Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

jetzigen peinlichen Gewißheit vorzuziehen. Dieselben moralischen Gesetze, durch
welche ein Kaufmann bauqucrout macht, der seinem Geschäfte nicht gewachsen er¬
scheint, richten auch das große Staatshans zu Grnnde, dessen Leitung unfähigen
oder vornrtheilsvolleu Händen anvertraut ist. -- Was diese, uuter deu herrschen¬
den Verhältnissen sast unausbleibliche Katastrophe noch ernster und gefahrdrohender
macht, das ist der völlige religiöse Indifferentismus, jener totale Mangel an sitt¬
lichem Halt, der sich nur dem ungeübten Auge unter der Larve der Frömmelei
zu verbergen vermag. In einer sittlich-religiösen Zeit hätte das Ansehen des
Gesetzes, die spannungsvolle Achtung vor dem Bestehenden, keinen empörenden
Frevel, keine rohe Gewaltthat zugelassen, und hier rächt sich am Schmerzlichsten
die geistige und moralische Vernachlässigung des Volkes."

Wenige Tage nach diesem Gespräch saßen wir schon aus dem Eilwagen, der
uur einmal in der Woche von Rom in vier Tagen und eben so vielen Nächte"
über Ancona nach Bologna kollert. ES war eine höchst beschwerliche, ermüdende
Fcihrt, und die Unsicherheit der Gegend trug gerade nicht dazu bei, sie angenehm
zu machen.

"Wie gut kommt uns jetzt Ihre Neiselecture zu Statten!" sagte Mr. Black
ironisch, indem er einen zierlich gestickten Reisesack ergriff, in welchem sich die
schon erwähnten Druckschriften vor ihrer Confiscation in Civitavecchia befanden.
^ "Aber Scherz bei Seite", fügte er hinzu, "da wir sie nicht lesen können,
so erzählen Sie wenigstens Etwas von Ihrer Unterredung darüber mit dem
Minister." --

"Das wird uus uicht viel Zeit vertreiben," entgegnete ich, "denn diese Un¬
terredung war nur kurz, und dürfte, wie die meisten Audienzen, bei denen der
Minister den Bittsteller bis über die Thürschwelle begleitet, auch ohne Erfolg
bleiben. Indessen war es mir, offen gestanden, in der ganzen Sache weniger um
die Zurückgabe der werthlosen Bücher, als um die Geltendmachung meines Rech¬
ts zu thun. Monsignor Savelli empfing mich in einem kleinen, einfachen Ar¬
beitszimmer im ebenerdigen Geschosse des Quirinal, und hatte in Gestalt, Haltung
und Manieren viel Aehnlichkeit mit jenem berühmten Französischen Staatsmanne,
welcher sagte: I.-r xurvlo a hev äonl^o ü, l'Joann; pour cköKuiKvr s-r
Der Minister sagte mir, daß sich die beiden Bändchen in den Händen Sr. Heiligkeit
befänden, und ihres gefährlichen Inhalts wegen mir schwerlich mehr ausgefolgt wer¬
de" dürfte". Ich erzählte, wie ich mir selbe in Paris als Reifelectnre gekauft, ver¬
wahrte mich als uichtpäpstlicher Unterthan gegen solche Vormundschaft, und suchte
^zuthun, wie der Besitz eines Buches durchaus kein Beweis sei, daß man sich auch
5" dessen Grundsätzen bekennen müsse, indem ich daraus hindeutete, wie doch Se.
Heiligkeit gegenwärtig auch im Besitze dieser so geächteten Brochüren sey, von wel¬
chen die eine "über die Association der Köche in Paris" handelte!! Allein Alles,
was ich damit erreichte, war die Einladung, in einigen Wochen selbst oder durch einen


