Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichsam als der körperliche Ueberrest oder als die Ruinen jenes heroischen Zeit¬
alters anzusehen wäre, dagegen haben sie Eins gegenwärtig, das Meer, und
mit ihm die kühne Lust zu Abenteuern, den sehnsüchtigen Blick in die Ferne hin¬
aus. Der unglückliche Kampf, den sie im Jahre I80-I mit den Engländern
bestanden, weckte die längst vergessenen kriegerischen Bilder in. ihrer Seele
wieder ans. Bei der durch die Französische Weltherrschaft hervorgerufenen
Reaction der Natioualitätsidee in allen Theilen Europa's begann auch in Däne¬
mark die Reaction gegen das bisher herrschende Deutsche Wesen, die diesmal
im Volke sich verbreitende Vorstellung von einer neue" scandinavischen Union,
die früher sich aus die Fürsten beschränkt hatte, und das historische Einkehren in
sich selber. Das Zusammentreffen solcher allgemeinen Voraussetzungen mit der
Neigung eines begabten Dichters giebt diesem erst seine literarhistorische Berech¬
tigung. Zudem Oehlenschlägcr in epischen und dramatischen Gedichten den nor¬
dischen Sagenkreis darstellte, kam er damit der Neigung seines Volks entgegen,
und das zeigte, daß sein Jnstinct ein richtiger war.

. Wenn diese Dänische Romantik einerseits den Nachtheil hat, daß sie eiuen
starken Anlauf aus der Gegenwart nehme" muß, um die nebelgraue Vorzeit wieder¬
zufinden, und daß sie daher in ihren Leistungen immer etwas Träumerisches,
Gemachtes, Pathetisches zeigt, so hat sie auf der andern Seite in der Enge ihres
Horizonts einen großen Vorzug. Dieser Vorzug bezieht sich sowol auf den
Gegenstand, wie aus die Art und Weise der Behandlung. Bei einem kleinen
Volke ist es zwar immer ein merkwürdiger Zufall, wenn in.derselben Zeit eine
Reihe begabter Schriftsteller in ihm auftreten, die ihm eine Stellung in der Welt¬
literatur verschaffen; allein wenn dieser Zufall eintritt, so ist die Concentration
dieser Kräfte, ihre fortwährende, im höchsten Grad fördernde Beziehung auf das
Volk und jene Gleichmäßigkeit der Bildung, ohne welche an einen poetischen Styl
uicht gedacht werden kann, viel leichter. Eben so ist es mit dem Inhalt der Dich¬
tungen. Uns Deutschen ist es bisher unmöglich gewesen, für unsre Dichtung
eine allgemeine historische Basis zu finden, uicht weil wir eine zu arme, sondern
weil wir eine zu reiche, zu bunte, zu verwickelte Geschichte haben, und weil wir
daher verleitet wurden, in den Irrfahrten nach den Zeiten des Teutoburger
Waldes, der Völkerwanderung und der Kreuzzüge das zunächst Liegende zu über-
^heu, unsre eigentliche poetische Vorzeit, die noch, wie es immer sein muß,
in die Gegenwart hineinragt, nämlich das Zeitalter der Reformation. Den
Dänen kommt die Armuth ihrer Geschichte sehr zu Statten. Ihr Blick wird
nicht durch die Mannichfaltigkeit der Motive verwirrt, ihre Gestalten gewinnen
ü'"e gleichmäßige Haltung, die freilich auch leicht zur Manier wird, die aber das
elfte Erforderniß zu einer wahrhaft volksthümlichen Dichtung ist. Dieser Um¬
stand hat einzelne unsrer Dichter, z. B, Fouquv, veranlaßt, sich gleichfalls
Me der nordischen Sage zu beschäftigen; aber was für die Dänen paßt, paßt


42*

gleichsam als der körperliche Ueberrest oder als die Ruinen jenes heroischen Zeit¬
