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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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seine Manieren, die er ans jede Rolle überträgt, die aber nicht, wie z. B. bei
Döring, aus Effecthascherei, sondern offenbar aus jenem in sich gekehrten, brü¬
tenden Wesen hervorgehen. Sie bestehen nicht allein in einer forcirten Anwen¬
dung eines leidenschaftlichen Augcuspiels, sondern auch in gewissen eckigen Bewe¬
gungen der Arme und Hände, gewissen seitwärts gegen das Publicum gerichteten
Schullerstelluugen und dergleichen mehr, was da, wo Feinheit oder Anmuth der
Tournüre erforderlich ist, geradezu störend wirken kann. Sehr hinderlich waren
ihm diese Angewohnheiten im Gewände der Römischen und Griechischen Antike,
in deren Ton und Haltung er sich auch sonst nicht zu finden wußte. Weder
sein Coriolan, noch sein Theseus (Hippolyt von Euripides) boten neben vielen
Mängeln der Darstellung irgend eine befriedigende Seite dar. Wenn ich am
Othello die Heldengestalt nicht vermißte, so ward ihr Mangel meinem Gefühl
am Coriolan allerdings empfindlich. Hier erwarten wir den glänzenden, impo-
nirenden Krieger, den riesenkräftigen Streiter schon in der sinnlichen Erscheinung
zu erkennen; ein kleiner, schmächtiger, engschnltriger Körper will zu der Vorstel¬
lung, die wir uns von einem Coriolan entwerfen, durchaus nicht passen. Die
alten Berliner Theatergänger tragen von diesem Römischen Heros das Bild einer
gewaltigen Figur und einer gewaltigen Lunge in der Erinnerung: Mattausch, der
durch seinen Bastard von Orleans an den Grundfesten des Schauspielhauses zu
rütteln pflegte. Als Coriolan kam er freilich mit seiner Muttersprache nie in Ord¬
nung, da er das zweite O in Corioli stets lang und mit acuten Accente sprach;
aber dergleichen Irrthümer der Sprache geschehen manchem Helden der herrlich¬
sten Armee, und deswegen konnte er immer noch ein großer General sein.

Es liegt uicht nur an der körperlichen Erscheinung, daß Ludwig Dessoir und
Cajus Martins Coriolanus zwei durchaus verschiedene Persönlichkeiten blieben;
es liegt in der ganzen Darstellungsweise des Erstem das wesentlichste Hinderniß
seiner Vereinigung mit dem darzustellenden Charakter. Wir sahen nicht den stolzen
Patricier, der sich wiegt aus der Höhe seiner aristokratischen Geburt, sich sonnt im
Glänze seines Heldenruhms nud in strahlend vornehmer Geringschätzung das Volk
verachtet. Eine Art von Stolz ruhte allerdings auf der umwölkten Stirn des
Dessoir'schen Coriolan, aber es schien mehr die Weltverachtung eines mürrischen
Stoikers, als die Selbstüberschätzung des von Glück und Ruhm emporgetragenen
Feldherrn. Und wieder lag in der Weise, wie er mit dem Volke sprach, viel zu
viel Zorn, viel zu viel Galle, zu wenig kalte Verachtung, zu wenig Vornehmheit.
Ein Coriolan kann der Masse hart, schroff und trotzig begegnen, aber er zetert
nicht mit ihr wie ein hypochondrischer Schulmeister. Wenn der gleiche Mangel
an antiker und königlicher Haltung im Theseus uicht in gleichem Grade auffiel,
so mag die geringere dramatische Bedeutung des Charakters davon die Ursache
fein. Die Verstöße gegen die Sitte des Alterthums waren hier noch verletzender
als dort; indessen weiß ich nicht, wieweit dieselben, z. B. das anbetende Nieder-


seine Manieren, die er ans jede Rolle überträgt, die aber nicht, wie z. B. bei
Döring, aus Effecthascherei, sondern offenbar aus jenem in sich gekehrten, brü¬
tenden Wesen hervorgehen. Sie bestehen nicht allein in einer forcirten Anwen¬
dung eines leidenschaftlichen Augcuspiels, sondern auch in gewissen eckigen Bewe¬
gungen der Arme und Hände, gewissen seitwärts gegen das Publicum gerichteten
Schullerstelluugen und dergleichen mehr, was da, wo Feinheit oder Anmuth der
Tournüre erforderlich ist, geradezu störend wirken kann. Sehr hinderlich waren
ihm diese Angewohnheiten im Gewände der Römischen und Griechischen Antike,
in deren Ton und Haltung er sich auch sonst nicht zu finden wußte. Weder
sein Coriolan, noch sein Theseus (Hippolyt von Euripides) boten neben vielen
Mängeln der Darstellung irgend eine befriedigende Seite dar. Wenn ich am
Othello die Heldengestalt nicht vermißte, so ward ihr Mangel meinem Gefühl
am Coriolan allerdings empfindlich. Hier erwarten wir den glänzenden, impo-
nirenden Krieger, den riesenkräftigen Streiter schon in der sinnlichen Erscheinung
zu erkennen; ein kleiner, schmächtiger, engschnltriger Körper will zu der Vorstel¬
lung, die wir uns von einem Coriolan entwerfen, durchaus nicht passen. Die
alten Berliner Theatergänger tragen von diesem Römischen Heros das Bild einer
gewaltigen Figur und einer gewaltigen Lunge in der Erinnerung: Mattausch, der
durch seinen Bastard von Orleans an den Grundfesten des Schauspielhauses zu
rütteln pflegte. Als Coriolan kam er freilich mit seiner Muttersprache nie in Ord¬
nung, da er das zweite O in Corioli stets lang und mit acuten Accente sprach;
aber dergleichen Irrthümer der Sprache geschehen manchem Helden der herrlich¬
sten Armee, und deswegen konnte er immer noch ein großer General sein.

Es liegt uicht nur an der körperlichen Erscheinung, daß Ludwig Dessoir und
Cajus Martins Coriolanus zwei durchaus verschiedene Persönlichkeiten blieben;
es liegt in der ganzen Darstellungsweise des Erstem das wesentlichste Hinderniß
seiner Vereinigung mit dem darzustellenden Charakter. Wir sahen nicht den stolzen
Patricier, der sich wiegt aus der Höhe seiner aristokratischen Geburt, sich sonnt im
Glänze seines Heldenruhms nud in strahlend vornehmer Geringschätzung das Volk
verachtet. Eine Art von Stolz ruhte allerdings auf der umwölkten Stirn des
Dessoir'schen Coriolan, aber es schien mehr die Weltverachtung eines mürrischen
Stoikers, als die Selbstüberschätzung des von Glück und Ruhm emporgetragenen
Feldherrn. Und wieder lag in der Weise, wie er mit dem Volke sprach, viel zu
viel Zorn, viel zu viel Galle, zu wenig kalte Verachtung, zu wenig Vornehmheit.
Ein Coriolan kann der Masse hart, schroff und trotzig begegnen, aber er zetert
nicht mit ihr wie ein hypochondrischer Schulmeister. Wenn der gleiche Mangel
an antiker und königlicher Haltung im Theseus uicht in gleichem Grade auffiel,
so mag die geringere dramatische Bedeutung des Charakters davon die Ursache
fein. Die Verstöße gegen die Sitte des Alterthums waren hier noch verletzender
als dort; indessen weiß ich nicht, wieweit dieselben, z. B. das anbetende Nieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/40>, abgerufen am 30.06.2024.