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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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die Form, den Schein der Leidenschaft, er besitzt diese selbst in fortreißender
Gewalt überall, wo sie aus einem düstern Affecte sich entwickeln kann. Das spre¬
chendste Seitenstück zum Othello liefert in dieser Beziehung sein Heißsporn in
Shakspeare's Heinrich dem Vierten, dessen wilde, sprudelnde Zvrueöhitze Dessoir's
schweren Ton wie einen Gießbach belebt, der über die Kiesel eines steinigen Bettes
hinwegschäumt.

Das bewußte Streben nach realer Gestaltung des Charakterlebens führt Lud¬
wig Dessoir immer zuerst auf die nationalen Wurzeln der dramatischen Person,
die er durch die plastische Malerei der Schauspielkunst beleben soll. Hier läßt
uns dann eine aufmerksame Beobachtung sehr bald erkennen, daß dem Wesen
seines Spiels zwei Nationalitäten besonders entsprechen: die Englische und die
Deutsche, denen er durch zwei Grundeigenschaften seiner psychischen Natur, von
denen die zweite eigentlich mir eine krankhafte Steigerung der ersten ist, am Näch¬
sten verwandt erscheint. Es sind dies: Innigkeit des Gemüths und Melancholie.
Dessoir ist Hypochonder, und ein hypochondrischer Zug geht durch alle seine Darstel¬
lungen, färbt sogar seinen Humor, und giebt auch seiner Leidenschaft jene düstere
Stimmung, jenes Rembrandt'sche Colorit. Nicht einem allerdings nicht völlig
überwundenen schwerpathetischen Accente allein dürfen wir es zuschreiben, daß uns
bei Dessoir's Spiel mitunter das Gefühl der Monotonie beschleicht; es ist viel¬
mehr eine gedrückte, krankhafte Färbung, die er nirgends vollständig zu entfernen
vermag, und die bei steter Wiederkehr als Grundstimmung der verschiedensten
Rollen seiner Spielweise den Stempel der Einseitigkeit aufdrückt. Ganz unleidlich
wurde mir diese Krankhaftigkeit in solchen Charakteren, die schon nach dem Willen
des Autors an einer überschwänglichen Dosis hypochondrischer Sentimentalität
leiden, wie der weltschmerzelude Lord in Magdala von Frau Birch-Pfeiffer. Statt
der Gefühlsverwässerung hier mit einer etwas kräftigen Zuthat zu einiger männ¬
lichen Konsistenz zu verhelfen, überließ Dessoir sich der krankhaftesten Ueberspan-
nung, die in der That nur in Romberg's Nervenlehre ihre Knnstprineipien und
ihr Kriterium finden kann. Des Humors entbehrt jedoch Dessoir nicht, wenn
derselbe heiß- oder schwerblütig zu färben ist. Läßt er ihn schon in seinem Percy
in gemüthvoller Weise anklingen, so weiß er demselben als Bolingbrvke in Scribe's
Glas Wasser noch bestimmter den national Englischen Ausdruck zu geben, und den
Staatsmann mit dem Maun von Welt zu verbinden. Trotz der gewissen Schwere
seines Organs, die wol weniger im kräftigen Tone, als in den Werkzeugen der
Wortprägung ihre Ursache hat, beherrscht er die Conversation nicht ohne Gewandt¬
heit der Sprache. In der gewichtigen Weise, womit er seine Wortgefechte vor¬
trägt, verherrlicht sich die Selbstgefälligkeit, welche einen Hauptzug des Charakters
bildet; nur wird diese Weise wirklich zur Manier, indem der Künstler sie zu
häufig wiederkehren und auch in die Mimik des Antlitzes treten läßt.

Manieren sind von einem Hypochonder untrennbar. So hat denn auch Dessoir


die Form, den Schein der Leidenschaft, er besitzt diese selbst in fortreißender
Gewalt überall, wo sie aus einem düstern Affecte sich entwickeln kann. Das spre¬
chendste Seitenstück zum Othello liefert in dieser Beziehung sein Heißsporn in
Shakspeare's Heinrich dem Vierten, dessen wilde, sprudelnde Zvrueöhitze Dessoir's
schweren Ton wie einen Gießbach belebt, der über die Kiesel eines steinigen Bettes
hinwegschäumt.