alters anzusehen wäre, dagegen haben sie Eins gegenwärtig, das Meer, und
mit ihm die kühne Lust zu Abenteuern, den sehnsüchtigen Blick in die Ferne hin¬
aus. Der unglückliche Kampf, den sie im Jahre I80-I mit den Engländern
bestanden, weckte die längst vergessenen kriegerischen Bilder in. ihrer Seele
wieder ans. Bei der durch die Französische Weltherrschaft hervorgerufenen
Reaction der Natioualitätsidee in allen Theilen Europa's begann auch in Däne¬
mark die Reaction gegen das bisher herrschende Deutsche Wesen, die diesmal
im Volke sich verbreitende Vorstellung von einer neue» scandinavischen Union,
die früher sich aus die Fürsten beschränkt hatte, und das historische Einkehren in
sich selber. Das Zusammentreffen solcher allgemeinen Voraussetzungen mit der
Neigung eines begabten Dichters giebt diesem erst seine literarhistorische Berech¬
tigung. Zudem Oehlenschlägcr in epischen und dramatischen Gedichten den nor¬
dischen Sagenkreis darstellte, kam er damit der Neigung seines Volks entgegen,
und das zeigte, daß sein Jnstinct ein richtiger war.

. Wenn diese Dänische Romantik einerseits den Nachtheil hat, daß sie eiuen
starken Anlauf aus der Gegenwart nehme» muß, um die nebelgraue Vorzeit wieder¬
zufinden, und daß sie daher in ihren Leistungen immer etwas Träumerisches,
Gemachtes, Pathetisches zeigt, so hat sie auf der andern Seite in der Enge ihres
Horizonts einen großen Vorzug. Dieser Vorzug bezieht sich sowol auf den
Gegenstand, wie aus die Art und Weise der Behandlung. Bei einem kleinen
Volke ist es zwar immer ein merkwürdiger Zufall, wenn in.derselben Zeit eine
Reihe begabter Schriftsteller in ihm auftreten, die ihm eine Stellung in der Welt¬
literatur verschaffen; allein wenn dieser Zufall eintritt, so ist die Concentration
dieser Kräfte, ihre fortwährende, im höchsten Grad fördernde Beziehung auf das
Volk und jene Gleichmäßigkeit der Bildung, ohne welche an einen poetischen Styl
uicht gedacht werden kann, viel leichter. Eben so ist es mit dem Inhalt der Dich¬
tungen. Uns Deutschen ist es bisher unmöglich gewesen, für unsre Dichtung
eine allgemeine historische Basis zu finden, uicht weil wir eine zu arme, sondern
weil wir eine zu reiche, zu bunte, zu verwickelte Geschichte haben, und weil wir
daher verleitet wurden, in den Irrfahrten nach den Zeiten des Teutoburger
Waldes, der Völkerwanderung und der Kreuzzüge das zunächst Liegende zu über-
^heu, unsre eigentliche poetische Vorzeit, die noch, wie es immer sein muß,
in die Gegenwart hineinragt, nämlich das Zeitalter der Reformation. Den
Dänen kommt die Armuth ihrer Geschichte sehr zu Statten. Ihr Blick wird
nicht durch die Mannichfaltigkeit der Motive verwirrt, ihre Gestalten gewinnen
ü'"e gleichmäßige Haltung, die freilich auch leicht zur Manier wird, die aber das
elfte Erforderniß zu einer wahrhaft volksthümlichen Dichtung ist. Dieser Um¬
stand hat einzelne unsrer Dichter, z. B, Fouquv, veranlaßt, sich gleichfalls
Me der nordischen Sage zu beschäftigen; aber was für die Dänen paßt, paßt


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280426"/>
          <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> gleichsam als der körperliche Ueberrest oder als die Ruinen jenes heroischen Zeit¬<lb/>
