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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Institut auch aus Warschau, unter dem Vorgeben, daß die kleinen Fräulein in
den Mauer" von Pulawy (dem Stammschlosse des vertriebenen Fürsten Czartorysti)
minder der Verführung ausgesetzt seien. Dergestalt unter den Kanonen der jun¬
gen Festung Jwaugorod (Demplin) sind freilich die politischen Minnelieder der
Warschauer Dandy's uicht zu fürchten; allein die Handkusse der jungen Officiere,
welche über die Zinnen der nahen Festung herüberfliegen, sind auch gefährliche
Dinge -- aber freilich nicht in politischer Beziehung. Das Institut ist durch die
Verlegung dergestalt gesunken, daß es kaum für mehr als eine kleine Russische
Mädchenschule anzusehen ist. In den Jahren und 1846 hatten fast alle
Polnischen Familien ihre Tochter zurückgezogen, und es waren nur uoch 11 Fräu¬
lein in der Anstalt. Um sie nicht zu schließen und die angewandten Maßregeln
vor Spott zu bewahren, sah mau sich genöthigt, Tochter von Beamten so viel,
als man nur bekommen konnte, unentgeldlich aufzunehmen. Dadurch wurde der
Sturz der Anstalt verkappt.

Zu den uicht verpöntem Lehrfächern gehört der Tanz. Es giebt in Warschau
concesstonirte Tanzinstitnte, und hierin ist die zweite Residenz der Russischen Kaiser
vielleicht einzig. Tanzschulen giebt es so viele, daß es zu gewagt wäre, Ungefähr¬
bestimmung zu machen. Vor drei Jahren war die Trompeter so voll von diesem
hochbegünstigten Wesen, daß man von Krassow's Restauration bis zum Zollhvfe
Nichts hörte, als Geigen und stampfende oder schlürfende Füße. Einige dieser
Schulen, die nur in der Abendzeit geöffnet zu sein pflegen, besitzen ganz ansehn¬
liche Orchester und glänzende Locale. Als Lehrer in diesen Tanzschulen findet
man zuweilen Personen, die man in ganz anderer Form gekannt hat. Der ehe¬
malige Professor Kr., welcher durch den vorletzten Procurator der Polnischen
Schulen aus seiner Stelle getrieben worden, ist Eigenthümer einer Tanzschule.
Eben so verdienen ewige Doctoren der Philosophie, darunter ein Deutscher Kan¬
didat, durch Tanzunterricht ihren Lebensunterhalt. Es mag nicht übel sein, einen
Professor vor dem Warschauer Municipalgericht Probe tanzen zu sehe". Denn
^ne gerichtliche Prüfung muß der Tanzschuluuternehmer ebeu so bestehen, wie ein
Künstler, der sich mit seinen Leistungen öffentlich zur Schan stellen will. Im
Mnnicipalgericht ist ein besonderer Saal für derartige Prüfungen, deren oft mehrere
^'gleich stattfinden. Die höhern Beamten, wenn sie sich vor dem Herrn Po¬
lizeimeister sicher wissen, wohnen den Prüfungen bei, und haben ihren Kunstgenuß
gratis; doch gehören dieselben besonders vor das Amt des Polizeimeisters, und
ein gewisser Herr Gruvel, ein Deutscher, ist Kunstrichter. Zur Zeit der Herren
Pizarew und Storozenko sollen die Künstlerprüfungen in dem Saale gar nicht
aufgehört haben. Herr v. Abramowicz ist weniger von denselben gequält, denn
die Künstler umgehen jetzt Warschau gern, da es ihnen die Federn, die es ihnen
"Weckt, wieder abreißt. Erstens gehört jede zur Oeffentlichkeit zu bringende
künstlerische Leistung, welcher Art sie auch sei, wegen politischer Rücksicht vor die


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Institut auch aus Warschau, unter dem Vorgeben, daß die kleinen Fräulein in
den Mauer» von Pulawy (dem Stammschlosse des vertriebenen Fürsten Czartorysti)
minder der Verführung ausgesetzt seien. Dergestalt unter den Kanonen der jun¬
gen Festung Jwaugorod (Demplin) sind freilich die politischen Minnelieder der
Warschauer Dandy's uicht zu fürchten; allein die Handkusse der jungen Officiere,
welche über die Zinnen der nahen Festung herüberfliegen, sind auch gefährliche
Dinge — aber freilich nicht in politischer Beziehung. Das Institut ist durch die
Verlegung dergestalt gesunken, daß es kaum für mehr als eine kleine Russische
Mädchenschule anzusehen ist. In den Jahren und 1846 hatten fast alle
Polnischen Familien ihre Tochter zurückgezogen, und es waren nur uoch 11 Fräu¬
lein in der Anstalt. Um sie nicht zu schließen und die angewandten Maßregeln
vor Spott zu bewahren, sah mau sich genöthigt, Tochter von Beamten so viel,
als man nur bekommen konnte, unentgeldlich aufzunehmen. Dadurch wurde der
Sturz der Anstalt verkappt.