i>8*

jetzigen peinlichen Gewißheit vorzuziehen. Dieselben moralischen Gesetze, durch
welche ein Kaufmann bauqucrout macht, der seinem Geschäfte nicht gewachsen er¬
scheint, richten auch das große Staatshans zu Grnnde, dessen Leitung unfähigen
oder vornrtheilsvolleu Händen anvertraut ist. — Was diese, uuter deu herrschen¬
den Verhältnissen sast unausbleibliche Katastrophe noch ernster und gefahrdrohender
macht, das ist der völlige religiöse Indifferentismus, jener totale Mangel an sitt¬
lichem Halt, der sich nur dem ungeübten Auge unter der Larve der Frömmelei
zu verbergen vermag. In einer sittlich-religiösen Zeit hätte das Ansehen des
Gesetzes, die spannungsvolle Achtung vor dem Bestehenden, keinen empörenden
Frevel, keine rohe Gewaltthat zugelassen, und hier rächt sich am Schmerzlichsten
die geistige und moralische Vernachlässigung des Volkes."

Wenige Tage nach diesem Gespräch saßen wir schon aus dem Eilwagen, der
uur einmal in der Woche von Rom in vier Tagen und eben so vielen Nächte»
über Ancona nach Bologna kollert. ES war eine höchst beschwerliche, ermüdende
Fcihrt, und die Unsicherheit der Gegend trug gerade nicht dazu bei, sie angenehm
zu machen.

„Wie gut kommt uns jetzt Ihre Neiselecture zu Statten!" sagte Mr. Black
ironisch, indem er einen zierlich gestickten Reisesack ergriff, in welchem sich die
schon erwähnten Druckschriften vor ihrer Confiscation in Civitavecchia befanden.
^ „Aber Scherz bei Seite", fügte er hinzu, „da wir sie nicht lesen können,
so erzählen Sie wenigstens Etwas von Ihrer Unterredung darüber mit dem
Minister." —

„Das wird uus uicht viel Zeit vertreiben," entgegnete ich, „denn diese Un¬
terredung war nur kurz, und dürfte, wie die meisten Audienzen, bei denen der
Minister den Bittsteller bis über die Thürschwelle begleitet, auch ohne Erfolg
bleiben. Indessen war es mir, offen gestanden, in der ganzen Sache weniger um
die Zurückgabe der werthlosen Bücher, als um die Geltendmachung meines Rech¬
ts zu thun. Monsignor Savelli empfing mich in einem kleinen, einfachen Ar¬
beitszimmer im ebenerdigen Geschosse des Quirinal, und hatte in Gestalt, Haltung
und Manieren viel Aehnlichkeit mit jenem berühmten Französischen Staatsmanne,
welcher sagte: I.-r xurvlo a hev äonl^o ü, l'Joann; pour cköKuiKvr s-r
Der Minister sagte mir, daß sich die beiden Bändchen in den Händen Sr. Heiligkeit
befänden, und ihres gefährlichen Inhalts wegen mir schwerlich mehr ausgefolgt wer¬
de» dürfte«. Ich erzählte, wie ich mir selbe in Paris als Reifelectnre gekauft, ver¬
wahrte mich als uichtpäpstlicher Unterthan gegen solche Vormundschaft, und suchte
^zuthun, wie der Besitz eines Buches durchaus kein Beweis sei, daß man sich auch
5" dessen Grundsätzen bekennen müsse, indem ich daraus hindeutete, wie doch Se.
Heiligkeit gegenwärtig auch im Besitze dieser so geächteten Brochüren sey, von wel¬
chen die eine „über die Association der Köche in Paris" handelte!! Allein Alles,
was ich damit erreichte, war die Einladung, in einigen Wochen selbst oder durch einen