alters anzusehen wäre, dagegen haben sie Eins gegenwärtig, das Meer, und<lb/>
mit ihm die kühne Lust zu Abenteuern, den sehnsüchtigen Blick in die Ferne hin¬<lb/>
aus. Der unglückliche Kampf, den sie im Jahre I80-I mit den Engländern<lb/>
bestanden, weckte die längst vergessenen kriegerischen Bilder in. ihrer Seele<lb/>
wieder ans. Bei der durch die Französische Weltherrschaft hervorgerufenen<lb/>
Reaction der Natioualitätsidee in allen Theilen Europa's begann auch in Däne¬<lb/>
mark die Reaction gegen das bisher herrschende Deutsche Wesen, die diesmal<lb/>
im Volke sich verbreitende Vorstellung von einer neue» scandinavischen Union,<lb/>
die früher sich aus die Fürsten beschränkt hatte, und das historische Einkehren in<lb/>
sich selber. Das Zusammentreffen solcher allgemeinen Voraussetzungen mit der<lb/>
Neigung eines begabten Dichters giebt diesem erst seine literarhistorische Berech¬<lb/>
tigung. Zudem Oehlenschlägcr in epischen und dramatischen Gedichten den nor¬<lb/>
dischen Sagenkreis darstellte, kam er damit der Neigung seines Volks entgegen,<lb/>
und das zeigte, daß sein Jnstinct ein richtiger war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911" next="#ID_912"> . Wenn diese Dänische Romantik einerseits den Nachtheil hat, daß sie eiuen<lb/>
starken Anlauf aus der Gegenwart nehme» muß, um die nebelgraue Vorzeit wieder¬<lb/>
zufinden, und daß sie daher in ihren Leistungen immer etwas Träumerisches,<lb/>
Gemachtes, Pathetisches zeigt, so hat sie auf der andern Seite in der Enge ihres<lb/>
Horizonts einen großen Vorzug. Dieser Vorzug bezieht sich sowol auf den<lb/>
Gegenstand, wie aus die Art und Weise der Behandlung. Bei einem kleinen<lb/>
Volke ist es zwar immer ein merkwürdiger Zufall, wenn in.derselben Zeit eine<lb/>
Reihe begabter Schriftsteller in ihm auftreten, die ihm eine Stellung in der Welt¬<lb/>
literatur verschaffen; allein wenn dieser Zufall eintritt, so ist die Concentration<lb/>
dieser Kräfte, ihre fortwährende, im höchsten Grad fördernde Beziehung auf das<lb/>
Volk und jene Gleichmäßigkeit der Bildung, ohne welche an einen poetischen Styl<lb/>
uicht gedacht werden kann, viel leichter. Eben so ist es mit dem Inhalt der Dich¬<lb/>
tungen. Uns Deutschen ist es bisher unmöglich gewesen, für unsre Dichtung<lb/>
eine allgemeine historische Basis zu finden, uicht weil wir eine zu arme, sondern<lb/>
weil wir eine zu reiche, zu bunte, zu verwickelte Geschichte haben, und weil wir<lb/>
daher verleitet wurden, in den Irrfahrten nach den Zeiten des Teutoburger<lb/>
Waldes, der Völkerwanderung und der Kreuzzüge das zunächst Liegende zu über-<lb/>
^heu, unsre eigentliche poetische Vorzeit, die noch, wie es immer sein muß,<lb/>
in die Gegenwart hineinragt, nämlich das Zeitalter der Reformation. Den<lb/>
Dänen kommt die Armuth ihrer Geschichte sehr zu Statten. Ihr Blick wird<lb/>
nicht durch die Mannichfaltigkeit der Motive verwirrt, ihre Gestalten gewinnen<lb/>
ü'"e gleichmäßige Haltung, die freilich auch leicht zur Manier wird, die aber das<lb/>
elfte Erforderniß zu einer wahrhaft volksthümlichen Dichtung ist. Dieser Um¬<lb/>
stand hat einzelne unsrer Dichter, z. B, Fouquv, veranlaßt, sich gleichfalls<lb/>
