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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Salondame nehmen, in"ß auffallen; daß sie aber in der impertinenten und dabei
doch etwas coanetten Rücksichtslosigkeit, mit welcher diese jedem beliebigen Einfall,
so wie jeder beliebigen Stimmung Worte giebt, eine energische Wahrheitsliebe
sehen, ist ein starkes Zeichen dafür, daß Wahrheit für sie Nichts ist, als ein for-
, neuer Begriff.

Um das Urtheil abzuschließen, bemerke ich noch Folgendes. Die neue Ka¬
tholikin ist nichts Anderes, als die alte Weltdame; es ist nicht eine weitere, oder
höhere Entwickelung ihres Wesens, sondern nur die Ausbildung einer zweiten
Seite desselben, die in der Doppelnatur der Lelia und Faustine begründet ist.
Die Maßlosigkeit einer hochmüthigen weiblichen Subjektivität, die sich für den
Mittelpunkt der Welt ansieht, um deu alle Sterne kreisen, führt zu beiden Abwegen.
Georges Sand hat das Problem ganz richtig gestellt; in jedem Augenblick erneuert
sich die Frage: Buhlerin oder Betschwester? Rücksichtsloser Materialismus, oder
rücksichtsloser Spiritualismus? Unendliche Befriedigung in der Lust oder unend-
liche Befriedigung im Schmerz? Und zwischen beiden Extremen schwankend, bleibt
die schone Seele in einem wilden Traumleben, in dem bald von der einen, bald
von der andern Seite die Gestalten sich in deu Vordergrund drängen, in der
Mitte. Sie sehnt sich nach Faustischer Lust, nach Faustischem Schmerz, und ist
doch in ihrem Wesen viel zu schattenhaft, um das Eine oder das Andere ertra¬
gen zu tonnen. -- Bei der Gräfin kommt noch Eins dazu. Der Verfasser des
letzten Werkes meint, wenn ein neuer Philippus Neri aufträte, um ihre Heiligkeit
W prüfen, und von ihr verlangte, sie solle ihm die Stiefeln ausziehen, so würde
ste es bei ihrer neuerworbenen Demuth gern und willig thun. Das weiß ich
nicht; aber das weiß ich, wenn der Heilige von ihr verlangte, sie sollte sich nicht
u>ehr gnädige Gräfin tituliren lassen, so würde ste entschieden erklären: "Lieber
I. S. "ach Babhlon zurück!"




Wochenschau.
Pariser Botschaften.

-- Wenn man ficht, wo die Franzose" ihre dra¬
stischen Neuigkeiten austreiben, kann Einem wahrhaftig nicht bange sein um die künf¬
tige Präsidentenwahl. -- Der Pariser Erfindungsgeist wird schon helfen, und so ein
10. December läßt sich immer noch zusammenbringen. Diese Beruhigung für die Zu¬
kunft verdanke ich meinem PflichtgcfMe. das mich, trotz der schonen Sommertage, die
auf dem Rückwege von der Londoner Weltausstellung bei uus einkehren, in die Theater
trieb. Ich f>Me es, wie wir uns schon zu lange mit den Prorogationsmvglichkcitcn
und Nevisivnsuumöglichkcitcn aufgehalten haben, und endlich auch einmal politische Ferien
nehmen sollten. Ehe ich den Leser ins Theater sichre, kann ich mir die Genugthuung
"icht versagen, ihm anzukündigen, daß der erste Act einer andern politischen Komödie,
die jetzt in den Provinzen ausgeführt wird, durchgefallen sei. Die Bezirksräthc sind


Salondame nehmen, in»ß auffallen; daß sie aber in der impertinenten und dabei
doch etwas coanetten Rücksichtslosigkeit, mit welcher diese jedem beliebigen Einfall,
so wie jeder beliebigen Stimmung Worte giebt, eine energische Wahrheitsliebe
sehen, ist ein starkes Zeichen dafür, daß Wahrheit für sie Nichts ist, als ein for-
, neuer Begriff.

Um das Urtheil abzuschließen, bemerke ich noch Folgendes. Die neue Ka¬
tholikin ist nichts Anderes, als die alte Weltdame; es ist nicht eine weitere, oder
höhere Entwickelung ihres Wesens, sondern nur die Ausbildung einer zweiten
Seite desselben, die in der Doppelnatur der Lelia und Faustine begründet ist.
Die Maßlosigkeit einer hochmüthigen weiblichen Subjektivität, die sich für den
Mittelpunkt der Welt ansieht, um deu alle Sterne kreisen, führt zu beiden Abwegen.
Georges Sand hat das Problem ganz richtig gestellt; in jedem Augenblick erneuert
sich die Frage: Buhlerin oder Betschwester? Rücksichtsloser Materialismus, oder
rücksichtsloser Spiritualismus? Unendliche Befriedigung in der Lust oder unend-
liche Befriedigung im Schmerz? Und zwischen beiden Extremen schwankend, bleibt
die schone Seele in einem wilden Traumleben, in dem bald von der einen, bald
von der andern Seite die Gestalten sich in deu Vordergrund drängen, in der
Mitte. Sie sehnt sich nach Faustischer Lust, nach Faustischem Schmerz, und ist
doch in ihrem Wesen viel zu schattenhaft, um das Eine oder das Andere ertra¬
gen zu tonnen. — Bei der Gräfin kommt noch Eins dazu. Der Verfasser des
letzten Werkes meint, wenn ein neuer Philippus Neri aufträte, um ihre Heiligkeit
W prüfen, und von ihr verlangte, sie solle ihm die Stiefeln ausziehen, so würde
ste es bei ihrer neuerworbenen Demuth gern und willig thun. Das weiß ich
nicht; aber das weiß ich, wenn der Heilige von ihr verlangte, sie sollte sich nicht
u>ehr gnädige Gräfin tituliren lassen, so würde ste entschieden erklären: „Lieber
I. S. «ach Babhlon zurück!"




Wochenschau.
Pariser Botschaften.

— Wenn man ficht, wo die Franzose» ihre dra¬
stischen Neuigkeiten austreiben, kann Einem wahrhaftig nicht bange sein um die künf¬
tige Präsidentenwahl. — Der Pariser Erfindungsgeist wird schon helfen, und so ein
10. December läßt sich immer noch zusammenbringen. Diese Beruhigung für die Zu¬
kunft verdanke ich meinem PflichtgcfMe. das mich, trotz der schonen Sommertage, die
auf dem Rückwege von der Londoner Weltausstellung bei uus einkehren, in die Theater
trieb. Ich f>Me es, wie wir uns schon zu lange mit den Prorogationsmvglichkcitcn
und Nevisivnsuumöglichkcitcn aufgehalten haben, und endlich auch einmal politische Ferien
nehmen sollten. Ehe ich den Leser ins Theater sichre, kann ich mir die Genugthuung
»icht versagen, ihm anzukündigen, daß der erste Act einer andern politischen Komödie,
die jetzt in den Provinzen ausgeführt wird, durchgefallen sei. Die Bezirksräthc sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/399>, abgerufen am 04.07.2024.