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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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während er mit der andern seine Lisch umfaßt hielt. Ueber die Kraft ihres Jo¬
chen erfreut, sah Liesch zu, und als die Kühe tranken, gab sie ihm unaufgefordert
ein Paar Dutzend Küsse. So stand das Paar plaudernd und küssend am Brun¬
nen unter den Kühen, die manchmal traulich sich der Liesch näherten, und leise
vor Wohlbehagen brummend, sich ans der Stirn kranken ließen, und war glücklich
und froh.

Joche", der Sohn eines armen Dorfwebers, war noch als "Schovljnng"
i" den schulfreien Sommermonaten, gegen Kost und i Thaler Lohn, als Knhhirte
in den Dienst des Schulzen getreten. Damals hütete Liesch die Gänse des Va¬
ters, und da Kuh- und Gänseweide nicht sehr weit von einander lagen, so be¬
suchte die kleine 10jährige Liesch ost den 13jährigen Jochen, und suchte Fremsen
(Kornblumen) mit ihm, aus denen sie dann Kränze wanden, oder horte zu, wie
er auf der ans Weidcnbast verfertigten Flöte blies, oder ergötzte sich an der
"ahmen Krähe, die er als Junge aus dem Nest ausgenommen hatte, und die nun,
schreiend und ihm ans der Hand fressend, ihm immer auf dem Felde nachflog.
So hatten die Kinder den ganzen Sommer mit einander gespielt, und sich ?o
an einander gewöhnt, daß Jedem die Zeit erschrecklich lang wurde, wenn das an¬
dere nicht bei ihm sein konnte. Aber ein Borfall sollte ihre Freundschaft noch
mehr befestigen. Eines Abends, als Liesch, der gerade die Mutter ein brennend
rothes Brusttuch mit gelben Blumen vom Jahrmarkt mitgebracht hatte, wohlgefällig
in diesem Staat durch das Dorf ging, um sich bewundern zu lassen, kam die
Kuhheerde vom Nachbar angetrieben. Der "Bull", schon so oft "t'rusnäsig",
schien kein gleiches Wohlgefallen an dem rothen Tuche, wie dessen glückliche Be-
siherin, zu haben, sondern lief in starkem Trabe mit lautem Gebrüll ans sie los.
vergebens schrie das geängstigte Mädchen, und lief, eine Hausthür zu erreichen;
das wüthende Thier war schon nahe daran, sie einzuholen, da erschien plötzlich
ein Retter in der Noth. Jochen, der etwas früher mit seiner Heerde eingetrieben
war, stand noch ans dem Schultenhof, als er das .Mögeschrei des Mädchens
und das Brüllen des Bollens hörte. Schnell sprang er über den Zaum, lies,
ohne sich einen Augenblick zu" besinnen, dem Thier entgegen und klopfte ihm mit
der langen "Schwäb", die er als Kuhhirte noch bei sich halte, tüchtig um die
Dhren, so daß es in seinem Laufe inne hielt, und als nun noch "Strom", der
graue Hirtenhund, bellend an ihm emporsprang, eiligst umkehrte, von Jochen
lachend verfolgt, der uoch einige Peitschenhiebe ihm nachknallte. Von diesem Au¬
genblick an war die kleine Liesch ihrem Erretter mit schwärmerischer Liebe znge-
tha". Nicht daß sie viele Worte gemacht Hätte, denn das liegt überhaupt nicht
in der Art des Mecklenburgischen Landvolkes, aber alle ihre Handlungen zeigten
dieselbe. Wenn ihre "Modder", die damals noch lebte, ihr einen "Stuten"
(Semmel) aus der Stadt mitgebracht hatte, so suchte sie gewiß ihren Jochen auf,
um ihm die größte Hälfte davon zu gebe". Und als sie später viel zu der


während er mit der andern seine Lisch umfaßt hielt. Ueber die Kraft ihres Jo¬
chen erfreut, sah Liesch zu, und als die Kühe tranken, gab sie ihm unaufgefordert
ein Paar Dutzend Küsse. So stand das Paar plaudernd und küssend am Brun¬
nen unter den Kühen, die manchmal traulich sich der Liesch näherten, und leise
vor Wohlbehagen brummend, sich ans der Stirn kranken ließen, und war glücklich
und froh.

Joche», der Sohn eines armen Dorfwebers, war noch als „Schovljnng"
i» den schulfreien Sommermonaten, gegen Kost und i Thaler Lohn, als Knhhirte
in den Dienst des Schulzen getreten. Damals hütete Liesch die Gänse des Va¬
ters, und da Kuh- und Gänseweide nicht sehr weit von einander lagen, so be¬
suchte die kleine 10jährige Liesch ost den 13jährigen Jochen, und suchte Fremsen
(Kornblumen) mit ihm, aus denen sie dann Kränze wanden, oder horte zu, wie
er auf der ans Weidcnbast verfertigten Flöte blies, oder ergötzte sich an der
»ahmen Krähe, die er als Junge aus dem Nest ausgenommen hatte, und die nun,
schreiend und ihm ans der Hand fressend, ihm immer auf dem Felde nachflog.
So hatten die Kinder den ganzen Sommer mit einander gespielt, und sich ?o
an einander gewöhnt, daß Jedem die Zeit erschrecklich lang wurde, wenn das an¬
dere nicht bei ihm sein konnte. Aber ein Borfall sollte ihre Freundschaft noch
mehr befestigen. Eines Abends, als Liesch, der gerade die Mutter ein brennend
rothes Brusttuch mit gelben Blumen vom Jahrmarkt mitgebracht hatte, wohlgefällig
in diesem Staat durch das Dorf ging, um sich bewundern zu lassen, kam die
Kuhheerde vom Nachbar angetrieben. Der „Bull", schon so oft „t'rusnäsig",
schien kein gleiches Wohlgefallen an dem rothen Tuche, wie dessen glückliche Be-
siherin, zu haben, sondern lief in starkem Trabe mit lautem Gebrüll ans sie los.
vergebens schrie das geängstigte Mädchen, und lief, eine Hausthür zu erreichen;
das wüthende Thier war schon nahe daran, sie einzuholen, da erschien plötzlich
ein Retter in der Noth. Jochen, der etwas früher mit seiner Heerde eingetrieben
war, stand noch ans dem Schultenhof, als er das .Mögeschrei des Mädchens
und das Brüllen des Bollens hörte. Schnell sprang er über den Zaum, lies,
ohne sich einen Augenblick zu" besinnen, dem Thier entgegen und klopfte ihm mit
der langen „Schwäb", die er als Kuhhirte noch bei sich halte, tüchtig um die
Dhren, so daß es in seinem Laufe inne hielt, und als nun noch „Strom", der
graue Hirtenhund, bellend an ihm emporsprang, eiligst umkehrte, von Jochen
lachend verfolgt, der uoch einige Peitschenhiebe ihm nachknallte. Von diesem Au¬
genblick an war die kleine Liesch ihrem Erretter mit schwärmerischer Liebe znge-
tha». Nicht daß sie viele Worte gemacht Hätte, denn das liegt überhaupt nicht
in der Art des Mecklenburgischen Landvolkes, aber alle ihre Handlungen zeigten
dieselbe. Wenn ihre „Modder", die damals noch lebte, ihr einen „Stuten"
(Semmel) aus der Stadt mitgebracht hatte, so suchte sie gewiß ihren Jochen auf,
um ihm die größte Hälfte davon zu gebe». Und als sie später viel zu der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/415>, abgerufen am 04.07.2024.