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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Heldenlebeus versinnlichen. Die Götter des Nordens sind ans verschiedenen
mythologischen Gedichten zusammengesetzt; sie gehen ins Große und sollen Natur-
bilder für religiöse und philosophische Ideen darstellen. Das letzte Epos, Reg-
nar Lodbrvk, hat in Form und in Ton die meiste Aehnlichkeit mit Helge.

> Wir gehen zu den Dramen über. Der Versuch, die nationalen Empfindun¬
gen in dramatischer Form darzustellen, ist in den meisten Fällen gescheitert. Auch
W. Scott ist es mißlungen. Um die Bedeutung vou Oehlenschläger's Dramen
zu würdigen, müssen wir in Anschlag bringen, daß sie auf dem Dänischen Theater
sämmtlich, und einige darunter oft ausgeführt siud. Da uun uoch vou ,audern
Dichtern Versuche ähnlicher Art dazu kamen, so gab das einen tüchtigen Stamm
für eine gemeinsame Anschanungs- nud Empfindungsweise des Volks. Den Maßstab
unsrer dramatischen Kunst dürfen wir an diese Stücke nicht anlegen. Sie sind sämmt¬
lich skizzenhaft gehalten, die Handlung und die Charaktere von der höchsten Einfachheit
und nicht einmal immer naturgetreu, denn es wird den letztern zuweilen eine philo¬
sophische Auffassung in den Mund gelegt, die mit den Voraussetzungen ihrer Zeit
unvereinbar ist. Auch die Einheit des Styls ist nicht streng beobachtet; im
Ganzen haben sie ein ernstes und feierliches Ansehen, aber dann tritt unerwartet
einmal eine burleske Redensart dazwischen, die nnr dem Lustspiel zukommt. Außer¬
dem ist dein lyrischen Moment ein viel zu großer Raum gegeben. Es werden
sehr häufig lange Arien, zuweilen im Umfange mehrerer Seiten, gesprochen, welche
die dramatische Entwickelung aufhalten und um so unangenehmer wirken, da sie
in einem wahrhaft abscheulichen lyrischen Versmaß gehalten sind, von dem ich hier
eine Probe gebe:


Ach, liebes Kind, was das betrifft,
Der Körper zwar wird reifer,
Der Geist der wird wohl nicht so bald
Ein besserer Bcgreiscr u. s. w.

In diesem Drehorgelton lange Monologe oder Dialoge zu hören, ist unerträglich.
Dazu kommen noch nach dem Muster der romantischen Schule eine Reihe ander¬
weitiger Versmaße, je nach der vorherrschenden Stimmung, Trimeter, fünffüßige
Jamben, skaldische Rhythmen, sogar Calderon'sche Verse. Hätte Oehlenschläger
auch hier eine größere Einheit angestrebt, so wäre es für die Dänische Bühne
vortheilhafter gewesen. -- Was aber trotz dieser Ausstellungen seinen Dramen
einen bleibenden Gehalt verleiht, ist die strenge und kräftige Sittlichkeit, die in
denselben waltet. Oehlenschläger geht gar nicht darauf aus, engelhafte Personen
zu zeichnen, aber er läßt den Kontrast zwischen Gut und Böse in seiner vollen
Kraft bestehen, und das ist in einem verweichlichten sophistischen Zeitalter, welches
die Gegensätze durch die Mannichfaltigkeit und Unruhe der Gesichtspunkte ver¬
wischt, sehr anerkennenswert!). -- Was den Inhalt der einzelnen betrifft, so ist
im Hakon Jarl, der in Dänemark ein ungemeines Glück machte, der Streit


Heldenlebeus versinnlichen. Die Götter des Nordens sind ans verschiedenen
mythologischen Gedichten zusammengesetzt; sie gehen ins Große und sollen Natur-
bilder für religiöse und philosophische Ideen darstellen. Das letzte Epos, Reg-
nar Lodbrvk, hat in Form und in Ton die meiste Aehnlichkeit mit Helge.

> Wir gehen zu den Dramen über. Der Versuch, die nationalen Empfindun¬
gen in dramatischer Form darzustellen, ist in den meisten Fällen gescheitert. Auch
W. Scott ist es mißlungen. Um die Bedeutung vou Oehlenschläger's Dramen
zu würdigen, müssen wir in Anschlag bringen, daß sie auf dem Dänischen Theater
sämmtlich, und einige darunter oft ausgeführt siud. Da uun uoch vou ,audern
Dichtern Versuche ähnlicher Art dazu kamen, so gab das einen tüchtigen Stamm
für eine gemeinsame Anschanungs- nud Empfindungsweise des Volks. Den Maßstab
unsrer dramatischen Kunst dürfen wir an diese Stücke nicht anlegen. Sie sind sämmt¬
lich skizzenhaft gehalten, die Handlung und die Charaktere von der höchsten Einfachheit
und nicht einmal immer naturgetreu, denn es wird den letztern zuweilen eine philo¬
sophische Auffassung in den Mund gelegt, die mit den Voraussetzungen ihrer Zeit
unvereinbar ist. Auch die Einheit des Styls ist nicht streng beobachtet; im
Ganzen haben sie ein ernstes und feierliches Ansehen, aber dann tritt unerwartet
einmal eine burleske Redensart dazwischen, die nnr dem Lustspiel zukommt. Außer¬
dem ist dein lyrischen Moment ein viel zu großer Raum gegeben. Es werden
sehr häufig lange Arien, zuweilen im Umfange mehrerer Seiten, gesprochen, welche
die dramatische Entwickelung aufhalten und um so unangenehmer wirken, da sie
in einem wahrhaft abscheulichen lyrischen Versmaß gehalten sind, von dem ich hier
eine Probe gebe:


Ach, liebes Kind, was das betrifft,
Der Körper zwar wird reifer,
Der Geist der wird wohl nicht so bald
Ein besserer Bcgreiscr u. s. w.

