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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Wissenschaft, als bei andern Polnischen Anstalten. Man lehrt gründlich und läßt
in dem Examen eine Strenge walten, .als ob ihr Bestehen Anwartschaft auf Orden
und glänzende Staatsämter verliehe. Man lehrt Klimatologie, Pflanzenphysiologie,
Mineralogie, Zoologie, Chemie, Physik, Thierarzneikunde, Anatomie, Boden- und
Beartnngsknnde, Thierzucht, Technologie, Maschinenkunde, landwirtschaftliche Bau-
knnde und Forstwesen.

Doch mochte ich behaupten, daß eben so wenig im politischen Gefühle des
Adels, als in dem Zustande der Polnischen Landwirthschaft eine wesentliche Ver¬
änderung bemerkbar geworden sei. .Die meisten Zöglinge besuchen die Akademie
erstens, um vom Russischen Militärdienst frei zu werden, und zweitens, um ein
Wenig allgemeine Bildung zu gewinnen,, denn diese mag sich der Adel auf den
gegenwärtig vorhandenen Gymnasien nicht holen. Der eigentliche Zweck der An-'
statt bleibt beinahe bei ihren Zöglingen allen unerfüllt. -- Man besitzt in Warschau
eine Handwerkerschule. Die Fabrikanten der Stadt, meist Deutsche, haben sie
errichtet. Diese Schule sollte Achtung gebieten innrer Form und Wirkung-
Ihre Stifter wollten eigens sür sie einen Director einsetzen und die Mitwirkung
von vier Professoren des Lyceums erkaufen. Allein der Negierung schienen ge¬
lehrte Handwerker gefährlich, und so gebot sie, die Direction einem alten Kinder¬
lehrer, der sich, wie man sagt, als "politisch gut" bewiesen hatte, anzuvertrauen,
und sich mit diesem einen Lehrer zu begnügen. Die Lehrfächer, welche man im
Prospecte angegeben hatte, bildeten eine lange Reihe, und hatten einen respectablen
Klang; allein die begutachtende Behörde machte ihre vernichtenden Striche, und
ließ Nichts weiter stehen, als die Worte "Lesen", "Schreiben", "Rechnen", wel¬
chem letzten sie noch die Bemerkung beifügte: "bis zur re^la <1<z tri". So ist
die Anstalt eben nicht mehr als eine Elementarschule geworden. Doch auch als
solche gewährt sie einigen Nutzen, da die wenigsten Polnischen Knaben, welche
als Lehrlinge in die Werkstätten kommen, zuvor eine Schule besucht haben. Andere
Zeiten erwartend, sind die Herren der Werkstätten verstäMg genug, die Anstalt
nicht zu verachten, und sichern ihr vielmehr ihre Autorität dadurch, daß sie keinem
Lehrling einen Lehrbrief ausstellen, wenn er nicht ein Zeugniß darüber beibringt,
daß er bei dem Schnldirector eine Abgangsprüsung bestanden habe. Gegenwärtig
ist dies sogar eine Verordnung der Behörde geworden, wie denn in der Regel
in Polen Dasjenige die Gestalt eines von oben niedersteigenden Befehls annehmen
muß, was sich nicht gut hindern läßt. -- Geht man Polen durch, so findet man
keine einzige gelehrte Bildungsanstalt mehr. In der glücklichen Periode von ->81ä
bis 1829 waren ziemlich viele entstanden, aber alle sind in der neuesten Periode
entweder geradezu aufgehoben, oder allmählich zum Sterben gebracht worden.
Selbst die Anstalten für die weibliche Jugend wurden nicht geschont, nicht einmal
das berühmte Alexandrinische Institut, dessen Vorsteherin die Kaiserin ist. Nicht
genug, daß man verschiedene Lehrzweige desselben beseitigte, man entfernte das


Wissenschaft, als bei andern Polnischen Anstalten. Man lehrt gründlich und läßt
in dem Examen eine Strenge walten, .als ob ihr Bestehen Anwartschaft auf Orden
und glänzende Staatsämter verliehe. Man lehrt Klimatologie, Pflanzenphysiologie,
Mineralogie, Zoologie, Chemie, Physik, Thierarzneikunde, Anatomie, Boden- und
Beartnngsknnde, Thierzucht, Technologie, Maschinenkunde, landwirtschaftliche Bau-
knnde und Forstwesen.

Doch mochte ich behaupten, daß eben so wenig im politischen Gefühle des
Adels, als in dem Zustande der Polnischen Landwirthschaft eine wesentliche Ver¬
änderung bemerkbar geworden sei. .Die meisten Zöglinge besuchen die Akademie
erstens, um vom Russischen Militärdienst frei zu werden, und zweitens, um ein
Wenig allgemeine Bildung zu gewinnen,, denn diese mag sich der Adel auf den
gegenwärtig vorhandenen Gymnasien nicht holen. Der eigentliche Zweck der An-'
statt bleibt beinahe bei ihren Zöglingen allen unerfüllt. — Man besitzt in Warschau
eine Handwerkerschule. Die Fabrikanten der Stadt, meist Deutsche, haben sie
errichtet. Diese Schule sollte Achtung gebieten innrer Form und Wirkung-
Ihre Stifter wollten eigens sür sie einen Director einsetzen und die Mitwirkung
von vier Professoren des Lyceums erkaufen. Allein der Negierung schienen ge¬
lehrte Handwerker gefährlich, und so gebot sie, die Direction einem alten Kinder¬
lehrer, der sich, wie man sagt, als „politisch gut" bewiesen hatte, anzuvertrauen,
und sich mit diesem einen Lehrer zu begnügen. Die Lehrfächer, welche man im
Prospecte angegeben hatte, bildeten eine lange Reihe, und hatten einen respectablen
Klang; allein die begutachtende Behörde machte ihre vernichtenden Striche, und
ließ Nichts weiter stehen, als die Worte „Lesen", „Schreiben", „Rechnen", wel¬
chem letzten sie noch die Bemerkung beifügte: „bis zur re^la <1<z tri". So ist
die Anstalt eben nicht mehr als eine Elementarschule geworden. Doch auch als
solche gewährt sie einigen Nutzen, da die wenigsten Polnischen Knaben, welche
als Lehrlinge in die Werkstätten kommen, zuvor eine Schule besucht haben. Andere
Zeiten erwartend, sind die Herren der Werkstätten verstäMg genug, die Anstalt
nicht zu verachten, und sichern ihr vielmehr ihre Autorität dadurch, daß sie keinem
Lehrling einen Lehrbrief ausstellen, wenn er nicht ein Zeugniß darüber beibringt,
daß er bei dem Schnldirector eine Abgangsprüsung bestanden habe. Gegenwärtig
ist dies sogar eine Verordnung der Behörde geworden, wie denn in der Regel
in Polen Dasjenige die Gestalt eines von oben niedersteigenden Befehls annehmen
muß, was sich nicht gut hindern läßt. — Geht man Polen durch, so findet man
keine einzige gelehrte Bildungsanstalt mehr. In der glücklichen Periode von ->81ä
bis 1829 waren ziemlich viele entstanden, aber alle sind in der neuesten Periode
entweder geradezu aufgehoben, oder allmählich zum Sterben gebracht worden.
Selbst die Anstalten für die weibliche Jugend wurden nicht geschont, nicht einmal
das berühmte Alexandrinische Institut, dessen Vorsteherin die Kaiserin ist. Nicht
genug, daß man verschiedene Lehrzweige desselben beseitigte, man entfernte das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/426>, abgerufen am 04.07.2024.