i>8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280474"/>
          <p xml:id="ID_1019" prev="#ID_1018"> jetzigen peinlichen Gewißheit vorzuziehen. Dieselben moralischen Gesetze, durch<lb/>
welche ein Kaufmann bauqucrout macht, der seinem Geschäfte nicht gewachsen er¬<lb/>
scheint, richten auch das große Staatshans zu Grnnde, dessen Leitung unfähigen<lb/>
oder vornrtheilsvolleu Händen anvertraut ist. &#x2014; Was diese, uuter deu herrschen¬<lb/>
den Verhältnissen sast unausbleibliche Katastrophe noch ernster und gefahrdrohender<lb/>
macht, das ist der völlige religiöse Indifferentismus, jener totale Mangel an sitt¬<lb/>
lichem Halt, der sich nur dem ungeübten Auge unter der Larve der Frömmelei<lb/>
zu verbergen vermag. In einer sittlich-religiösen Zeit hätte das Ansehen des<lb/>
Gesetzes, die spannungsvolle Achtung vor dem Bestehenden, keinen empörenden<lb/>
Frevel, keine rohe Gewaltthat zugelassen, und hier rächt sich am Schmerzlichsten<lb/>
die geistige und moralische Vernachlässigung des Volkes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1020"> Wenige Tage nach diesem Gespräch saßen wir schon aus dem Eilwagen, der<lb/>
uur einmal in der Woche von Rom in vier Tagen und eben so vielen Nächte»<lb/>
über Ancona nach Bologna kollert. ES war eine höchst beschwerliche, ermüdende<lb/>
Fcihrt, und die Unsicherheit der Gegend trug gerade nicht dazu bei, sie angenehm<lb/>
zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1021"> &#x201E;Wie gut kommt uns jetzt Ihre Neiselecture zu Statten!" sagte Mr. Black<lb/>
ironisch, indem er einen zierlich gestickten Reisesack ergriff, in welchem sich die<lb/>
schon erwähnten Druckschriften vor ihrer Confiscation in Civitavecchia befanden.<lb/>
^ &#x201E;Aber Scherz bei Seite", fügte er hinzu, &#x201E;da wir sie nicht lesen können,<lb/>
so erzählen Sie wenigstens Etwas von Ihrer Unterredung darüber mit dem<lb/>
Minister." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1022" next="#ID_1023"> &#x201E;Das wird uus uicht viel Zeit vertreiben," entgegnete ich, &#x201E;denn diese Un¬<lb/>
terredung war nur kurz, und dürfte, wie die meisten Audienzen, bei denen der<lb/>
Minister den Bittsteller bis über die Thürschwelle begleitet, auch ohne Erfolg<lb/>
bleiben. Indessen war es mir, offen gestanden, in der ganzen Sache weniger um<lb/>
die Zurückgabe der werthlosen Bücher, als um die Geltendmachung meines Rech¬<lb/>
ts zu thun. Monsignor Savelli empfing mich in einem kleinen, einfachen Ar¬<lb/>
beitszimmer im ebenerdigen Geschosse des Quirinal, und hatte in Gestalt, Haltung<lb/>
und Manieren viel Aehnlichkeit mit jenem berühmten Französischen Staatsmanne,<lb/>
welcher sagte: I.-r xurvlo a hev äonl^o ü, l'Joann; pour cköKuiKvr s-r<lb/>
Der Minister sagte mir, daß sich die beiden Bändchen in den Händen Sr. Heiligkeit<lb/>
befänden, und ihres gefährlichen Inhalts wegen mir schwerlich mehr ausgefolgt wer¬<lb/>
de» dürfte«. Ich erzählte, wie ich mir selbe in Paris als Reifelectnre gekauft, ver¬<lb/>
wahrte mich als uichtpäpstlicher Unterthan gegen solche Vormundschaft, und suchte<lb/>
^zuthun, wie der Besitz eines Buches durchaus kein Beweis sei, daß man sich auch<lb/>
5" dessen Grundsätzen bekennen müsse, indem ich daraus hindeutete, wie doch Se.<lb/>
Heiligkeit gegenwärtig auch im Besitze dieser so geächteten Brochüren sey, von wel¬<lb/>
