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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Ma eingeschlossen, ist ein einziger großer Dunghaufen mit wenigen trockenen Stellen,
ans welchen Hacken, Eggen, oder Wagen herumstehen, und ein großer Haufen
von Buschholz zum Brennen aufgestapelt ist. DaS Ganze sieht wüst, schmuzig,
ja selbst verfallen aus.

Neben dem Hvfplatz und durch das Hans von demselben geschieden erstreckt
sich der mehrere Morgen große Garten. Einige Obstbäume geben fast allein
demselben ein gartenähnlicheö Ansehen, sonst gleicht er mit seinen Kartoffeln,
Bohnen, Kohl und deu vielen grünen Grasplätzen, zum Weiden des jungen Viehes,
vollkommen allem übrigen Acker. Nur unmittelbar unter deu Fenstern des Hauses
ist das Walten einer pflegenden Hand sichtbar. Ein leicht ans Weiden gefloch¬
tener Zaun umgiebt hier einen kleinen Blumengarten. Sind es auch uur einige
Miz gewöhnliche Blumen, Topfnelken, Goldlack, Levkoycn, etwas Reseda und
Salben'rant, so ist der Anblick doch erfreulich. Liesch, die einzige Tochter des
"Schulter", hatte sich dieses kleine Gärtchen angelegt, hegte es mit vieler Liebe, und
war stolz darauf, wenn ihre Sträußer, die sie an Sonn- und Festtagen beim
Besuch der Kirche, oder beim Amnähen des Weizens, oder ähnlichen festlichen
Gelegenheiten am Busen trug, den verdienten Beifall unter allen Mädchen des
Dorfes fanden.

So ist der Schauplatz unsrer einfachen Erzählung.

Es wird im Dorfe allmählich lebendiger, obgleich noch sehr früh am Mor¬
gen, denn die Ziffer der Kirchthnrmnhr zeigt kaum aus die vierte Stunde. Auch
die große Hofthür des Schultenhauses öffnet sich zur Hälfte, und ein Mädchen,
husch wie der eben begonnene Tag, tritt ans dem Dunkel. Ihr Anzug ist sehr
einfach. Ein bis halb über die Wade reichender Rock von eigen gemachtem, grün,
schwarz und roth gestreiftem Wollenzeuge, unten am Saum mit drei fingerbreiten
grünen Baudstreifen eingefaßt, ist lose um die vollen Hüften gebunden; den
Oberkörper bedeckt ein offenes Leibchen von grobem grünem Tuch, ohne Aermel,
und läßt vorn und an beiden Armen das weiße Hemd sehen. Die hellblonden
Haare von seltener Fülle und seidenartigem Glänze sind lose im Nacken hinten
aufgebunden, oben auf dem Hinterkopf dnrch ein ganz kleines, der Form nach
einer Kindermütze ähnliches Käppchen von buntem Kattun, und mit schmalem
hellgrünem Bande zugebunden, zurückgehalten. Die kräftige Wade, welche halb
unter dem kurzen Rock'hervorschaut, ist mit selbstgestrickte" blauwolleneu Strümpfen
bedeckt, der zierliche Fuß ruht aber in einem plump gearbeitete", schweren Holz¬
pantoffel. Das runde frische Gesicht, mit großen blauen Angen, von sanftem,
frommem Ausdruck, dazu die schlanke und dabei doch kräftige Gestalt bildeten ein
ansprechendes Ganzes. Kein Wunder, daß "Liesch" als hübschestes Mädchen
im gauzen Dorfe bekannt ist; dazu ist sie noch die beste Tänzerin auf Oarebier
und Fastellabend (Erntebier und Fastnacht), die flinkeste Binderin in der Ernte,
die lauteste Sängerin beim Heimgang von der Arbeit, die immer die meisten


Ma eingeschlossen, ist ein einziger großer Dunghaufen mit wenigen trockenen Stellen,
ans welchen Hacken, Eggen, oder Wagen herumstehen, und ein großer Haufen
von Buschholz zum Brennen aufgestapelt ist. DaS Ganze sieht wüst, schmuzig,
ja selbst verfallen aus.

Neben dem Hvfplatz und durch das Hans von demselben geschieden erstreckt
sich der mehrere Morgen große Garten. Einige Obstbäume geben fast allein
demselben ein gartenähnlicheö Ansehen, sonst gleicht er mit seinen Kartoffeln,
Bohnen, Kohl und deu vielen grünen Grasplätzen, zum Weiden des jungen Viehes,
vollkommen allem übrigen Acker. Nur unmittelbar unter deu Fenstern des Hauses
ist das Walten einer pflegenden Hand sichtbar. Ein leicht ans Weiden gefloch¬
tener Zaun umgiebt hier einen kleinen Blumengarten. Sind es auch uur einige
Miz gewöhnliche Blumen, Topfnelken, Goldlack, Levkoycn, etwas Reseda und
Salben'rant, so ist der Anblick doch erfreulich. Liesch, die einzige Tochter des
„Schulter", hatte sich dieses kleine Gärtchen angelegt, hegte es mit vieler Liebe, und
war stolz darauf, wenn ihre Sträußer, die sie an Sonn- und Festtagen beim
Besuch der Kirche, oder beim Amnähen des Weizens, oder ähnlichen festlichen
Gelegenheiten am Busen trug, den verdienten Beifall unter allen Mädchen des
Dorfes fanden.

So ist der Schauplatz unsrer einfachen Erzählung.

Es wird im Dorfe allmählich lebendiger, obgleich noch sehr früh am Mor¬
gen, denn die Ziffer der Kirchthnrmnhr zeigt kaum aus die vierte Stunde. Auch
die große Hofthür des Schultenhauses öffnet sich zur Hälfte, und ein Mädchen,
husch wie der eben begonnene Tag, tritt ans dem Dunkel. Ihr Anzug ist sehr
einfach. Ein bis halb über die Wade reichender Rock von eigen gemachtem, grün,
schwarz und roth gestreiftem Wollenzeuge, unten am Saum mit drei fingerbreiten
grünen Baudstreifen eingefaßt, ist lose um die vollen Hüften gebunden; den
Oberkörper bedeckt ein offenes Leibchen von grobem grünem Tuch, ohne Aermel,
und läßt vorn und an beiden Armen das weiße Hemd sehen. Die hellblonden
Haare von seltener Fülle und seidenartigem Glänze sind lose im Nacken hinten
aufgebunden, oben auf dem Hinterkopf dnrch ein ganz kleines, der Form nach
einer Kindermütze ähnliches Käppchen von buntem Kattun, und mit schmalem
hellgrünem Bande zugebunden, zurückgehalten. Die kräftige Wade, welche halb
unter dem kurzen Rock'hervorschaut, ist mit selbstgestrickte» blauwolleneu Strümpfen
bedeckt, der zierliche Fuß ruht aber in einem plump gearbeitete», schweren Holz¬
pantoffel. Das runde frische Gesicht, mit großen blauen Angen, von sanftem,
frommem Ausdruck, dazu die schlanke und dabei doch kräftige Gestalt bildeten ein
ansprechendes Ganzes. Kein Wunder, daß „Liesch" als hübschestes Mädchen
im gauzen Dorfe bekannt ist; dazu ist sie noch die beste Tänzerin auf Oarebier
und Fastellabend (Erntebier und Fastnacht), die flinkeste Binderin in der Ernte,
die lauteste Sängerin beim Heimgang von der Arbeit, die immer die meisten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/413>, abgerufen am 04.07.2024.