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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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den meisten Punkten Recht, natürlich vom evangelischen Standpunkt ans. Er
wendet sich dann zur Frage: wie kam die Reformation dazu, diese unendlichen
Güter aufzugeben und den schwachen Menschen ans der Sicherheit seines Para¬
dieses in die Wüste hinauszustoßen, wo er sich selber den Weg suchen muß?
Er findet auch hier die richtige Autwort. Es waren nicht einzelne Mißbräuche
der kirchlichen Einrichtungen, die Luther bestimmten, es war auch nicht ein dog¬
matischer Gegensatz, der überhaupt gleichgiltig ist, und der jedenfalls auf einem
andern Wege bequemer hätte erledigt werden können: -- sondern es war das
gewaltige, mit Entsetzen verknüpfte Gefühl, daß diese reale Er¬
scheinung Gottes, deren die katholische Kirche sich rühmte, eine
Lüge war. -- Das ist allerdings der Kernpunkt der Sache, und daß der Ver¬
fasser ihn so scharf auffaßt, zeigt, daß er ernst und tief über seinen Gegenstand
nachgedacht hat. Wie ist es aber möglich, daß er gleich daraus wieder in den
alten Stoff- und glaubenlosen Skepticismus der modernen psendvchristlichen Bil¬
dung verfällt, welche sich ans der romantischen Schule herschreibt; daß er der
katholischen Auffassung, obgleich sie nach seiner eigenen Voraussetzung ans einer
Lüge basirt, die gleiche Berechtigung neben der protestantischen zugesteht; daß
er die Bekehrung der Gräfin zum Katholicismus als einen Schritt ins wirkliche
Christenthum freudig begrüßt, wenn er auch der Meinung ist, daß sie bei red¬
lichem Suchen in ihrer eigenen Kirche einen ähnlichen Weg hätte finden können?
-- Es ist das jener unerhörte geistige Pantheismus, der seit Schleiermacher's
"Reden über die Religion" gerade uuter den Bekennern einen so großen Raum
gewonnen hat. Der alte naive Pantheismus, der Krokodile und Störche anbe¬
tete, irrte doch nnr halb, denn im Geschöpf muß sich wenigstens eine Spur von
der Hand des Künstlers zeigen, und das Krokodil ist nnr eine Einseitigkeit, keine
Lüge; aber in einer Religiosität, deren innersten Kern man als falsch und hohl
begreift, dennoch wirkliche Religiosität gelten zu lassen, ist ein Zeichen von jenem
blastrtcn Jndifferentismus, welcher der Zuk'ruft der restaurirten Kirche uicht viel
Heil verspricht. -- Diese philosophische Neutralität widerspricht dem Wesen des
Bekenntnisses. "Der Geschichtsphilosoph -- um mit den Worten eines Kritikers
im Centralblatt zu reden -- wird allerdings anerkennen, daß auch in der katho¬
lischen Kirche, selbst in der katholischen Kirche, welche sich gegen das ausgespro¬
chene Wort verstockte, ein uicht unbedeutendes Bildimgsferment für gewisse Kreise
der Europäischen Cultur gelegen hat. Der echte Protestant, der Gläubige, der
Bekenner, kann nicht ohne Gefahr so unparteiisch sein. Noch ist unsre Kirche
die ovÄvÄa militare,, die mit ihren Gegnern nicht schön thun darf. Ein Glaube,
der einem in der Theorie und Praxis vollkommen entgegengesetzten Glauben die
gleiche Berechtigung zugesteht, spricht sich selber das Urtheil." -- Diese Ver-
irrung im Princip erstreckt sich auch auf das Urtheil im Einzelne". Schon das
große Interesse, das diese frommen Männer an den leichtfertigen Romanen der


den meisten Punkten Recht, natürlich vom evangelischen Standpunkt ans. Er
wendet sich dann zur Frage: wie kam die Reformation dazu, diese unendlichen
Güter aufzugeben und den schwachen Menschen ans der Sicherheit seines Para¬
dieses in die Wüste hinauszustoßen, wo er sich selber den Weg suchen muß?
Er findet auch hier die richtige Autwort. Es waren nicht einzelne Mißbräuche
der kirchlichen Einrichtungen, die Luther bestimmten, es war auch nicht ein dog¬
matischer Gegensatz, der überhaupt gleichgiltig ist, und der jedenfalls auf einem
andern Wege bequemer hätte erledigt werden können: — sondern es war das
gewaltige, mit Entsetzen verknüpfte Gefühl, daß diese reale Er¬
scheinung Gottes, deren die katholische Kirche sich rühmte, eine
Lüge war. — Das ist allerdings der Kernpunkt der Sache, und daß der Ver¬
fasser ihn so scharf auffaßt, zeigt, daß er ernst und tief über seinen Gegenstand
nachgedacht hat. Wie ist es aber möglich, daß er gleich daraus wieder in den
alten Stoff- und glaubenlosen Skepticismus der modernen psendvchristlichen Bil¬
dung verfällt, welche sich ans der romantischen Schule herschreibt; daß er der
katholischen Auffassung, obgleich sie nach seiner eigenen Voraussetzung ans einer
Lüge basirt, die gleiche Berechtigung neben der protestantischen zugesteht; daß
er die Bekehrung der Gräfin zum Katholicismus als einen Schritt ins wirkliche
Christenthum freudig begrüßt, wenn er auch der Meinung ist, daß sie bei red¬
lichem Suchen in ihrer eigenen Kirche einen ähnlichen Weg hätte finden können?
— Es ist das jener unerhörte geistige Pantheismus, der seit Schleiermacher's
„Reden über die Religion" gerade uuter den Bekennern einen so großen Raum
gewonnen hat. Der alte naive Pantheismus, der Krokodile und Störche anbe¬
tete, irrte doch nnr halb, denn im Geschöpf muß sich wenigstens eine Spur von
der Hand des Künstlers zeigen, und das Krokodil ist nnr eine Einseitigkeit, keine
Lüge; aber in einer Religiosität, deren innersten Kern man als falsch und hohl
begreift, dennoch wirkliche Religiosität gelten zu lassen, ist ein Zeichen von jenem
blastrtcn Jndifferentismus, welcher der Zuk'ruft der restaurirten Kirche uicht viel
Heil verspricht. — Diese philosophische Neutralität widerspricht dem Wesen des
Bekenntnisses. „Der Geschichtsphilosoph — um mit den Worten eines Kritikers
im Centralblatt zu reden — wird allerdings anerkennen, daß auch in der katho¬
lischen Kirche, selbst in der katholischen Kirche, welche sich gegen das ausgespro¬
chene Wort verstockte, ein uicht unbedeutendes Bildimgsferment für gewisse Kreise
der Europäischen Cultur gelegen hat. Der echte Protestant, der Gläubige, der
Bekenner, kann nicht ohne Gefahr so unparteiisch sein. Noch ist unsre Kirche
die ovÄvÄa militare,, die mit ihren Gegnern nicht schön thun darf. Ein Glaube,
der einem in der Theorie und Praxis vollkommen entgegengesetzten Glauben die
gleiche Berechtigung zugesteht, spricht sich selber das Urtheil." — Diese Ver-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/398>, abgerufen am 04.07.2024.