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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Flüchtiger Blick in . das Pariser Studentenleben

Das Studentenleben ist wol überall ein lustiges und tolles, denn die
Heiterkeit ist eben ein Privilegium der Jugend, das sie in allen Ländern und
durch alle Revolutionen hindurch zu bewahren weiß.' Es ist dies das einzige
Recht, das von keiner Revolution und vou keiner Contrerevolution abhängig ist,
eben weil es auf der unveränderlichen Konstitution der menschlichen Natur beruht.
Doch hat das Studentenleben im (Zum-An-r so viel Eigenthümliches, so viele
ganz besondere Seiten, daß es sich wol der Mühe lohnt, ihm ewige Aufmerksam¬
keit zu schenken. Und sagen wir es nur von vorn herein, dgF Charakteristische
der Pariser gelehrten Jugend ist eben nicht die Gelehrsamkeit, noch Stnbeu-
hockerei. Der Pariser Student kommt nach Paris, seine Jugend auszutoben;
wenn er nebenbei noch Etwas lernt, ist Das weder sein Verdienst, noch seiue
Schuld. Die wenigen Auserwählten, die sich ernst den Studien widmen, nehmen
hier die Stellung ein, die in Deutschland die sogenannten "Ochser" von ihren
Collegen angewiesen bekommen, sie sind übrigens hier fast in keiner Berührung
Mit ihren lustigen Schnlgefährtcn.

Wie überall, so hat auch hier der Jüngling, welcher der ängstlichen Sorgfalt und
Aufsicht seiner Aeltern sich entronnen weiß, kein dringenderes Geschäft, als sich seiner
Freiheit und Selbstständigkeit aus jede mögliche Weise zu freuen. Er fühlt, daß er
im Begriffe steht, Mann zu werden, und da ist es denn natürlich, wenn er ängstlich
-die Manieren und Gewohnheiten des Mannes sich anzueignen sucht. Wie gern
^rzeiht man den armen Jungen nicht das Märtyrerthum einer Reihe von See- ^krankheitcn, dem sie sich gern unterziehen, um nnr der Manneserrungenschaft '
des Naucheus nicht entsagen zu müssen. Wer kann Etwas, dawider haben, daß
die liebenswürdige Jngend in begreiflicher Coquetterie sich herumzcigt, um das
ZUM ersten Male zur Geltung kommende Individuum mit um so mehr Talent
hervorzuheben. Wer freut sich nicht mit der Jugend an ihren Freuden, die
schön sind, wie jeder Frühling, und reizend, wie Alles, was die Jugend berührt.
Um so weher geschieht uns, sehen zu müssen, wie schon ein sechzehn- oder
siebzehnjähriger'Knabe durch deu Comment des hiesigen Studentenlebens ge¬
lungen wird, den Umgang mit dem weiblichen Geschlechte von einer Seite auf¬
zufassen, welche den Schmetterlingsstanb der Unschuld von der jungen Seele
streift, und ein blasirtes, beflecktes Menschenleben zu Tage fördert. Von jener
liebenswürdigen Flegel- und Tölpelhaftigkeit, welche Jean Paul's germanische Jung-
k'"ge bezeichnet, findet man am Pariser Studenten auch nicht die Spur. Er ist
Mit einem Satze im sinnlichen Leben, im tlzrre ä terrs des materiellen Taumels
drin, noch ehe er ein Recht hat, durch verschwundene Illusionen, durch jene bitter-


Flüchtiger Blick in . das Pariser Studentenleben

Das Studentenleben ist wol überall ein lustiges und tolles, denn die
Heiterkeit ist eben ein Privilegium der Jugend, das sie in allen Ländern und
durch alle Revolutionen hindurch zu bewahren weiß.' Es ist dies das einzige
Recht, das von keiner Revolution und vou keiner Contrerevolution abhängig ist,
eben weil es auf der unveränderlichen Konstitution der menschlichen Natur beruht.
Doch hat das Studentenleben im (Zum-An-r so viel Eigenthümliches, so viele
ganz besondere Seiten, daß es sich wol der Mühe lohnt, ihm ewige Aufmerksam¬
keit zu schenken. Und sagen wir es nur von vorn herein, dgF Charakteristische
der Pariser gelehrten Jugend ist eben nicht die Gelehrsamkeit, noch Stnbeu-
hockerei. Der Pariser Student kommt nach Paris, seine Jugend auszutoben;
wenn er nebenbei noch Etwas lernt, ist Das weder sein Verdienst, noch seiue
Schuld. Die wenigen Auserwählten, die sich ernst den Studien widmen, nehmen
hier die Stellung ein, die in Deutschland die sogenannten „Ochser" von ihren
Collegen angewiesen bekommen, sie sind übrigens hier fast in keiner Berührung
Mit ihren lustigen Schnlgefährtcn.

