Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gesetzt, und es ist ein tüchtiges Zeichen für Oehleuschläger's geistige Selbstständig-
keit, daß er trotz des großen Einflusses, den diese Richtung in der Zeit seiner
ersten Bildung auf ihn ausübte, so vollständig mit ihr gebrochen hat, daß er
das kühne Phantasiespiel mit den Gaukelbildern des Lebens, den kalten raffinir-
ten Witz, der über der Mannichfaltigkeit der Gesichtspunkte den Sinn für daS
Ganze verliert, daß er die metaphysische Vertheidigung der Wollust und deö
Verbrechens, das Raffinement, welches nur der Kraft nachgeht und die einfache-
Idee des Guten trivial findet, mit so großer Entschiedenheit bekämpft hat. Sehr
richtig ist der Vergleich, den er in dieser Beziehung ausstellt zwischen der Genia-
litätssncht, die keinen Geschmack mehr hat für die Grundlage aller echten Poesie,
für ein edles und gutes Herz, und einem verderbten Sansbruder, der die idyl¬
lische Milch und das gesunde Brod weichlich findet, obgleich es Niesen nährt,
während der Spiritus ihm selbst zuletzt das äÄirmin tröMm^ verschafft.

Bei dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines sittlichen Inhalts für
die Poesie mußte er "ach eiuer bleibenden sittlichen Basis suchen, die er sich nicht
erdenken, sondern die er nnr in einem historisch Gegebenen finden konnte.
Er fand sie, und darin kommt er mit den meisten Dichtern, welche die Regene¬
ration der Poesie in dem Anfang dieses Jahrhunderts herbeiführten, überein, in
der alten Vorzeit seines Volks und in den beiden leitenden Ideen, welche dieselbe
bewegten, in dem nordischen Heroismus und in dem Christenthum.

Der Dänische Idealismus bewegt sich theils in der Welt, die ihm die alten
Heldenlieder seines Volkes vorspiegeln, in dem abenteuerlichen > Seeräuberlebeu
der Normamren mit ihren einfachen, oft rohen Tugenden und Lastern, auf der
andern Seite in dem eben so einfachen, aber weniger romantischen Volkstreiben,
wie es uns Holberg schildert. Diese Einfachheit ist aber auch die einzige Ver¬
mittelung zwischen den beiden Vorstellungsweisen, die sonst Nichts mit einander
gemein haben. Darin sind andere Volker glücklicher. Als W. Scott das heroische
Zeitalter seiner Nation poetisch erneuerte, faud er nicht blos in der Tradition,
sondern zum Theil noch in den wirklichen Verhältnissen hinlängliche Anklänge
an diese alten nationalen Vorstellungen. Er selber war Erbe eines jener
Häuser, die sich in den Grenzkriegen ausgezeichnet, und die Lebensweise, so wie
die politische Richtung der Partei, der er angehörte, hatte noch Vieles gemein mit
dem Leben und Treiben der Douglas, der Gradaus u. s. w., die er in seinen
poetischen Gemälden zu neuem Leben rief. Er konnte noch seine erste Novelle,
in der die ganze Fülle hochländischer Romantik austauchte, überschreiben: "Vor
sechzig Jahren." -- Eine solche Vermittelung zwischen der Tradition und der
Gegenwart ist in Dänemark nicht vorhanden. Das Heldenzeitalter der Nation
liegt durch eine unendliche Kluft von der Gegenwart getrennt. Die Dänen haben
nicht, wie die Schweden, auch in der neuen Zeit eine heroische Episode auszu¬
weisen. Ihr Land selbst zeigt keine Natur, die wie die hochländischen Gebirge


gesetzt, und es ist ein tüchtiges Zeichen für Oehleuschläger's geistige Selbstständig-
keit, daß er trotz des großen Einflusses, den diese Richtung in der Zeit seiner
ersten Bildung auf ihn ausübte, so vollständig mit ihr gebrochen hat, daß er
das kühne Phantasiespiel mit den Gaukelbildern des Lebens, den kalten raffinir-
ten Witz, der über der Mannichfaltigkeit der Gesichtspunkte den Sinn für daS
Ganze verliert, daß er die metaphysische Vertheidigung der Wollust und deö
Verbrechens, das Raffinement, welches nur der Kraft nachgeht und die einfache-
Idee des Guten trivial findet, mit so großer Entschiedenheit bekämpft hat. Sehr
richtig ist der Vergleich, den er in dieser Beziehung ausstellt zwischen der Genia-
litätssncht, die keinen Geschmack mehr hat für die Grundlage aller echten Poesie,
für ein edles und gutes Herz, und einem verderbten Sansbruder, der die idyl¬
lische Milch und das gesunde Brod weichlich findet, obgleich es Niesen nährt,
während der Spiritus ihm selbst zuletzt das äÄirmin tröMm^ verschafft.