Das bewußte Streben nach realer Gestaltung des Charakterlebens führt Lud¬
wig Dessoir immer zuerst auf die nationalen Wurzeln der dramatischen Person,
die er durch die plastische Malerei der Schauspielkunst beleben soll. Hier läßt
uns dann eine aufmerksame Beobachtung sehr bald erkennen, daß dem Wesen
seines Spiels zwei Nationalitäten besonders entsprechen: die Englische und die
Deutsche, denen er durch zwei Grundeigenschaften seiner psychischen Natur, von
denen die zweite eigentlich mir eine krankhafte Steigerung der ersten ist, am Näch¬
sten verwandt erscheint. Es sind dies: Innigkeit des Gemüths und Melancholie.
Dessoir ist Hypochonder, und ein hypochondrischer Zug geht durch alle seine Darstel¬
lungen, färbt sogar seinen Humor, und giebt auch seiner Leidenschaft jene düstere
Stimmung, jenes Rembrandt'sche Colorit. Nicht einem allerdings nicht völlig
überwundenen schwerpathetischen Accente allein dürfen wir es zuschreiben, daß uns
bei Dessoir's Spiel mitunter das Gefühl der Monotonie beschleicht; es ist viel¬
mehr eine gedrückte, krankhafte Färbung, die er nirgends vollständig zu entfernen
vermag, und die bei steter Wiederkehr als Grundstimmung der verschiedensten
Rollen seiner Spielweise den Stempel der Einseitigkeit aufdrückt. Ganz unleidlich
wurde mir diese Krankhaftigkeit in solchen Charakteren, die schon nach dem Willen
des Autors an einer überschwänglichen Dosis hypochondrischer Sentimentalität
leiden, wie der weltschmerzelude Lord in Magdala von Frau Birch-Pfeiffer. Statt
der Gefühlsverwässerung hier mit einer etwas kräftigen Zuthat zu einiger männ¬
lichen Konsistenz zu verhelfen, überließ Dessoir sich der krankhaftesten Ueberspan-
nung, die in der That nur in Romberg's Nervenlehre ihre Knnstprineipien und
ihr Kriterium finden kann. Des Humors entbehrt jedoch Dessoir nicht, wenn
derselbe heiß- oder schwerblütig zu färben ist. Läßt er ihn schon in seinem Percy
in gemüthvoller Weise anklingen, so weiß er demselben als Bolingbrvke in Scribe's
Glas Wasser noch bestimmter den national Englischen Ausdruck zu geben, und den
Staatsmann mit dem Maun von Welt zu verbinden. Trotz der gewissen Schwere
seines Organs, die wol weniger im kräftigen Tone, als in den Werkzeugen der
Wortprägung ihre Ursache hat, beherrscht er die Conversation nicht ohne Gewandt¬
heit der Sprache. In der gewichtigen Weise, womit er seine Wortgefechte vor¬
trägt, verherrlicht sich die Selbstgefälligkeit, welche einen Hauptzug des Charakters
bildet; nur wird diese Weise wirklich zur Manier, indem der Künstler sie zu
häufig wiederkehren und auch in die Mimik des Antlitzes treten läßt.

Manieren sind von einem Hypochonder untrennbar. So hat denn auch Dessoir


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[0039] die Form, den Schein der Leidenschaft, er besitzt diese selbst in fortreißender Gewalt überall, wo sie aus einem düstern Affecte sich entwickeln kann. Das spre¬ chendste Seitenstück zum Othello liefert in dieser Beziehung sein Heißsporn in Shakspeare's Heinrich dem Vierten, dessen wilde, sprudelnde Zvrueöhitze Dessoir's schweren Ton wie einen Gießbach belebt, der über die Kiesel eines steinigen Bettes hinwegschäumt. Das bewußte Streben nach realer Gestaltung des Charakterlebens führt Lud¬ wig Dessoir immer zuerst auf die nationalen Wurzeln der dramatischen Person, die er durch die plastische Malerei der Schauspielkunst beleben soll. Hier läßt uns dann eine aufmerksame Beobachtung sehr bald erkennen, daß dem Wesen seines Spiels zwei Nationalitäten besonders entsprechen: die Englische und die Deutsche, denen er durch zwei Grundeigenschaften seiner psychischen Natur, von denen die zweite eigentlich mir eine krankhafte Steigerung der ersten ist, am Näch¬ sten verwandt erscheint. Es sind dies: Innigkeit des Gemüths und Melancholie. Dessoir ist Hypochonder, und ein hypochondrischer Zug geht durch alle seine Darstel¬ lungen, färbt sogar seinen Humor, und giebt auch seiner Leidenschaft jene düstere Stimmung, jenes Rembrandt'sche Colorit. Nicht einem allerdings nicht völlig überwundenen schwerpathetischen Accente allein dürfen wir es zuschreiben, daß uns bei Dessoir's Spiel mitunter das Gefühl der Monotonie beschleicht; es ist viel¬ mehr eine gedrückte, krankhafte Färbung, die er nirgends vollständig zu entfernen vermag, und die bei steter Wiederkehr als Grundstimmung der verschiedensten Rollen seiner Spielweise den Stempel der Einseitigkeit aufdrückt. Ganz unleidlich wurde mir diese Krankhaftigkeit in solchen Charakteren, die schon nach dem Willen des Autors an einer überschwänglichen Dosis hypochondrischer Sentimentalität leiden, wie der weltschmerzelude Lord in Magdala von Frau Birch-Pfeiffer. Statt der Gefühlsverwässerung hier mit einer etwas kräftigen Zuthat zu einiger männ¬ lichen Konsistenz zu verhelfen, überließ Dessoir sich der krankhaftesten Ueberspan- nung, die in der That nur in Romberg's Nervenlehre ihre Knnstprineipien und ihr Kriterium finden kann. Des Humors entbehrt jedoch Dessoir nicht, wenn derselbe heiß- oder schwerblütig zu färben ist. Läßt er ihn schon in seinem Percy in gemüthvoller Weise anklingen, so weiß er demselben als Bolingbrvke in Scribe's Glas Wasser noch bestimmter den national Englischen Ausdruck zu geben, und den Staatsmann mit dem Maun von Welt zu verbinden. Trotz der gewissen Schwere seines Organs, die wol weniger im kräftigen Tone, als in den Werkzeugen der Wortprägung ihre Ursache hat, beherrscht er die Conversation nicht ohne Gewandt¬ heit der Sprache. In der gewichtigen Weise, womit er seine Wortgefechte vor¬ trägt, verherrlicht sich die Selbstgefälligkeit, welche einen Hauptzug des Charakters bildet; nur wird diese Weise wirklich zur Manier, indem der Künstler sie zu häufig wiederkehren und auch in die Mimik des Antlitzes treten läßt. Manieren sind von einem Hypochonder untrennbar. So hat denn auch Dessoir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/39>, abgerufen am 30.06.2024.