Me der nordischen Sage zu beschäftigen; aber was für die Dänen paßt, paßt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] gleichsam als der körperliche Ueberrest oder als die Ruinen jenes heroischen Zeit¬ alters anzusehen wäre, dagegen haben sie Eins gegenwärtig, das Meer, und mit ihm die kühne Lust zu Abenteuern, den sehnsüchtigen Blick in die Ferne hin¬ aus. Der unglückliche Kampf, den sie im Jahre I80-I mit den Engländern bestanden, weckte die längst vergessenen kriegerischen Bilder in. ihrer Seele wieder ans. Bei der durch die Französische Weltherrschaft hervorgerufenen Reaction der Natioualitätsidee in allen Theilen Europa's begann auch in Däne¬ mark die Reaction gegen das bisher herrschende Deutsche Wesen, die diesmal im Volke sich verbreitende Vorstellung von einer neue» scandinavischen Union, die früher sich aus die Fürsten beschränkt hatte, und das historische Einkehren in sich selber. Das Zusammentreffen solcher allgemeinen Voraussetzungen mit der Neigung eines begabten Dichters giebt diesem erst seine literarhistorische Berech¬ tigung. Zudem Oehlenschlägcr in epischen und dramatischen Gedichten den nor¬ dischen Sagenkreis darstellte, kam er damit der Neigung seines Volks entgegen, und das zeigte, daß sein Jnstinct ein richtiger war. . Wenn diese Dänische Romantik einerseits den Nachtheil hat, daß sie eiuen starken Anlauf aus der Gegenwart nehme» muß, um die nebelgraue Vorzeit wieder¬ zufinden, und daß sie daher in ihren Leistungen immer etwas Träumerisches, Gemachtes, Pathetisches zeigt, so hat sie auf der andern Seite in der Enge ihres Horizonts einen großen Vorzug. Dieser Vorzug bezieht sich sowol auf den Gegenstand, wie aus die Art und Weise der Behandlung. Bei einem kleinen Volke ist es zwar immer ein merkwürdiger Zufall, wenn in.derselben Zeit eine Reihe begabter Schriftsteller in ihm auftreten, die ihm eine Stellung in der Welt¬ literatur verschaffen; allein wenn dieser Zufall eintritt, so ist die Concentration dieser Kräfte, ihre fortwährende, im höchsten Grad fördernde Beziehung auf das Volk und jene Gleichmäßigkeit der Bildung, ohne welche an einen poetischen Styl uicht gedacht werden kann, viel leichter. Eben so ist es mit dem Inhalt der Dich¬ tungen. Uns Deutschen ist es bisher unmöglich gewesen, für unsre Dichtung eine allgemeine historische Basis zu finden, uicht weil wir eine zu arme, sondern weil wir eine zu reiche, zu bunte, zu verwickelte Geschichte haben, und weil wir daher verleitet wurden, in den Irrfahrten nach den Zeiten des Teutoburger Waldes, der Völkerwanderung und der Kreuzzüge das zunächst Liegende zu über- ^heu, unsre eigentliche poetische Vorzeit, die noch, wie es immer sein muß, in die Gegenwart hineinragt, nämlich das Zeitalter der Reformation. Den Dänen kommt die Armuth ihrer Geschichte sehr zu Statten. Ihr Blick wird nicht durch die Mannichfaltigkeit der Motive verwirrt, ihre Gestalten gewinnen ü'"e gleichmäßige Haltung, die freilich auch leicht zur Manier wird, die aber das elfte Erforderniß zu einer wahrhaft volksthümlichen Dichtung ist. Dieser Um¬ stand hat einzelne unsrer Dichter, z. B, Fouquv, veranlaßt, sich gleichfalls Me der nordischen Sage zu beschäftigen; aber was für die Dänen paßt, paßt 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/339>, abgerufen am 04.07.2024.