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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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unsrer einzelnen Glieder liegt der Grund unsrer Vorzüge, aber auch freilich
unsrer Fehler, denn sie erschwert das Zusammenwirken und die Disciplin.

Noch eine zweite Bemerkung. Bei den Blättern unsrer Farbe macht es
einen wesentlichen Unterschied, ob sie ausschließlich oder wenigstens vorzugsweise
für Preußen, oder ob sie zunächst für das ni'rige Deutschland berechnet sind.
Bei den ersten ist es ganz natürlich, daß sie vor Allem die innere Politik in
Betracht ziehen, und sich in ihrer Opposition gegen das Ministerium durch keinerlei
Rücksichten beschränken. Ihr Publicum ist ohnehin Preußisch genug, und wird
sie nicht mißverstehen, es wird in ihren Angriffen gegen die augenblicklichen Ver¬
treter dieses Staats keine Hinneigung zu einem ander" Staat suchen. -- Die
andern Blätter müssen vorsichtiger sein, so lange sie überhaupt an der Idee, daß
Preußen qulmtl-niüim; zur dereinstigen Leitung der eigentlich Deutschen Angele¬
genheiten berufen sei, festhalten; den" im "Reich" ist mau noch nicht gewohnt,
die Idee des Preußischen Staats vou seiner augenblicklichen Erscheinung zu son¬
dern, und jede Diöcreditirung Preußens ist, wie jetzt die Sachen liegen, eine
indirecte Empfehlung Oestreichs. Die Neichszeitnng ist darin mit den Grenzboten
in gleicher Lage.

Wenn aber der Korrespondent der Neichszeitnng in dieser Beziehung sündigt,
so geschieht es nicht aus Unbedacht. Seine Hoffnung ans Preußen ist vollständig
vernichtet; in der Ansicht über die politischen Mittelparteien geht er entschieden
mit Herrn von Unruh, und wenn er seine Ueberzeugung, die constitutionelle Partei
müsse in die Demokratie aufgehen, anch noch mit einem halben Fragezeichen
begleitet, so ist das nnr eine oratorische Wendung.

Eine offen ausgesprochene Ansicht, die wenigstens ein klares Bild verstattet,
ist immer zu ehren. Aber ist sie nicht dennoch vorzugsweise aus einem momenta¬
nen Unmuth entsprungen? Sind ihre Voraussetzungen nicht durch die Stimmung
des Augenblicks gefärbt? Das ist es, was wir zu untersuchen haben.

Ernst genng faßt er die Sache anf. Er sieht in dem Ucbergreifc" der
Demokratie, welches doch unzweifelhaft dnrch unsern Beitritt beschleunigt werden
müßte, die Nothwendigkeit der Revolution; in der Revolution sieht er den Unter¬
gang der Cultur eines Menschenalters. In Beide"! ist er mit mir gleicher An¬
sicht. Aber er weicht in zwei Punkten von mir ab: in dem Werth, den ich dieser
Cultur beilege, und der Möglichkeit, sie zu erhalten und weiter zu entwickeln.

In unsrer Cultur findet er, ganz wie Herr v. Lassaulx, Nichts als einen
langsamen Zersejznngsproceß, wie in den letzten Zeiten des Römischen Staats.
Es scheint mir, als ob er sich durch den außer", freilich etwas faulen Schimmer
"nsrer Cultur täuschen ließe. Wir schreiben schlechte, schwindsüchtige Romane,
und wissen uns in der hohem Politik nicht zu helfen, wir schwanken aus einem
Extrem ins andere: das Erste ist die Folge einer voreiligen Treibhauöbilduug, die
unsre poetischen Kräfte in exotischen Blüthen absorbirt hat, und für die wir nun


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unsrer einzelnen Glieder liegt der Grund unsrer Vorzüge, aber auch freilich
unsrer Fehler, denn sie erschwert das Zusammenwirken und die Disciplin.

Noch eine zweite Bemerkung. Bei den Blättern unsrer Farbe macht es
einen wesentlichen Unterschied, ob sie ausschließlich oder wenigstens vorzugsweise
für Preußen, oder ob sie zunächst für das ni'rige Deutschland berechnet sind.
Bei den ersten ist es ganz natürlich, daß sie vor Allem die innere Politik in
Betracht ziehen, und sich in ihrer Opposition gegen das Ministerium durch keinerlei
Rücksichten beschränken. Ihr Publicum ist ohnehin Preußisch genug, und wird
sie nicht mißverstehen, es wird in ihren Angriffen gegen die augenblicklichen Ver¬
treter dieses Staats keine Hinneigung zu einem ander» Staat suchen. — Die
andern Blätter müssen vorsichtiger sein, so lange sie überhaupt an der Idee, daß
Preußen qulmtl-niüim; zur dereinstigen Leitung der eigentlich Deutschen Angele¬
genheiten berufen sei, festhalten; den» im „Reich" ist mau noch nicht gewohnt,
die Idee des Preußischen Staats vou seiner augenblicklichen Erscheinung zu son¬
dern, und jede Diöcreditirung Preußens ist, wie jetzt die Sachen liegen, eine
indirecte Empfehlung Oestreichs. Die Neichszeitnng ist darin mit den Grenzboten
in gleicher Lage.

Wenn aber der Korrespondent der Neichszeitnng in dieser Beziehung sündigt,
so geschieht es nicht aus Unbedacht. Seine Hoffnung ans Preußen ist vollständig
vernichtet; in der Ansicht über die politischen Mittelparteien geht er entschieden
mit Herrn von Unruh, und wenn er seine Ueberzeugung, die constitutionelle Partei
müsse in die Demokratie aufgehen, anch noch mit einem halben Fragezeichen
begleitet, so ist das nnr eine oratorische Wendung.

Eine offen ausgesprochene Ansicht, die wenigstens ein klares Bild verstattet,
ist immer zu ehren. Aber ist sie nicht dennoch vorzugsweise aus einem momenta¬
nen Unmuth entsprungen? Sind ihre Voraussetzungen nicht durch die Stimmung
des Augenblicks gefärbt? Das ist es, was wir zu untersuchen haben.

Ernst genng faßt er die Sache anf. Er sieht in dem Ucbergreifc» der
Demokratie, welches doch unzweifelhaft dnrch unsern Beitritt beschleunigt werden
müßte, die Nothwendigkeit der Revolution; in der Revolution sieht er den Unter¬
gang der Cultur eines Menschenalters. In Beide»! ist er mit mir gleicher An¬
sicht. Aber er weicht in zwei Punkten von mir ab: in dem Werth, den ich dieser
Cultur beilege, und der Möglichkeit, sie zu erhalten und weiter zu entwickeln.

In unsrer Cultur findet er, ganz wie Herr v. Lassaulx, Nichts als einen
langsamen Zersejznngsproceß, wie in den letzten Zeiten des Römischen Staats.
Es scheint mir, als ob er sich durch den außer», freilich etwas faulen Schimmer
»nsrer Cultur täuschen ließe. Wir schreiben schlechte, schwindsüchtige Romane,
und wissen uns in der hohem Politik nicht zu helfen, wir schwanken aus einem
Extrem ins andere: das Erste ist die Folge einer voreiligen Treibhauöbilduug, die
unsre poetischen Kräfte in exotischen Blüthen absorbirt hat, und für die wir nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/35>, abgerufen am 30.06.2024.