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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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gewonnen hat. Lorbeerbaum und Bettelstab war, soviel wir wissen, ans dem
Deutschen Theater das erste Stück, in welchem jene wunderliche Ansicht vertreten
wurde, daß der Genius eine ganz eigenthümliche moralische Weltordnung für sich
in Anspruch nehmen dürft. Damals, wie zum Theil noch heute, galt die Un¬
ordnung und Regellosigkeit für das sicherste Kennzeichen des Genies, und man
war geneigt, auch ohne daß irgend eine Production dazu die Berechtigung gab,
Denjenigen für eiuen geborenen, wenn auch verkannten Dichter zu halten, der
abweichend von den übrigen Menschen lebte und empfand. Holtet schildert in
seinem Stück ein ganz ruppiges Subject, einen Menschen ohne Halt und Cha¬
rakter, der Frau und Kinder verhungern läßt und für irgend eine reiche Banquierö-
tochter schwärmt, die ihm einmal wegen seiner Verse Artigkeiten gesagt hat; der
nur die Extreme keimt, und von einem reget- und zwecklosen Leben sogleich in
knechtische, trotzige Abhängigkeit verfällt, der, weil seine Trauerspiele keine Anerken¬
nung finden, alles menschliche Gefühl in seinem Herzen erstickt; und er schildert
diesen Menschen nicht blos als ein krankhaftes, von vom herein halb verrücktes Indi¬
viduum, sondern als den Thpns eines echten Dentschen Dichters. Dem armen
Deutschen Volk wird hier wieder einmal der Vorwurf gemacht, daß es seine
Genies verhungern lasse. Die unbefangene Betrachtung der Dinge lehrt das
Gegentheil. Wir Deutschen sind kein reiches Volk, und wenn unsre Dichter, ver¬
leitet durch das Beispiel anderer Nationen, nur in Orientalischen Luxus gedeihen
zu können glauben, so ist das eine Verkennung ihrer eigenen Kraft und der An¬
sprüche, die sie an das Volk zu machen haben. Bei uns ist noch nie ein guter
Dichter zu Grunde gegangen. Die Beispiele von Günther, von Lenz, von Grabbe,
von Hölderlin u. s. w. gehören nicht Hieher, denn das kann man von der Poesie nicht
verlangen, daß sie allein ein unsittliches, oder krankes, oder willenloses Indivi¬
duum aufrechthält. Es liegt in jener Darstellung ein doppeltes Unrecht, ein Un¬
recht gegen den Genius, und ein Unrecht gegen die Gesellschaft. Das Wesen
des Genius liegt keineswegs in der unbedingten Knechtschaft nnter der Macht
der Stimmungen und Empfindungen. Zwar gehört die Irritabilität der Nerven
allerdings zum Dichter, der lebhafter empfinden muß, als Andere, um lebhafter
darstellen zu können, aber eben so gehört dazu eine concentrirte Herrschaft über diese
Mannichfaltigkeit der fremden Einflüsse und Stimmungen, denn ohne diese ist
man unfähig, zu gestalten. Wenn sich also einerseits die Dichter darüber beklage"
können, daß man die Würde ihrer Kunst an die Caricatur eines verkümmerten Ge¬
müths knüpft, so hat andererseits die Gesellschaft ein noch weit begründeteres
Recht zur Beschwerde, wenn man ihr die Pflicht imputiren will, diese Regellosig¬
keit des Genius nicht nur zu ertragen, sondern zu pflegen, für den Dichter en>c
exceptionelle Moral gelten zu lassen. Es liegt das im Wesen der Romantik,
in der hitzigen Verfolgung eines über alle Wolken hinausgehenden Ideals die
Idealität überhaupt auszugeben, denn ohne das Gesetz giebt es kein Ideal un


gewonnen hat. Lorbeerbaum und Bettelstab war, soviel wir wissen, ans dem
Deutschen Theater das erste Stück, in welchem jene wunderliche Ansicht vertreten
wurde, daß der Genius eine ganz eigenthümliche moralische Weltordnung für sich
in Anspruch nehmen dürft. Damals, wie zum Theil noch heute, galt die Un¬
ordnung und Regellosigkeit für das sicherste Kennzeichen des Genies, und man
war geneigt, auch ohne daß irgend eine Production dazu die Berechtigung gab,
Denjenigen für eiuen geborenen, wenn auch verkannten Dichter zu halten, der
abweichend von den übrigen Menschen lebte und empfand. Holtet schildert in
seinem Stück ein ganz ruppiges Subject, einen Menschen ohne Halt und Cha¬
rakter, der Frau und Kinder verhungern läßt und für irgend eine reiche Banquierö-
tochter schwärmt, die ihm einmal wegen seiner Verse Artigkeiten gesagt hat; der
nur die Extreme keimt, und von einem reget- und zwecklosen Leben sogleich in
knechtische, trotzige Abhängigkeit verfällt, der, weil seine Trauerspiele keine Anerken¬
nung finden, alles menschliche Gefühl in seinem Herzen erstickt; und er schildert
diesen Menschen nicht blos als ein krankhaftes, von vom herein halb verrücktes Indi¬
viduum, sondern als den Thpns eines echten Dentschen Dichters. Dem armen
Deutschen Volk wird hier wieder einmal der Vorwurf gemacht, daß es seine
Genies verhungern lasse. Die unbefangene Betrachtung der Dinge lehrt das
Gegentheil. Wir Deutschen sind kein reiches Volk, und wenn unsre Dichter, ver¬
leitet durch das Beispiel anderer Nationen, nur in Orientalischen Luxus gedeihen
zu können glauben, so ist das eine Verkennung ihrer eigenen Kraft und der An¬
sprüche, die sie an das Volk zu machen haben. Bei uns ist noch nie ein guter
Dichter zu Grunde gegangen. Die Beispiele von Günther, von Lenz, von Grabbe,
von Hölderlin u. s. w. gehören nicht Hieher, denn das kann man von der Poesie nicht
verlangen, daß sie allein ein unsittliches, oder krankes, oder willenloses Indivi¬
duum aufrechthält. Es liegt in jener Darstellung ein doppeltes Unrecht, ein Un¬
recht gegen den Genius, und ein Unrecht gegen die Gesellschaft. Das Wesen
des Genius liegt keineswegs in der unbedingten Knechtschaft nnter der Macht
der Stimmungen und Empfindungen. Zwar gehört die Irritabilität der Nerven
allerdings zum Dichter, der lebhafter empfinden muß, als Andere, um lebhafter
darstellen zu können, aber eben so gehört dazu eine concentrirte Herrschaft über diese
Mannichfaltigkeit der fremden Einflüsse und Stimmungen, denn ohne diese ist
man unfähig, zu gestalten. Wenn sich also einerseits die Dichter darüber beklage»
können, daß man die Würde ihrer Kunst an die Caricatur eines verkümmerten Ge¬
müths knüpft, so hat andererseits die Gesellschaft ein noch weit begründeteres
Recht zur Beschwerde, wenn man ihr die Pflicht imputiren will, diese Regellosig¬
keit des Genius nicht nur zu ertragen, sondern zu pflegen, für den Dichter en>c
exceptionelle Moral gelten zu lassen. Es liegt das im Wesen der Romantik,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/432>, abgerufen am 04.07.2024.