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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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keine Freiheit; die gesetzlose Willkür, wie reich sie auch ausgestattet sein möge,
verfällt in das Gebiet der Empirie. Um seinen Repräsentanten des Genius, über
den er im Stillen selber den Kops schütteln muß, doch einigermaßen zu rehabili-
tiren, läßt Holtet die Repräsentanten der Gesellschaft, die er bis dahin als sehr
verständige, humane und ehrenwerthe Männer dargestellt hat, im entscheidenden
Augenblick plötzlich zu einer unmotivirten Rohheit übergehen, und dann zuletzt, nach¬
dem die Trauerspiele des Verläumder im Publicum sich Bahn gebrochen haben, in Sack
und Asche Buße thun, und so das Recht des von ihnen verlästerten Genius anerkennen.
-- Mit dieser Verirrung hängt eine zweite zusammen, die Neigung nämlich, in die
wir Deutsche nur allzuhäufig verfallen, räthselhafte, abnorme, isolirte Individualitäten
zu schildern, für welche der Verstand und das gesunde Gefühl keinen Schlüssel
bieten. Die Originalität, deren Gesetz man zu entdecken nicht im Stande,
und die sich dessen eben so wenig bewußt ist, artet zuletzt zum Wahnsinn ans,
denn Wahnsinn ist nichts Anderes, als das von dem Gesetz der Wirklichkeit iso¬
lirte Gemüth. Holtet läßt seinen Helden allerdings erst im Epilog in Wahnsinn
versallen, aber eigentlich ist er es schon bei seinem ersten Austreten. Solche
Schilderungen kommen der Neigung unsrer modernen virtuosen Schauspieler sehr
gelegen, sich in seltsamen, noch nie dagewesenen Geberden und Grimassen auszu¬
zeichnen. Es ist aber Nichts leichter, als einen verschrobenen Verstand und eine
verschrobene Empfindung zu schildern, denn man mag carikiren, nach welcher
Seite man immer will, man trifft stets das Nichtige, pen es für die Absurdität
kein Maß giebt; Nichts dagegen ist schwerer, als für das gesunde Empfinden,
den gesunden Gedanken und die gesunde That den richtigen Ausdruck zu finden,
denn dieser ist nur ein einziger, und um ihn zu treffen, muß man selber gesund
empfinden und denken. Durch Scenen aus dem Irrenhause kann unser Theater
immer nur mehr verwildern. --


Donna Diana, von Moreto.

-- Ein ausgeführtes Rechenexempel, wie
es bei dem Spanischen Lustspiel fast überall der Fall ist. Das Thema, daß man
bei dem Stolz nur durch den Schein der Kälte Liebe erwecken kann, wird regel¬
recht mit einer gewissen Geschicklichkeit exponirt, aber in einer abstracten Weise,
daß man glauben sollte, der Dichter habe es absichtlich vermieden, seine Gestalten,
die doch nur bloße Beispiele dieser Regeln sein sollten, mit Fleisch und Blut zu
bekleiden. Sonst hätte es so nahe gelegen, die Kälte, welche Don Cesar seiner
Geliebten gegenüber zur Schau trägt, wenigstens zum Theil als Ausfluß einer
humoristischen übermüthigen Natur darzustellen, ungefähr wie es bei Perrin der
M ist. So haben wir aber Nichts, als ein kaltes, herzloses Experiment,
"ur unterbrochen durch das beständig wiederholte Gewimmer, in welches Cesar
verfällt, sobald er sich mit seinem Vertrauten allein sieht, die ewige Klage, daß
" es nicht länger aushalten könne, u. f. w. Die Art, wie Donna Diana sich
von dem Spaßmacher täuschen läßt, ist etwas gar zu roh angelegt. Die Ver-


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keine Freiheit; die gesetzlose Willkür, wie reich sie auch ausgestattet sein möge,
verfällt in das Gebiet der Empirie. Um seinen Repräsentanten des Genius, über
den er im Stillen selber den Kops schütteln muß, doch einigermaßen zu rehabili-
tiren, läßt Holtet die Repräsentanten der Gesellschaft, die er bis dahin als sehr
verständige, humane und ehrenwerthe Männer dargestellt hat, im entscheidenden
Augenblick plötzlich zu einer unmotivirten Rohheit übergehen, und dann zuletzt, nach¬
dem die Trauerspiele des Verläumder im Publicum sich Bahn gebrochen haben, in Sack
und Asche Buße thun, und so das Recht des von ihnen verlästerten Genius anerkennen.
— Mit dieser Verirrung hängt eine zweite zusammen, die Neigung nämlich, in die
wir Deutsche nur allzuhäufig verfallen, räthselhafte, abnorme, isolirte Individualitäten
zu schildern, für welche der Verstand und das gesunde Gefühl keinen Schlüssel
bieten. Die Originalität, deren Gesetz man zu entdecken nicht im Stande,
und die sich dessen eben so wenig bewußt ist, artet zuletzt zum Wahnsinn ans,
denn Wahnsinn ist nichts Anderes, als das von dem Gesetz der Wirklichkeit iso¬
lirte Gemüth. Holtet läßt seinen Helden allerdings erst im Epilog in Wahnsinn
versallen, aber eigentlich ist er es schon bei seinem ersten Austreten. Solche
Schilderungen kommen der Neigung unsrer modernen virtuosen Schauspieler sehr
gelegen, sich in seltsamen, noch nie dagewesenen Geberden und Grimassen auszu¬
zeichnen. Es ist aber Nichts leichter, als einen verschrobenen Verstand und eine
verschrobene Empfindung zu schildern, denn man mag carikiren, nach welcher
Seite man immer will, man trifft stets das Nichtige, pen es für die Absurdität
kein Maß giebt; Nichts dagegen ist schwerer, als für das gesunde Empfinden,
den gesunden Gedanken und die gesunde That den richtigen Ausdruck zu finden,
denn dieser ist nur ein einziger, und um ihn zu treffen, muß man selber gesund
empfinden und denken. Durch Scenen aus dem Irrenhause kann unser Theater
immer nur mehr verwildern. —


Donna Diana, von Moreto.

— Ein ausgeführtes Rechenexempel, wie
es bei dem Spanischen Lustspiel fast überall der Fall ist. Das Thema, daß man
bei dem Stolz nur durch den Schein der Kälte Liebe erwecken kann, wird regel¬
recht mit einer gewissen Geschicklichkeit exponirt, aber in einer abstracten Weise,
daß man glauben sollte, der Dichter habe es absichtlich vermieden, seine Gestalten,
die doch nur bloße Beispiele dieser Regeln sein sollten, mit Fleisch und Blut zu
bekleiden. Sonst hätte es so nahe gelegen, die Kälte, welche Don Cesar seiner
Geliebten gegenüber zur Schau trägt, wenigstens zum Theil als Ausfluß einer
humoristischen übermüthigen Natur darzustellen, ungefähr wie es bei Perrin der
M ist. So haben wir aber Nichts, als ein kaltes, herzloses Experiment,
»ur unterbrochen durch das beständig wiederholte Gewimmer, in welches Cesar
verfällt, sobald er sich mit seinem Vertrauten allein sieht, die ewige Klage, daß
" es nicht länger aushalten könne, u. f. w. Die Art, wie Donna Diana sich
von dem Spaßmacher täuschen läßt, ist etwas gar zu roh angelegt. Die Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/433>, abgerufen am 04.07.2024.