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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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gegeben. Die Knechte sprangen vor Lust in die Höhe, und schwenkten die Dir¬
nen herum, daß die kurzen, weiten Röcke weit abflogen. Ein Walzer nach dem
andern, "Lang-Englisch" und zuletzt der "Küssedanz" wurden unermüdlich bis spät
in die Nacht getanzt. Gegen Mitternacht mußte endlich die junge Frau ihr
Strumpfband abbinden, um das dann mit lautem Jubel eine Art Reihetanz ge¬
tanzt wurde. Dann zog sie sich unter dem Schmettern der Musik und dem
Hurrahrufen und Jauchzen der ganzen Menge in die mit Blumen und Kränzen
verzierte Hintere Kammer zurück, in welcher das hochaufgethürmte Brautbett stand.
Das Gelärme auf der Diele dauerte aber mit ungeschwächter Lust die ganze Nacht
bis zum hell anbrechenden Morgen fort. Oft ward die Musik von dem Blöken
der Kühe, dem Gewieher der jungen Pferde unterbrochen, die neugierig über den
ungewohnten Lärm ihre Kopfe über die Raufen steckten, mit ihren großen Augen
zwischen die Tanzenden schauend. In dem hintersten Winkel der Scheune saß
Jochen auf einem Strvhbuud, sich noch zuletzt recht auszuweinen. Schneidend
drangen die Klänge der Tanzmusik in sein Herz.

Im eigenen Holsteiner Wagen mit muthigen Schimmeln in blankem Geschirr
bespannt führte am andern Morgen der Roßkamm seine verweint aussehende junge
Frau in die Stadt. Hoch mit der reichen Aussteuer von Betten, Leinen und
Hausgeräth aller Art bepackt folgten die beiden Wagen des Schulzen. Das erste
Gespann führte der neue Großknecht an, denn Jochen's Dienstzeit war beendet.
Morgens früh schon hatte er nach Uebergabe der Pferde an seinen Nachfolger das
Haus ohne weitern Abschied verlassen. Seinen Koffer hatte er zu der Mutter
geschoben, und war dann still, ein kleines Bündel Sachen am Stock tragend, z"w
Dorfe hinausgegangen, ohne Jemandem zu sagen, wohin er sich wenden wolle.

Liesch lebte in dem stattlichen Hause ihres Mannes mit den großen hellen
Fensterscheiben und der grün angestrichenen Thür mit blanken Messingknöpfen.
Sorgsam führte sie den Haushalt, und war eine treue Stiefmutter der beiden
Kinder erster Ehe des Pferdehändlers, aber ein Lächeln hat Keiner wieder von
ihr gesehen. Ohne irgend eine bestimmte Krankheit zu haben, schwand sie hin,
und die Leute aus dem Dorfe, welche zufällig in der Stadt sie gesehen hatten,
pflegten daun stets zu sagen "Schulter hier Liesch hat den Doob an Harten".
Kaum ein Jahr nach ihrer Hochzeit ward ihre Leiche aus dem Hause getragen-

Vou Jochen ward im Dorfe Nichts weiter gehört, nur dann und wann
erhielt seine alte, fast stumpfsinnig gewordene Mutter einige Thaler geschickt, wofür
sie sich Kaffee und dergleichen Leckereien kaufte. In diesem Sommer brachte ein
Knecht, der Unterm Militair gewesen war und jetzt zurückkehrte, die Nachricht ins
Dorf, der Unterofficier vou dem Mecklenburgischen Dragonerregiment, der seiner
Schwadron kühn voraufreitend im Gefecht bei Düpel von einer Dänischen Kugel
durch deu Kopf geschossen wurde, sei der Jochen gewesen, der früher so lange beim
Schulte" gedient habe.




gegeben. Die Knechte sprangen vor Lust in die Höhe, und schwenkten die Dir¬
nen herum, daß die kurzen, weiten Röcke weit abflogen. Ein Walzer nach dem
andern, „Lang-Englisch" und zuletzt der „Küssedanz" wurden unermüdlich bis spät
in die Nacht getanzt. Gegen Mitternacht mußte endlich die junge Frau ihr
Strumpfband abbinden, um das dann mit lautem Jubel eine Art Reihetanz ge¬
tanzt wurde. Dann zog sie sich unter dem Schmettern der Musik und dem
Hurrahrufen und Jauchzen der ganzen Menge in die mit Blumen und Kränzen
verzierte Hintere Kammer zurück, in welcher das hochaufgethürmte Brautbett stand.
Das Gelärme auf der Diele dauerte aber mit ungeschwächter Lust die ganze Nacht
bis zum hell anbrechenden Morgen fort. Oft ward die Musik von dem Blöken
der Kühe, dem Gewieher der jungen Pferde unterbrochen, die neugierig über den
ungewohnten Lärm ihre Kopfe über die Raufen steckten, mit ihren großen Augen
zwischen die Tanzenden schauend. In dem hintersten Winkel der Scheune saß
Jochen auf einem Strvhbuud, sich noch zuletzt recht auszuweinen. Schneidend
drangen die Klänge der Tanzmusik in sein Herz.

Im eigenen Holsteiner Wagen mit muthigen Schimmeln in blankem Geschirr
bespannt führte am andern Morgen der Roßkamm seine verweint aussehende junge
Frau in die Stadt. Hoch mit der reichen Aussteuer von Betten, Leinen und
Hausgeräth aller Art bepackt folgten die beiden Wagen des Schulzen. Das erste
Gespann führte der neue Großknecht an, denn Jochen's Dienstzeit war beendet.
Morgens früh schon hatte er nach Uebergabe der Pferde an seinen Nachfolger das
Haus ohne weitern Abschied verlassen. Seinen Koffer hatte er zu der Mutter
geschoben, und war dann still, ein kleines Bündel Sachen am Stock tragend, z»w
Dorfe hinausgegangen, ohne Jemandem zu sagen, wohin er sich wenden wolle.

