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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Whitehall ganz wie heute den Palast der Königin, wenn sie mit einem Kindlein
oder mit einem neuen Ministerium in den Wochen ist. Ein Händedruck von
allerhöchsten Personen, ein Hoffest, Wettrennen und Hahnenkämpfe, Prügeleien,
Duelle und Entführungen hoher Damen wurden oft mehr schmackhaft als ge¬
wissenhaft für den Gaumen der Leser zubereitet, welche in deu zahlreichen Kaffee-
häusern des Strands und der City die Kost sehr eifrig verschlangen. Leider
eMiren die alten Reporters noch hente, das lustige alte Kaffeehausleben an der
Themse dagegen ist leider verschwunden.

Cromwell war in vielen Dingen auch der Journalistik gegenüber ein schlauer
Mann. Er gestattete ihr freiere Bewegung. "Denn," sagte er: "eine Negierung,
welche die Presse nicht einmal vertragen kann, hält in sich selber nicht Stand."
Als der Mann der Revolution gestorben war, drehten seine gekrönten Nachfolger
den Satz um und sagte": Wenn die Presse die Regierung nicht vertragen kann,
darf sie selber keinen Stand- haben. Und so begannen denn mit Karl It. wieder
die alten Verfolgungen, und so wurde den Blättern wieder verboten, von Politik
zu sprechen. Dagegen gestattete man ihnen zotenhafte und unanständige Geschichten
zur Belehrung des Volkes zu erzählen; den puritanischen Gastmählern des
großen Protektors folgten die schwelgerischen Hoffest" des kleinen Karl, und statt
Miltons verlorenem Paradiese wurden die schamlosen Poesien eines Rochester
Mode.

Das gesunde, kernhafte Englische Volk fand aber an dieser Hofkost keinen
Geschmack. Es wollte Ernsteres; es brüllte uach politischen Schriften, und um
den Heißhunger der Bestie zu befriedigen, beschloß die Regierung, selber ein
politisches Blatt zu gründen. Es war das erste Regierungsblatt, ein Blättchen,
klein und hager, aber doch gewissermaßen der Stammvater der gegenwärtigen
großen, vielverbreiteten, hochgeehrten, anstandsvvllen und wohlhabenden Familie
von gouvernementalen Zeitungen, die es sich wohl sein läßt im Deutschen Canaan,
und sich ausbreitet wie der Sand am Meere, und alle Nachbarfamilien aus dem
Lande drängt, und Leitartikel schreibt in Ehrfurcht vor den Herren und in Lange¬
weile vor dem Volke. Der erste Redacteur jenes Regiernngsblattes hieß Roger
L'Estrangc, ein talentvoller Mensch und als einer der größten Lumpe seiner Zeit
berüchtigt. sein Amt unterschied sich von dem heutiger gouverucmcntaler Redacteure
wesentlich darin, daß Letztere blos in ihren Journalen gegen liberale Schriftsteller
zu Felde ziehen dürfe", während Roger L'Estrange ans Dieselben fahnden und sie
der Regierung überliefern durfte. Mau sieht daraus, daß das Handwerk M
jener Zeit die schätzbarsten seiner Privilegien eingebüßt hat. -- Durch diesen
ersten gouvernementalen Redacteur ist auch viel Unheil angestiftet worden. Kr
war es, der den unglücklichen Drucker Trogan in dessen Wohnung aufspürte und
gefangen nahm. Trogan wurde verurtheilt, daß er' unter den Armen aufgehängt
werde, dann der Bauch aufgeschlitzt, dann die Eingeweide herausgenommen, dann


Whitehall ganz wie heute den Palast der Königin, wenn sie mit einem Kindlein
oder mit einem neuen Ministerium in den Wochen ist. Ein Händedruck von
allerhöchsten Personen, ein Hoffest, Wettrennen und Hahnenkämpfe, Prügeleien,
Duelle und Entführungen hoher Damen wurden oft mehr schmackhaft als ge¬
wissenhaft für den Gaumen der Leser zubereitet, welche in deu zahlreichen Kaffee-
häusern des Strands und der City die Kost sehr eifrig verschlangen. Leider
eMiren die alten Reporters noch hente, das lustige alte Kaffeehausleben an der
Themse dagegen ist leider verschwunden.

Cromwell war in vielen Dingen auch der Journalistik gegenüber ein schlauer
Mann. Er gestattete ihr freiere Bewegung. „Denn," sagte er: „eine Negierung,
welche die Presse nicht einmal vertragen kann, hält in sich selber nicht Stand."
Als der Mann der Revolution gestorben war, drehten seine gekrönten Nachfolger
den Satz um und sagte»: Wenn die Presse die Regierung nicht vertragen kann,
darf sie selber keinen Stand- haben. Und so begannen denn mit Karl It. wieder
die alten Verfolgungen, und so wurde den Blättern wieder verboten, von Politik
zu sprechen. Dagegen gestattete man ihnen zotenhafte und unanständige Geschichten
zur Belehrung des Volkes zu erzählen; den puritanischen Gastmählern des
großen Protektors folgten die schwelgerischen Hoffest« des kleinen Karl, und statt
Miltons verlorenem Paradiese wurden die schamlosen Poesien eines Rochester
Mode.

Das gesunde, kernhafte Englische Volk fand aber an dieser Hofkost keinen
Geschmack. Es wollte Ernsteres; es brüllte uach politischen Schriften, und um
den Heißhunger der Bestie zu befriedigen, beschloß die Regierung, selber ein
politisches Blatt zu gründen. Es war das erste Regierungsblatt, ein Blättchen,
klein und hager, aber doch gewissermaßen der Stammvater der gegenwärtigen
großen, vielverbreiteten, hochgeehrten, anstandsvvllen und wohlhabenden Familie
von gouvernementalen Zeitungen, die es sich wohl sein läßt im Deutschen Canaan,
und sich ausbreitet wie der Sand am Meere, und alle Nachbarfamilien aus dem
Lande drängt, und Leitartikel schreibt in Ehrfurcht vor den Herren und in Lange¬
weile vor dem Volke. Der erste Redacteur jenes Regiernngsblattes hieß Roger
L'Estrangc, ein talentvoller Mensch und als einer der größten Lumpe seiner Zeit
berüchtigt. sein Amt unterschied sich von dem heutiger gouverucmcntaler Redacteure
wesentlich darin, daß Letztere blos in ihren Journalen gegen liberale Schriftsteller
zu Felde ziehen dürfe», während Roger L'Estrange ans Dieselben fahnden und sie
der Regierung überliefern durfte. Mau sieht daraus, daß das Handwerk M
jener Zeit die schätzbarsten seiner Privilegien eingebüßt hat. — Durch diesen
ersten gouvernementalen Redacteur ist auch viel Unheil angestiftet worden. Kr
war es, der den unglücklichen Drucker Trogan in dessen Wohnung aufspürte und
gefangen nahm. Trogan wurde verurtheilt, daß er' unter den Armen aufgehängt
werde, dann der Bauch aufgeschlitzt, dann die Eingeweide herausgenommen, dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/350>, abgerufen am 04.07.2024.