In diesem Drehorgelton lange Monologe oder Dialoge zu hören, ist unerträglich.
Dazu kommen noch nach dem Muster der romantischen Schule eine Reihe ander¬
weitiger Versmaße, je nach der vorherrschenden Stimmung, Trimeter, fünffüßige
Jamben, skaldische Rhythmen, sogar Calderon'sche Verse. Hätte Oehlenschläger
auch hier eine größere Einheit angestrebt, so wäre es für die Dänische Bühne
vortheilhafter gewesen. — Was aber trotz dieser Ausstellungen seinen Dramen
einen bleibenden Gehalt verleiht, ist die strenge und kräftige Sittlichkeit, die in
denselben waltet. Oehlenschläger geht gar nicht darauf aus, engelhafte Personen
zu zeichnen, aber er läßt den Kontrast zwischen Gut und Böse in seiner vollen
Kraft bestehen, und das ist in einem verweichlichten sophistischen Zeitalter, welches
die Gegensätze durch die Mannichfaltigkeit und Unruhe der Gesichtspunkte ver¬
wischt, sehr anerkennenswert!). — Was den Inhalt der einzelnen betrifft, so ist
im Hakon Jarl, der in Dänemark ein ungemeines Glück machte, der Streit


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[0342] Heldenlebeus versinnlichen. Die Götter des Nordens sind ans verschiedenen mythologischen Gedichten zusammengesetzt; sie gehen ins Große und sollen Natur- bilder für religiöse und philosophische Ideen darstellen. Das letzte Epos, Reg- nar Lodbrvk, hat in Form und in Ton die meiste Aehnlichkeit mit Helge. > Wir gehen zu den Dramen über. Der Versuch, die nationalen Empfindun¬ gen in dramatischer Form darzustellen, ist in den meisten Fällen gescheitert. Auch W. Scott ist es mißlungen. Um die Bedeutung vou Oehlenschläger's Dramen zu würdigen, müssen wir in Anschlag bringen, daß sie auf dem Dänischen Theater sämmtlich, und einige darunter oft ausgeführt siud. Da uun uoch vou ,audern Dichtern Versuche ähnlicher Art dazu kamen, so gab das einen tüchtigen Stamm für eine gemeinsame Anschanungs- nud Empfindungsweise des Volks. Den Maßstab unsrer dramatischen Kunst dürfen wir an diese Stücke nicht anlegen. Sie sind sämmt¬ lich skizzenhaft gehalten, die Handlung und die Charaktere von der höchsten Einfachheit und nicht einmal immer naturgetreu, denn es wird den letztern zuweilen eine philo¬ sophische Auffassung in den Mund gelegt, die mit den Voraussetzungen ihrer Zeit unvereinbar ist. Auch die Einheit des Styls ist nicht streng beobachtet; im Ganzen haben sie ein ernstes und feierliches Ansehen, aber dann tritt unerwartet einmal eine burleske Redensart dazwischen, die nnr dem Lustspiel zukommt. Außer¬ dem ist dein lyrischen Moment ein viel zu großer Raum gegeben. Es werden sehr häufig lange Arien, zuweilen im Umfange mehrerer Seiten, gesprochen, welche die dramatische Entwickelung aufhalten und um so unangenehmer wirken, da sie in einem wahrhaft abscheulichen lyrischen Versmaß gehalten sind, von dem ich hier eine Probe gebe: Ach, liebes Kind, was das betrifft, Der Körper zwar wird reifer, Der Geist der wird wohl nicht so bald Ein besserer Bcgreiscr u. s. w. In diesem Drehorgelton lange Monologe oder Dialoge zu hören, ist unerträglich. Dazu kommen noch nach dem Muster der romantischen Schule eine Reihe ander¬ weitiger Versmaße, je nach der vorherrschenden Stimmung, Trimeter, fünffüßige Jamben, skaldische Rhythmen, sogar Calderon'sche Verse. Hätte Oehlenschläger auch hier eine größere Einheit angestrebt, so wäre es für die Dänische Bühne vortheilhafter gewesen. — Was aber trotz dieser Ausstellungen seinen Dramen einen bleibenden Gehalt verleiht, ist die strenge und kräftige Sittlichkeit, die in denselben waltet. Oehlenschläger geht gar nicht darauf aus, engelhafte Personen zu zeichnen, aber er läßt den Kontrast zwischen Gut und Böse in seiner vollen Kraft bestehen, und das ist in einem verweichlichten sophistischen Zeitalter, welches die Gegensätze durch die Mannichfaltigkeit und Unruhe der Gesichtspunkte ver¬ wischt, sehr anerkennenswert!). — Was den Inhalt der einzelnen betrifft, so ist im Hakon Jarl, der in Dänemark ein ungemeines Glück machte, der Streit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/342>, abgerufen am 01.07.2024.