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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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neuen Lieder weiß, und die reichste Erbin. Die möcht' ein Jeder gern als Brune
(Braut) haben, und die jungen Bauernsöhne kommen oft ein Paar Stunden weit
her, um mit ihr tanzen zu können. Wie freundlich grüßt auch jetzt eben der
Postillon, der mit seinen müden Rossen, mit denen er eine Russische Fürstin uach
Lübeck gefahren hat, langsam dnrch das Dorf zurück reitet, über den Zaun her¬
über: "Goder Morgen, Schulden-Dvchter, so liedig all upp?" "Ja, is all swer
veir Uhr, da not ick dee Kobe borner", antwortet das Mädchen. Der Postknecht
setzt das Horn an den Mund, und freudig tönt sein "Freut auch des Lebens ze."
in den schönen Morgen hinein, so daß Liesch noch eine ganze Weile mit Wohl¬
gefallen ihm nachlauscht. Dann geht sie raschen Schrittes zum Sod, das Wasser
zum "Börnen" (Tränken) der Kühe aufzuwinden und die Tröge zu füllen, wäh¬
rend der "Köhicrd" erstere unterdessen losgebunden hatte, so daß sie, eine nach
der andern, leise brummend angelaufen kamen. Kaum hatte Liesch, den Eimer
einige Mal in Bewegung gesetzt, so kam aus der Scheuueuthür ein junger Knecht
angeschlichen. Leise, so daß das eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigte Mädchen ihn nicht
bemerkte, schlich er sich hinter ihren Rücken. In demselben Augenblick, wo sich
ihre über den Sod gebeugte Gestalt aufrichtete, den vollen Eimer aufzuziehen,
fühlte sie sich von kräftigen Armen umfaßt, und eine braune, hartgcarbeitete Hand
bog ihren Kopf so geschickt zur Seite, daß der Störer schon einige Küsse ans
die rothen Lippen gedrückt hatte, bevor sie mir den Mund zum Sprechen öffnen
konnte. Der vor Schrecken losgelassene volle Eimer fuhr plumpend nieder in
die Tiefe. "Aewer Jochen, war häst Du mie verwiert, wo kannst Du ock so
augeschlackeu kamen", schalt das Mädchen, und gab sich alle Mühe, böse aus¬
zusehen. Aber ihr Auge glänzte so freundlich, daß man trotz der kleinen Falte"
aus der Stirn ihr wol ansah, die Störung sei nicht unangenehm gewesen. Joche"
war aber auch nicht allein der beste, kräftigste, sondern auch hübscheste Knecht des
ganzen Dorfes. Wie er da so mit seinem offenen, gutmüthigen Gesicht, dem
krausen, blonden Haar da stand, die breite Brust uur mit dein vorn offenen Hemde
bedeckt, die kräftigen Beine in einem Paar weiten, faltigen Leindwandhvsen, em
Bild der Kraft und Gesundheit, da hätten sich noch viele andere Dirnen in ih"
verliebt.

"Goder Morgen, mien sole Liesch, wat süsst Du wedder glat aut, D"
möst mie noch Paar Küß geben", entgegnete der Bursche auf alles Schelten, ß-e
dabei wieder von Neuem umfassend.'

"Daför dat mie dat vulle Emmer wedder in den Sod fallen is, soll ick Du
"och küssen, lat mie tvsräden, ick baw so kenne Tieb nichr, denn wenn dee Vavcr
npstahn is und ick baw dee Koöh noch nich hörend, so weest Du, dat see blarft
(schilt).

Jochen ließ sich nicht abschrecken. "Ach wat, ick will die dat Water wol
hernmtrecken." Spielend zog er den schweren Eimer mit einer Hand heraus,


neuen Lieder weiß, und die reichste Erbin. Die möcht' ein Jeder gern als Brune
(Braut) haben, und die jungen Bauernsöhne kommen oft ein Paar Stunden weit
her, um mit ihr tanzen zu können. Wie freundlich grüßt auch jetzt eben der
Postillon, der mit seinen müden Rossen, mit denen er eine Russische Fürstin uach
Lübeck gefahren hat, langsam dnrch das Dorf zurück reitet, über den Zaun her¬
über: „Goder Morgen, Schulden-Dvchter, so liedig all upp?" „Ja, is all swer
veir Uhr, da not ick dee Kobe borner", antwortet das Mädchen. Der Postknecht
setzt das Horn an den Mund, und freudig tönt sein „Freut auch des Lebens ze."
in den schönen Morgen hinein, so daß Liesch noch eine ganze Weile mit Wohl¬
gefallen ihm nachlauscht. Dann geht sie raschen Schrittes zum Sod, das Wasser
zum „Börnen" (Tränken) der Kühe aufzuwinden und die Tröge zu füllen, wäh¬
rend der „Köhicrd" erstere unterdessen losgebunden hatte, so daß sie, eine nach
der andern, leise brummend angelaufen kamen. Kaum hatte Liesch, den Eimer
einige Mal in Bewegung gesetzt, so kam aus der Scheuueuthür ein junger Knecht
angeschlichen. Leise, so daß das eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigte Mädchen ihn nicht
bemerkte, schlich er sich hinter ihren Rücken. In demselben Augenblick, wo sich
ihre über den Sod gebeugte Gestalt aufrichtete, den vollen Eimer aufzuziehen,
fühlte sie sich von kräftigen Armen umfaßt, und eine braune, hartgcarbeitete Hand
bog ihren Kopf so geschickt zur Seite, daß der Störer schon einige Küsse ans
die rothen Lippen gedrückt hatte, bevor sie mir den Mund zum Sprechen öffnen
konnte. Der vor Schrecken losgelassene volle Eimer fuhr plumpend nieder in
die Tiefe. „Aewer Jochen, war häst Du mie verwiert, wo kannst Du ock so
augeschlackeu kamen", schalt das Mädchen, und gab sich alle Mühe, böse aus¬
zusehen. Aber ihr Auge glänzte so freundlich, daß man trotz der kleinen Falte»
aus der Stirn ihr wol ansah, die Störung sei nicht unangenehm gewesen. Joche»
war aber auch nicht allein der beste, kräftigste, sondern auch hübscheste Knecht des
ganzen Dorfes. Wie er da so mit seinem offenen, gutmüthigen Gesicht, dem
krausen, blonden Haar da stand, die breite Brust uur mit dein vorn offenen Hemde
bedeckt, die kräftigen Beine in einem Paar weiten, faltigen Leindwandhvsen, em
Bild der Kraft und Gesundheit, da hätten sich noch viele andere Dirnen in ih»
verliebt.

„Goder Morgen, mien sole Liesch, wat süsst Du wedder glat aut, D»
möst mie noch Paar Küß geben", entgegnete der Bursche auf alles Schelten, ß-e
dabei wieder von Neuem umfassend.'

„Daför dat mie dat vulle Emmer wedder in den Sod fallen is, soll ick Du
»och küssen, lat mie tvsräden, ick baw so kenne Tieb nichr, denn wenn dee Vavcr
npstahn is und ick baw dee Koöh noch nich hörend, so weest Du, dat see blarft
(schilt).

Jochen ließ sich nicht abschrecken. „Ach wat, ick will die dat Water wol
hernmtrecken." Spielend zog er den schweren Eimer mit einer Hand heraus,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/414>, abgerufen am 04.07.2024.