Zu den uicht verpöntem Lehrfächern gehört der Tanz. Es giebt in Warschau
concesstonirte Tanzinstitnte, und hierin ist die zweite Residenz der Russischen Kaiser
vielleicht einzig. Tanzschulen giebt es so viele, daß es zu gewagt wäre, Ungefähr¬
bestimmung zu machen. Vor drei Jahren war die Trompeter so voll von diesem
hochbegünstigten Wesen, daß man von Krassow's Restauration bis zum Zollhvfe
Nichts hörte, als Geigen und stampfende oder schlürfende Füße. Einige dieser
Schulen, die nur in der Abendzeit geöffnet zu sein pflegen, besitzen ganz ansehn¬
liche Orchester und glänzende Locale. Als Lehrer in diesen Tanzschulen findet
man zuweilen Personen, die man in ganz anderer Form gekannt hat. Der ehe¬
malige Professor Kr., welcher durch den vorletzten Procurator der Polnischen
Schulen aus seiner Stelle getrieben worden, ist Eigenthümer einer Tanzschule.
Eben so verdienen ewige Doctoren der Philosophie, darunter ein Deutscher Kan¬
didat, durch Tanzunterricht ihren Lebensunterhalt. Es mag nicht übel sein, einen
Professor vor dem Warschauer Municipalgericht Probe tanzen zu sehe». Denn
^ne gerichtliche Prüfung muß der Tanzschuluuternehmer ebeu so bestehen, wie ein
Künstler, der sich mit seinen Leistungen öffentlich zur Schan stellen will. Im
Mnnicipalgericht ist ein besonderer Saal für derartige Prüfungen, deren oft mehrere
^'gleich stattfinden. Die höhern Beamten, wenn sie sich vor dem Herrn Po¬
lizeimeister sicher wissen, wohnen den Prüfungen bei, und haben ihren Kunstgenuß
gratis; doch gehören dieselben besonders vor das Amt des Polizeimeisters, und
ein gewisser Herr Gruvel, ein Deutscher, ist Kunstrichter. Zur Zeit der Herren
Pizarew und Storozenko sollen die Künstlerprüfungen in dem Saale gar nicht
aufgehört haben. Herr v. Abramowicz ist weniger von denselben gequält, denn
die Künstler umgehen jetzt Warschau gern, da es ihnen die Federn, die es ihnen
"Weckt, wieder abreißt. Erstens gehört jede zur Oeffentlichkeit zu bringende
künstlerische Leistung, welcher Art sie auch sei, wegen politischer Rücksicht vor die


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[0427] Institut auch aus Warschau, unter dem Vorgeben, daß die kleinen Fräulein in den Mauer» von Pulawy (dem Stammschlosse des vertriebenen Fürsten Czartorysti) minder der Verführung ausgesetzt seien. Dergestalt unter den Kanonen der jun¬ gen Festung Jwaugorod (Demplin) sind freilich die politischen Minnelieder der Warschauer Dandy's uicht zu fürchten; allein die Handkusse der jungen Officiere, welche über die Zinnen der nahen Festung herüberfliegen, sind auch gefährliche Dinge — aber freilich nicht in politischer Beziehung. Das Institut ist durch die Verlegung dergestalt gesunken, daß es kaum für mehr als eine kleine Russische Mädchenschule anzusehen ist. In den Jahren und 1846 hatten fast alle Polnischen Familien ihre Tochter zurückgezogen, und es waren nur uoch 11 Fräu¬ lein in der Anstalt. Um sie nicht zu schließen und die angewandten Maßregeln vor Spott zu bewahren, sah mau sich genöthigt, Tochter von Beamten so viel, als man nur bekommen konnte, unentgeldlich aufzunehmen. Dadurch wurde der Sturz der Anstalt verkappt. Zu den uicht verpöntem Lehrfächern gehört der Tanz. Es giebt in Warschau concesstonirte Tanzinstitnte, und hierin ist die zweite Residenz der Russischen Kaiser vielleicht einzig. Tanzschulen giebt es so viele, daß es zu gewagt wäre, Ungefähr¬ bestimmung zu machen. Vor drei Jahren war die Trompeter so voll von diesem hochbegünstigten Wesen, daß man von Krassow's Restauration bis zum Zollhvfe Nichts hörte, als Geigen und stampfende oder schlürfende Füße. Einige dieser Schulen, die nur in der Abendzeit geöffnet zu sein pflegen, besitzen ganz ansehn¬ liche Orchester und glänzende Locale. Als Lehrer in diesen Tanzschulen findet man zuweilen Personen, die man in ganz anderer Form gekannt hat. Der ehe¬ malige Professor Kr., welcher durch den vorletzten Procurator der Polnischen Schulen aus seiner Stelle getrieben worden, ist Eigenthümer einer Tanzschule. Eben so verdienen ewige Doctoren der Philosophie, darunter ein Deutscher Kan¬ didat, durch Tanzunterricht ihren Lebensunterhalt. Es mag nicht übel sein, einen Professor vor dem Warschauer Municipalgericht Probe tanzen zu sehe». Denn ^ne gerichtliche Prüfung muß der Tanzschuluuternehmer ebeu so bestehen, wie ein Künstler, der sich mit seinen Leistungen öffentlich zur Schan stellen will. Im Mnnicipalgericht ist ein besonderer Saal für derartige Prüfungen, deren oft mehrere ^'gleich stattfinden. Die höhern Beamten, wenn sie sich vor dem Herrn Po¬ lizeimeister sicher wissen, wohnen den Prüfungen bei, und haben ihren Kunstgenuß gratis; doch gehören dieselben besonders vor das Amt des Polizeimeisters, und ein gewisser Herr Gruvel, ein Deutscher, ist Kunstrichter. Zur Zeit der Herren Pizarew und Storozenko sollen die Künstlerprüfungen in dem Saale gar nicht aufgehört haben. Herr v. Abramowicz ist weniger von denselben gequält, denn die Künstler umgehen jetzt Warschau gern, da es ihnen die Federn, die es ihnen "Weckt, wieder abreißt. Erstens gehört jede zur Oeffentlichkeit zu bringende künstlerische Leistung, welcher Art sie auch sei, wegen politischer Rücksicht vor die 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/427>, abgerufen am 02.07.2024.