Bei dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines sittlichen Inhalts für
die Poesie mußte er »ach eiuer bleibenden sittlichen Basis suchen, die er sich nicht
erdenken, sondern die er nnr in einem historisch Gegebenen finden konnte.
Er fand sie, und darin kommt er mit den meisten Dichtern, welche die Regene¬
ration der Poesie in dem Anfang dieses Jahrhunderts herbeiführten, überein, in
der alten Vorzeit seines Volks und in den beiden leitenden Ideen, welche dieselbe
bewegten, in dem nordischen Heroismus und in dem Christenthum.

Der Dänische Idealismus bewegt sich theils in der Welt, die ihm die alten
Heldenlieder seines Volkes vorspiegeln, in dem abenteuerlichen > Seeräuberlebeu
der Normamren mit ihren einfachen, oft rohen Tugenden und Lastern, auf der
andern Seite in dem eben so einfachen, aber weniger romantischen Volkstreiben,
wie es uns Holberg schildert. Diese Einfachheit ist aber auch die einzige Ver¬
mittelung zwischen den beiden Vorstellungsweisen, die sonst Nichts mit einander
gemein haben. Darin sind andere Volker glücklicher. Als W. Scott das heroische
Zeitalter seiner Nation poetisch erneuerte, faud er nicht blos in der Tradition,
sondern zum Theil noch in den wirklichen Verhältnissen hinlängliche Anklänge
an diese alten nationalen Vorstellungen. Er selber war Erbe eines jener
Häuser, die sich in den Grenzkriegen ausgezeichnet, und die Lebensweise, so wie
die politische Richtung der Partei, der er angehörte, hatte noch Vieles gemein mit
dem Leben und Treiben der Douglas, der Gradaus u. s. w., die er in seinen
poetischen Gemälden zu neuem Leben rief. Er konnte noch seine erste Novelle,
in der die ganze Fülle hochländischer Romantik austauchte, überschreiben: „Vor
sechzig Jahren." — Eine solche Vermittelung zwischen der Tradition und der
Gegenwart ist in Dänemark nicht vorhanden. Das Heldenzeitalter der Nation
liegt durch eine unendliche Kluft von der Gegenwart getrennt. Die Dänen haben
nicht, wie die Schweden, auch in der neuen Zeit eine heroische Episode auszu¬
weisen. Ihr Land selbst zeigt keine Natur, die wie die hochländischen Gebirge


