden.

Vergangenes Jahr erschien er einmal uuter der Studentenwelt, und saß lange
unbemerkt an der Seite seiner Lisette, die in unveränderliche Treue an ihm
^ugt, bei einem Bierschoppen. Plötzlich wird er erkannt, und ans den Ruf:
"^r-LmÄn^r of>. iLi!" eilt Alles herbei, und bildet einen dichten Kreis um den
Erschrockenen. „Vive Le-r-ax-zr!" erschallte es aus jedem Munde, und man stimmte
ein Lied des geliebten Dichters an. Hierauf wurde er mit Blumen, an denen
^ in Paris nirgends fehlen darf, wo Frauen sind, reichlich bekränzt, und er mußte
überdies jedem der anwesenden Mädchen einen Kuß geben. Nun sollte er im
^ riumph herumgetragen-werden, und erst ans vieles Bitten verschonte man den
^benswürdigen Chansonnier mit dieser Ovation, und ließ ihn entschlüpfen. Die
^etat für ihre großen Geister, mögen diese sich nnn in was immer für einem
»^che auszeichnen, ist den Franzosen aller Klassen gemeinschaftlich, und B^ranger
^urbe eine ähnliche Demonstration überall widerfahren, wo er nur erkannt würde.
«u glaube aber ja nicht, daß solche Kundgebungen im Bedürfnisse, Spectakel
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^ Niemand läugnen, allein ihre Huldigungen, die sie ihren Lieblingsschrift-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/471>, abgerufen am 04.07.2024.