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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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stöbert man in dem Zeitnngswuste jener Zeit, so findet man sehr bald
Analogien zwischen der damaligen und heutigen Tagesliteratur heraus, die wahr¬
haft ergötzlich sind. Titel und Format haben mit denen unsrer gegenwärtigen
Journale freilich wenig gemein. Die Ersten konnten sich von den alten Göttern
so wenig lossagen, wie unsre Deutschen Dichter im vorigen Jahrhundert. Und
da die Engländer von jeher den Mercur als ihren Schutzpatron verehrten, so
war er es zumeist, der bei ihren alten Zeitungen Gevatter stehen mußte. Es
gab einen Norcuriu" tmvixosu", Norvurw" vor1äivu8, Nvrem'ius praAUmUeu",
Nervurius pottUous, auUeus, rusticus vtv. etc. Im Formate waren die heutigen
Journalriesen wahre Kinder. Das größte Blatt -- und es gab auch nicht ein
einziges, welches täglich' erschien -- cvnsumirte an Stoss kaum mehr als drei
Spalten der Weserzeituug; dabei waren sie meist ans einer Seite gedruckt, um
den Käufern Platz für ihre eigenen Notizen zu lassen. Rührende Einfalt, welche
voraussetz, daß ein Zeitungsleser sich die Mühe nimmt, den Text mit Randglossen
zu illustriren!

Die Analogie mit unsrer heutigen Tagespresse bestand sehr auffallender Weise
in der Schreibart, und im Lügen. Wir müssen es uns mit Erröthen eingestehen,
daß wir in beiden Beziehungen gar, gar nichts Neues producirt haben. Die
berüchtigten Stichwörter. unsrer politischen Correspondenten "ans guter, aus bester,
aus zuverlässiger Quelle" waren den alten Britischen Mercnren sehr geläufig. Ich
war sogar so glücklich, in einer Nummer des Nsrourius tmücus vom Jahre <6SS
eine in "höhern Kreisen verbürgte" Nachricht aufgefunden zu haben, worauf ich
mir nicht wenig zu Gute thue. Und wie behagt Dir, gefälliger Leser, folgender
Passus aus dem Nvreurius pvIMous? "Obwol ich es unter meiner Würde halten
tollte, mein Blatt gegen freche, lügnerische Anschuldigungen zu vertheidigen, ob-
wol die Haltung meines Blattes zu klar am Tage liegt, um nur den geringsten
Zweifel gegen seine Unabhängigkeit von der Regierung aufkommen zu
lassen, will ich doch u. s. w." Kann der Wiener Lloyd und die Berliner neue
Preußische Zeitung überzeugender, wärmer, origineller schreiben?

Ja wol, es giebt nichts Neues unter der Sonne. Es ist Alles schon einmal
gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken. Sogar die
Seeschlange, auf deren Besitz die Journalistik unsres Jahrhunderts mit Recht
so stolz ist, haben die Engländer schon unmittelbar nach der Restauration besessen
und benutzt, beschrieben und - - ganz wie heut zu Tage -- mehrere Male em¬
pfangen. Daneben freilich noch Mannstsche und Fischmädchen, mit denen wir
uns hente nicht mehr abgeben dürfen. --

Was die Notizensammler, die heutigen Englischen Reporters anbelangt, stan¬
den sie damals in eben solcher Blüthe wie heute, und -- in eben solchem Gernche.
Da sich die Journale nicht recht an das Fett politischer Leitartikel wagen durften,
nagten sie desto eifriger an der Notizenschwarte. Die Reporters umschwärmten


stöbert man in dem Zeitnngswuste jener Zeit, so findet man sehr bald
Analogien zwischen der damaligen und heutigen Tagesliteratur heraus, die wahr¬
haft ergötzlich sind. Titel und Format haben mit denen unsrer gegenwärtigen
Journale freilich wenig gemein. Die Ersten konnten sich von den alten Göttern
so wenig lossagen, wie unsre Deutschen Dichter im vorigen Jahrhundert. Und
da die Engländer von jeher den Mercur als ihren Schutzpatron verehrten, so
war er es zumeist, der bei ihren alten Zeitungen Gevatter stehen mußte. Es
gab einen Norcuriu« tmvixosu», Norvurw« vor1äivu8, Nvrem'ius praAUmUeu«,
Nervurius pottUous, auUeus, rusticus vtv. etc. Im Formate waren die heutigen
Journalriesen wahre Kinder. Das größte Blatt — und es gab auch nicht ein
einziges, welches täglich' erschien — cvnsumirte an Stoss kaum mehr als drei
Spalten der Weserzeituug; dabei waren sie meist ans einer Seite gedruckt, um
den Käufern Platz für ihre eigenen Notizen zu lassen. Rührende Einfalt, welche
voraussetz, daß ein Zeitungsleser sich die Mühe nimmt, den Text mit Randglossen
zu illustriren!

Die Analogie mit unsrer heutigen Tagespresse bestand sehr auffallender Weise
in der Schreibart, und im Lügen. Wir müssen es uns mit Erröthen eingestehen,
daß wir in beiden Beziehungen gar, gar nichts Neues producirt haben. Die
berüchtigten Stichwörter. unsrer politischen Correspondenten „ans guter, aus bester,
aus zuverlässiger Quelle" waren den alten Britischen Mercnren sehr geläufig. Ich
war sogar so glücklich, in einer Nummer des Nsrourius tmücus vom Jahre <6SS
eine in „höhern Kreisen verbürgte" Nachricht aufgefunden zu haben, worauf ich
mir nicht wenig zu Gute thue. Und wie behagt Dir, gefälliger Leser, folgender
Passus aus dem Nvreurius pvIMous? „Obwol ich es unter meiner Würde halten
tollte, mein Blatt gegen freche, lügnerische Anschuldigungen zu vertheidigen, ob-
wol die Haltung meines Blattes zu klar am Tage liegt, um nur den geringsten
Zweifel gegen seine Unabhängigkeit von der Regierung aufkommen zu
lassen, will ich doch u. s. w." Kann der Wiener Lloyd und die Berliner neue
Preußische Zeitung überzeugender, wärmer, origineller schreiben?

Ja wol, es giebt nichts Neues unter der Sonne. Es ist Alles schon einmal
gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken. Sogar die
Seeschlange, auf deren Besitz die Journalistik unsres Jahrhunderts mit Recht
so stolz ist, haben die Engländer schon unmittelbar nach der Restauration besessen
und benutzt, beschrieben und - - ganz wie heut zu Tage — mehrere Male em¬
pfangen. Daneben freilich noch Mannstsche und Fischmädchen, mit denen wir
uns hente nicht mehr abgeben dürfen. —

Was die Notizensammler, die heutigen Englischen Reporters anbelangt, stan¬
den sie damals in eben solcher Blüthe wie heute, und — in eben solchem Gernche.
Da sich die Journale nicht recht an das Fett politischer Leitartikel wagen durften,
nagten sie desto eifriger an der Notizenschwarte. Die Reporters umschwärmten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/349>, abgerufen am 04.07.2024.