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280425"/>
          <p xml:id="ID_907" prev="#ID_906"> gesetzt, und es ist ein tüchtiges Zeichen für Oehleuschläger's geistige Selbstständig-<lb/>
keit, daß er trotz des großen Einflusses, den diese Richtung in der Zeit seiner<lb/>
ersten Bildung auf ihn ausübte, so vollständig mit ihr gebrochen hat, daß er<lb/>
das kühne Phantasiespiel mit den Gaukelbildern des Lebens, den kalten raffinir-<lb/>
ten Witz, der über der Mannichfaltigkeit der Gesichtspunkte den Sinn für daS<lb/>
Ganze verliert, daß er die metaphysische Vertheidigung der Wollust und deö<lb/>
Verbrechens, das Raffinement, welches nur der Kraft nachgeht und die einfache-<lb/>
Idee des Guten trivial findet, mit so großer Entschiedenheit bekämpft hat. Sehr<lb/>
richtig ist der Vergleich, den er in dieser Beziehung ausstellt zwischen der Genia-<lb/>
litätssncht, die keinen Geschmack mehr hat für die Grundlage aller echten Poesie,<lb/>
für ein edles und gutes Herz, und einem verderbten Sansbruder, der die idyl¬<lb/>
lische Milch und das gesunde Brod weichlich findet, obgleich es Niesen nährt,<lb/>
während der Spiritus ihm selbst zuletzt das äÄirmin tröMm^ verschafft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908"> Bei dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines sittlichen Inhalts für<lb/>
die Poesie mußte er »ach eiuer bleibenden sittlichen Basis suchen, die er sich nicht<lb/>
erdenken, sondern die er nnr in einem historisch Gegebenen finden konnte.<lb/>
Er fand sie, und darin kommt er mit den meisten Dichtern, welche die Regene¬<lb/>
ration der Poesie in dem Anfang dieses Jahrhunderts herbeiführten, überein, in<lb/>
der alten Vorzeit seines Volks und in den beiden leitenden Ideen, welche dieselbe<lb/>
bewegten, in dem nordischen Heroismus und in dem Christenthum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_909" next="#ID_910"> Der Dänische Idealismus bewegt sich theils in der Welt, die ihm die alten<lb/>
Heldenlieder seines Volkes vorspiegeln, in dem abenteuerlichen &gt; Seeräuberlebeu<lb/>
der Normamren mit ihren einfachen, oft rohen Tugenden und Lastern, auf der<lb/>
andern Seite in dem eben so einfachen, aber weniger romantischen Volkstreiben,<lb/>
wie es uns Holberg schildert. Diese Einfachheit ist aber auch die einzige Ver¬<lb/>
mittelung zwischen den beiden Vorstellungsweisen, die sonst Nichts mit einander<lb/>
gemein haben. Darin sind andere Volker glücklicher. Als W. Scott das heroische<lb/>
Zeitalter seiner Nation poetisch erneuerte, faud er nicht blos in der Tradition,<lb/>
sondern zum Theil noch in den wirklichen Verhältnissen hinlängliche Anklänge<lb/>
an diese alten nationalen Vorstellungen. Er selber war Erbe eines jener<lb/>
Häuser, die sich in den Grenzkriegen ausgezeichnet, und die Lebensweise, so wie<lb/>
die politische Richtung der Partei, der er angehörte, hatte noch Vieles gemein mit<lb/>
dem Leben und Treiben der Douglas, der Gradaus u. s. w., die er in seinen<lb/>
poetischen Gemälden zu neuem Leben rief. Er konnte noch seine erste Novelle,<lb/>
in der die ganze Fülle hochländischer Romantik austauchte, überschreiben: &#x201E;Vor<lb/>
sechzig Jahren." &#x2014; Eine solche Vermittelung zwischen der Tradition und der<lb/>
Gegenwart ist in Dänemark nicht vorhanden. Das Heldenzeitalter der Nation<lb/>
liegt durch eine unendliche Kluft von der Gegenwart getrennt. Die Dänen haben<lb/>
nicht, wie die Schweden, auch in der neuen Zeit eine heroische Episode auszu¬<lb/>
weisen. Ihr Land selbst zeigt keine Natur, die wie die hochländischen Gebirge</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] gesetzt, und es ist ein tüchtiges Zeichen für Oehleuschläger's geistige Selbstständig- keit, daß er trotz des großen Einflusses, den diese Richtung in der Zeit seiner ersten Bildung auf ihn ausübte, so vollständig mit ihr gebrochen hat, daß er das kühne Phantasiespiel mit den Gaukelbildern des Lebens, den kalten raffinir- ten Witz, der über der Mannichfaltigkeit der Gesichtspunkte den Sinn für daS Ganze verliert, daß er die metaphysische Vertheidigung der Wollust und deö Verbrechens, das Raffinement, welches nur der Kraft nachgeht und die einfache- Idee des Guten trivial findet, mit so großer Entschiedenheit bekämpft hat. Sehr richtig ist der Vergleich, den er in dieser Beziehung ausstellt zwischen der Genia- litätssncht, die keinen Geschmack mehr hat für die Grundlage aller echten Poesie, für ein edles und gutes Herz, und einem verderbten Sansbruder, der die idyl¬ lische Milch und das gesunde Brod weichlich findet, obgleich es Niesen nährt, während der Spiritus ihm selbst zuletzt das äÄirmin tröMm^ verschafft. Bei dieser Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines sittlichen Inhalts für die Poesie mußte er »ach eiuer bleibenden sittlichen Basis suchen, die er sich nicht erdenken, sondern die er nnr in einem historisch Gegebenen finden konnte. Er fand sie, und darin kommt er mit den meisten Dichtern, welche die Regene¬ ration der Poesie in dem Anfang dieses Jahrhunderts herbeiführten, überein, in der alten Vorzeit seines Volks und in den beiden leitenden Ideen, welche dieselbe bewegten, in dem nordischen Heroismus und in dem Christenthum. Der Dänische Idealismus bewegt sich theils in der Welt, die ihm die alten Heldenlieder seines Volkes vorspiegeln, in dem abenteuerlichen > Seeräuberlebeu der Normamren mit ihren einfachen, oft rohen Tugenden und Lastern, auf der andern Seite in dem eben so einfachen, aber weniger romantischen Volkstreiben, wie es uns Holberg schildert. Diese Einfachheit ist aber auch die einzige Ver¬ mittelung zwischen den beiden Vorstellungsweisen, die sonst Nichts mit einander gemein haben. Darin sind andere Volker glücklicher. Als W. Scott das heroische Zeitalter seiner Nation poetisch erneuerte, faud er nicht blos in der Tradition, sondern zum Theil noch in den wirklichen Verhältnissen hinlängliche Anklänge an diese alten nationalen Vorstellungen. Er selber war Erbe eines jener Häuser, die sich in den Grenzkriegen ausgezeichnet, und die Lebensweise, so wie die politische Richtung der Partei, der er angehörte, hatte noch Vieles gemein mit dem Leben und Treiben der Douglas, der Gradaus u. s. w., die er in seinen poetischen Gemälden zu neuem Leben rief. Er konnte noch seine erste Novelle, in der die ganze Fülle hochländischer Romantik austauchte, überschreiben: „Vor sechzig Jahren." — Eine solche Vermittelung zwischen der Tradition und der Gegenwart ist in Dänemark nicht vorhanden. Das Heldenzeitalter der Nation liegt durch eine unendliche Kluft von der Gegenwart getrennt. Die Dänen haben nicht, wie die Schweden, auch in der neuen Zeit eine heroische Episode auszu¬ weisen. Ihr Land selbst zeigt keine Natur, die wie die hochländischen Gebirge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/338>, abgerufen am 04.07.2024.