Liesch lebte in dem stattlichen Hause ihres Mannes mit den großen hellen
Fensterscheiben und der grün angestrichenen Thür mit blanken Messingknöpfen.
Sorgsam führte sie den Haushalt, und war eine treue Stiefmutter der beiden
Kinder erster Ehe des Pferdehändlers, aber ein Lächeln hat Keiner wieder von
ihr gesehen. Ohne irgend eine bestimmte Krankheit zu haben, schwand sie hin,
und die Leute aus dem Dorfe, welche zufällig in der Stadt sie gesehen hatten,
pflegten daun stets zu sagen „Schulter hier Liesch hat den Doob an Harten".
Kaum ein Jahr nach ihrer Hochzeit ward ihre Leiche aus dem Hause getragen-

Vou Jochen ward im Dorfe Nichts weiter gehört, nur dann und wann
erhielt seine alte, fast stumpfsinnig gewordene Mutter einige Thaler geschickt, wofür
sie sich Kaffee und dergleichen Leckereien kaufte. In diesem Sommer brachte ein
Knecht, der Unterm Militair gewesen war und jetzt zurückkehrte, die Nachricht ins
Dorf, der Unterofficier vou dem Mecklenburgischen Dragonerregiment, der seiner
Schwadron kühn voraufreitend im Gefecht bei Düpel von einer Dänischen Kugel
durch deu Kopf geschossen wurde, sei der Jochen gewesen, der früher so lange beim
Schulte» gedient habe.




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[0466] gegeben. Die Knechte sprangen vor Lust in die Höhe, und schwenkten die Dir¬ nen herum, daß die kurzen, weiten Röcke weit abflogen. Ein Walzer nach dem andern, „Lang-Englisch" und zuletzt der „Küssedanz" wurden unermüdlich bis spät in die Nacht getanzt. Gegen Mitternacht mußte endlich die junge Frau ihr Strumpfband abbinden, um das dann mit lautem Jubel eine Art Reihetanz ge¬ tanzt wurde. Dann zog sie sich unter dem Schmettern der Musik und dem Hurrahrufen und Jauchzen der ganzen Menge in die mit Blumen und Kränzen verzierte Hintere Kammer zurück, in welcher das hochaufgethürmte Brautbett stand. Das Gelärme auf der Diele dauerte aber mit ungeschwächter Lust die ganze Nacht bis zum hell anbrechenden Morgen fort. Oft ward die Musik von dem Blöken der Kühe, dem Gewieher der jungen Pferde unterbrochen, die neugierig über den ungewohnten Lärm ihre Kopfe über die Raufen steckten, mit ihren großen Augen zwischen die Tanzenden schauend. In dem hintersten Winkel der Scheune saß Jochen auf einem Strvhbuud, sich noch zuletzt recht auszuweinen. Schneidend drangen die Klänge der Tanzmusik in sein Herz. Im eigenen Holsteiner Wagen mit muthigen Schimmeln in blankem Geschirr bespannt führte am andern Morgen der Roßkamm seine verweint aussehende junge Frau in die Stadt. Hoch mit der reichen Aussteuer von Betten, Leinen und Hausgeräth aller Art bepackt folgten die beiden Wagen des Schulzen. Das erste Gespann führte der neue Großknecht an, denn Jochen's Dienstzeit war beendet. Morgens früh schon hatte er nach Uebergabe der Pferde an seinen Nachfolger das Haus ohne weitern Abschied verlassen. Seinen Koffer hatte er zu der Mutter geschoben, und war dann still, ein kleines Bündel Sachen am Stock tragend, z»w Dorfe hinausgegangen, ohne Jemandem zu sagen, wohin er sich wenden wolle. Liesch lebte in dem stattlichen Hause ihres Mannes mit den großen hellen Fensterscheiben und der grün angestrichenen Thür mit blanken Messingknöpfen. Sorgsam führte sie den Haushalt, und war eine treue Stiefmutter der beiden Kinder erster Ehe des Pferdehändlers, aber ein Lächeln hat Keiner wieder von ihr gesehen. Ohne irgend eine bestimmte Krankheit zu haben, schwand sie hin, und die Leute aus dem Dorfe, welche zufällig in der Stadt sie gesehen hatten, pflegten daun stets zu sagen „Schulter hier Liesch hat den Doob an Harten". Kaum ein Jahr nach ihrer Hochzeit ward ihre Leiche aus dem Hause getragen- Vou Jochen ward im Dorfe Nichts weiter gehört, nur dann und wann erhielt seine alte, fast stumpfsinnig gewordene Mutter einige Thaler geschickt, wofür sie sich Kaffee und dergleichen Leckereien kaufte. In diesem Sommer brachte ein Knecht, der Unterm Militair gewesen war und jetzt zurückkehrte, die Nachricht ins Dorf, der Unterofficier vou dem Mecklenburgischen Dragonerregiment, der seiner Schwadron kühn voraufreitend im Gefecht bei Düpel von einer Dänischen Kugel durch deu Kopf geschossen wurde, sei der Jochen gewesen, der früher so lange beim Schulte» gedient habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/466>, abgerufen am 04.07.2024.