chen die eine &#x201E;über die Association der Köche in Paris" handelte!! Allein Alles,<lb/>
was ich damit erreichte, war die Einladung, in einigen Wochen selbst oder durch einen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> i&gt;8*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] jetzigen peinlichen Gewißheit vorzuziehen. Dieselben moralischen Gesetze, durch welche ein Kaufmann bauqucrout macht, der seinem Geschäfte nicht gewachsen er¬ scheint, richten auch das große Staatshans zu Grnnde, dessen Leitung unfähigen oder vornrtheilsvolleu Händen anvertraut ist. — Was diese, uuter deu herrschen¬ den Verhältnissen sast unausbleibliche Katastrophe noch ernster und gefahrdrohender macht, das ist der völlige religiöse Indifferentismus, jener totale Mangel an sitt¬ lichem Halt, der sich nur dem ungeübten Auge unter der Larve der Frömmelei zu verbergen vermag. In einer sittlich-religiösen Zeit hätte das Ansehen des Gesetzes, die spannungsvolle Achtung vor dem Bestehenden, keinen empörenden Frevel, keine rohe Gewaltthat zugelassen, und hier rächt sich am Schmerzlichsten die geistige und moralische Vernachlässigung des Volkes." Wenige Tage nach diesem Gespräch saßen wir schon aus dem Eilwagen, der uur einmal in der Woche von Rom in vier Tagen und eben so vielen Nächte» über Ancona nach Bologna kollert. ES war eine höchst beschwerliche, ermüdende Fcihrt, und die Unsicherheit der Gegend trug gerade nicht dazu bei, sie angenehm zu machen. „Wie gut kommt uns jetzt Ihre Neiselecture zu Statten!" sagte Mr. Black ironisch, indem er einen zierlich gestickten Reisesack ergriff, in welchem sich die schon erwähnten Druckschriften vor ihrer Confiscation in Civitavecchia befanden. ^ „Aber Scherz bei Seite", fügte er hinzu, „da wir sie nicht lesen können, so erzählen Sie wenigstens Etwas von Ihrer Unterredung darüber mit dem Minister." — „Das wird uus uicht viel Zeit vertreiben," entgegnete ich, „denn diese Un¬ terredung war nur kurz, und dürfte, wie die meisten Audienzen, bei denen der Minister den Bittsteller bis über die Thürschwelle begleitet, auch ohne Erfolg bleiben. Indessen war es mir, offen gestanden, in der ganzen Sache weniger um die Zurückgabe der werthlosen Bücher, als um die Geltendmachung meines Rech¬ ts zu thun. Monsignor Savelli empfing mich in einem kleinen, einfachen Ar¬ beitszimmer im ebenerdigen Geschosse des Quirinal, und hatte in Gestalt, Haltung und Manieren viel Aehnlichkeit mit jenem berühmten Französischen Staatsmanne, welcher sagte: I.-r xurvlo a hev äonl^o ü, l'Joann; pour cköKuiKvr s-r Der Minister sagte mir, daß sich die beiden Bändchen in den Händen Sr. Heiligkeit befänden, und ihres gefährlichen Inhalts wegen mir schwerlich mehr ausgefolgt wer¬ de» dürfte«. Ich erzählte, wie ich mir selbe in Paris als Reifelectnre gekauft, ver¬ wahrte mich als uichtpäpstlicher Unterthan gegen solche Vormundschaft, und suchte ^zuthun, wie der Besitz eines Buches durchaus kein Beweis sei, daß man sich auch 5" dessen Grundsätzen bekennen müsse, indem ich daraus hindeutete, wie doch Se. Heiligkeit gegenwärtig auch im Besitze dieser so geächteten Brochüren sey, von wel¬ chen die eine „über die Association der Köche in Paris" handelte!! Allein Alles, was ich damit erreichte, war die Einladung, in einigen Wochen selbst oder durch einen i>8*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/387>, abgerufen am 04.07.2024.