Wie überall, so hat auch hier der Jüngling, welcher der ängstlichen Sorgfalt und
Aufsicht seiner Aeltern sich entronnen weiß, kein dringenderes Geschäft, als sich seiner
Freiheit und Selbstständigkeit aus jede mögliche Weise zu freuen. Er fühlt, daß er
im Begriffe steht, Mann zu werden, und da ist es denn natürlich, wenn er ängstlich
-die Manieren und Gewohnheiten des Mannes sich anzueignen sucht. Wie gern
^rzeiht man den armen Jungen nicht das Märtyrerthum einer Reihe von See- ^krankheitcn, dem sie sich gern unterziehen, um nnr der Manneserrungenschaft '
des Naucheus nicht entsagen zu müssen. Wer kann Etwas, dawider haben, daß
die liebenswürdige Jngend in begreiflicher Coquetterie sich herumzcigt, um das
ZUM ersten Male zur Geltung kommende Individuum mit um so mehr Talent
hervorzuheben. Wer freut sich nicht mit der Jugend an ihren Freuden, die
schön sind, wie jeder Frühling, und reizend, wie Alles, was die Jugend berührt.
Um so weher geschieht uns, sehen zu müssen, wie schon ein sechzehn- oder
siebzehnjähriger'Knabe durch deu Comment des hiesigen Studentenlebens ge¬
lungen wird, den Umgang mit dem weiblichen Geschlechte von einer Seite auf¬
zufassen, welche den Schmetterlingsstanb der Unschuld von der jungen Seele
streift, und ein blasirtes, beflecktes Menschenleben zu Tage fördert. Von jener
liebenswürdigen Flegel- und Tölpelhaftigkeit, welche Jean Paul's germanische Jung-
k'»ge bezeichnet, findet man am Pariser Studenten auch nicht die Spur. Er ist
Mit einem Satze im sinnlichen Leben, im tlzrre ä terrs des materiellen Taumels
drin, noch ehe er ein Recht hat, durch verschwundene Illusionen, durch jene bitter-


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[0467] Flüchtiger Blick in . das Pariser Studentenleben Das Studentenleben ist wol überall ein lustiges und tolles, denn die Heiterkeit ist eben ein Privilegium der Jugend, das sie in allen Ländern und durch alle Revolutionen hindurch zu bewahren weiß.' Es ist dies das einzige Recht, das von keiner Revolution und vou keiner Contrerevolution abhängig ist, eben weil es auf der unveränderlichen Konstitution der menschlichen Natur beruht. Doch hat das Studentenleben im (Zum-An-r so viel Eigenthümliches, so viele ganz besondere Seiten, daß es sich wol der Mühe lohnt, ihm ewige Aufmerksam¬ keit zu schenken. Und sagen wir es nur von vorn herein, dgF Charakteristische der Pariser gelehrten Jugend ist eben nicht die Gelehrsamkeit, noch Stnbeu- hockerei. Der Pariser Student kommt nach Paris, seine Jugend auszutoben; wenn er nebenbei noch Etwas lernt, ist Das weder sein Verdienst, noch seiue Schuld. Die wenigen Auserwählten, die sich ernst den Studien widmen, nehmen hier die Stellung ein, die in Deutschland die sogenannten „Ochser" von ihren Collegen angewiesen bekommen, sie sind übrigens hier fast in keiner Berührung Mit ihren lustigen Schnlgefährtcn. Wie überall, so hat auch hier der Jüngling, welcher der ängstlichen Sorgfalt und Aufsicht seiner Aeltern sich entronnen weiß, kein dringenderes Geschäft, als sich seiner Freiheit und Selbstständigkeit aus jede mögliche Weise zu freuen. Er fühlt, daß er im Begriffe steht, Mann zu werden, und da ist es denn natürlich, wenn er ängstlich -die Manieren und Gewohnheiten des Mannes sich anzueignen sucht. Wie gern ^rzeiht man den armen Jungen nicht das Märtyrerthum einer Reihe von See- ^krankheitcn, dem sie sich gern unterziehen, um nnr der Manneserrungenschaft ' des Naucheus nicht entsagen zu müssen. Wer kann Etwas, dawider haben, daß die liebenswürdige Jngend in begreiflicher Coquetterie sich herumzcigt, um das ZUM ersten Male zur Geltung kommende Individuum mit um so mehr Talent hervorzuheben. Wer freut sich nicht mit der Jugend an ihren Freuden, die schön sind, wie jeder Frühling, und reizend, wie Alles, was die Jugend berührt. Um so weher geschieht uns, sehen zu müssen, wie schon ein sechzehn- oder siebzehnjähriger'Knabe durch deu Comment des hiesigen Studentenlebens ge¬ lungen wird, den Umgang mit dem weiblichen Geschlechte von einer Seite auf¬ zufassen, welche den Schmetterlingsstanb der Unschuld von der jungen Seele streift, und ein blasirtes, beflecktes Menschenleben zu Tage fördert. Von jener liebenswürdigen Flegel- und Tölpelhaftigkeit, welche Jean Paul's germanische Jung- k'»ge bezeichnet, findet man am Pariser Studenten auch nicht die Spur. Er ist Mit einem Satze im sinnlichen Leben, im tlzrre ä terrs des materiellen Taumels drin, noch ehe er ein Recht hat, durch verschwundene Illusionen, durch jene bitter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/467>, abgerufen am 04.07.2024.