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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Im Uebrigen ist in diesem Aufsätze meine Auffassung vollständig verdreht
worden. Es handelt sich gar nicht darum, was der Einzelne thun soll, der die
Ueberzeugung hegt, daß seine Theilnahme an den neugeschaffenen Institutionen
mit seinem Eide auf die Verfassung unverträglich sei. Wo das Gewissen spricht,
haben alle übrigen Rücksichten zu schweigen, und Hr. v. Vincke hat z. B. ganz
Recht daran gethan, sich 18i9 der Wahl nach dem einseitig amendirten Wahl¬
gesetz zu enthalten, obgleich die Partei wählte, und obgleich er selbst später seine
Ansicht von dem Verhältniß des Rechts- und des Nützlichkeitsprincips geändert
hat.

Es handelt sich vielmehr darum, ob diese Ueberzeugung auch Diejenigen binden
soll, für welche die genannte Unvereinbarkeit nicht so unzweifelhaft ist. Mein Gegner
giebt zu, daß diese Unvereinbarkeit objectiv nicht auszumachen ist, er glaubt
aber, sie subjectiv den Constitutionellen imputiren zu müssen, "die unmöglich ver¬
gessen können, in welchem Sinn sie die Verfassung aufgenommen haben; die es
wissen müssen, daß bei der ausgesprochenen Aufhebung der Standesvorrechte
(mit Aufstellung einer Pairieü) Niemand an die Möglichkeit des Fortbestehens
der ritterlichen Privilegien gedacht hat" u. s. w. -- Das ist nur eine Deduction, die
als solche nicht schlagend auf das Gewissen wirkt. -- Die beschworene Verfassung
enthält eine Menge Widersprüche gegen den Geist derselben; das betreffende Ge¬
setz ist unklar und verworren; der König hat die Verfassung auf eine ungewöhn¬
liche Weise beschworen -- das Alles sind Thatsachen, deren Eintreten wir nach
Kräften bekämpft, die wir aber nicht gehindert haben, nicht ans jenem mythischen
Vertrauen, das Gott weiß wer! damals noch gehegt haben mag, sondern weil
wir nicht die Macht hatten, sie zu hindern. Wir konnten die Majorität der
Kammer nicht zwingen, in unserm Sinn zu stimmen, wir konnten den König nicht
zwingen, in unserm Sinn zu schwören. -- Wenn wir die Macht haben werden,
jene Widersprüche der Verfassung in nnserm Sinn zu lösen, so werden wir es
unzweifelhaft thun; jetzt haben wir diese Macht nicht, und wenigstens nach meiner
Ueberzeugung wird uns der passive Widerstand sie uns eben so wenig verschaffen,
als es bei den Demokraten der Fall gewesen ist.

Wenn wir nicht aus zwingenden Gewissensgründen (oder aus persönlicher Ab¬
neigung, zum Besten des Landes noch ferner im Schmuz zu wühlen, welche Ab¬
neigung ich bis zu einer gewissen Grenze für vollkommen berechtigt halte,) Wider¬
stand leisten, sondern aus politischen Motiven, so kann das nur unter zwei Um¬
ständen als gerechtfertigt gelten. Entweder hoffen wir dadurch, die beabsichtigte
"Rechtsverletzung" abzuwenden, oder wir wollen die herrschende Partei vollstän¬
dig vom Volk isoliren, d. h. eine Revolution herbeiführen (oder abwarten; ich
Streite nicht um Worte).

Von dem ersten giebt mein Gegner zu, daß es eine thörichte Hoffnung ist.
"Die alten Stände werden ins Leben treten, wir zweifeln nicht daran." Da-


Grenzboten. III. 4

Im Uebrigen ist in diesem Aufsätze meine Auffassung vollständig verdreht
worden. Es handelt sich gar nicht darum, was der Einzelne thun soll, der die
Ueberzeugung hegt, daß seine Theilnahme an den neugeschaffenen Institutionen
mit seinem Eide auf die Verfassung unverträglich sei. Wo das Gewissen spricht,
haben alle übrigen Rücksichten zu schweigen, und Hr. v. Vincke hat z. B. ganz
Recht daran gethan, sich 18i9 der Wahl nach dem einseitig amendirten Wahl¬
gesetz zu enthalten, obgleich die Partei wählte, und obgleich er selbst später seine
Ansicht von dem Verhältniß des Rechts- und des Nützlichkeitsprincips geändert
hat.

Es handelt sich vielmehr darum, ob diese Ueberzeugung auch Diejenigen binden
soll, für welche die genannte Unvereinbarkeit nicht so unzweifelhaft ist. Mein Gegner
giebt zu, daß diese Unvereinbarkeit objectiv nicht auszumachen ist, er glaubt
aber, sie subjectiv den Constitutionellen imputiren zu müssen, „die unmöglich ver¬
gessen können, in welchem Sinn sie die Verfassung aufgenommen haben; die es
wissen müssen, daß bei der ausgesprochenen Aufhebung der Standesvorrechte
(mit Aufstellung einer Pairieü) Niemand an die Möglichkeit des Fortbestehens
der ritterlichen Privilegien gedacht hat" u. s. w. — Das ist nur eine Deduction, die
als solche nicht schlagend auf das Gewissen wirkt. — Die beschworene Verfassung
enthält eine Menge Widersprüche gegen den Geist derselben; das betreffende Ge¬
setz ist unklar und verworren; der König hat die Verfassung auf eine ungewöhn¬
liche Weise beschworen — das Alles sind Thatsachen, deren Eintreten wir nach
Kräften bekämpft, die wir aber nicht gehindert haben, nicht ans jenem mythischen
Vertrauen, das Gott weiß wer! damals noch gehegt haben mag, sondern weil
wir nicht die Macht hatten, sie zu hindern. Wir konnten die Majorität der
Kammer nicht zwingen, in unserm Sinn zu stimmen, wir konnten den König nicht
zwingen, in unserm Sinn zu schwören. — Wenn wir die Macht haben werden,
jene Widersprüche der Verfassung in nnserm Sinn zu lösen, so werden wir es
unzweifelhaft thun; jetzt haben wir diese Macht nicht, und wenigstens nach meiner
Ueberzeugung wird uns der passive Widerstand sie uns eben so wenig verschaffen,
als es bei den Demokraten der Fall gewesen ist.

Wenn wir nicht aus zwingenden Gewissensgründen (oder aus persönlicher Ab¬
neigung, zum Besten des Landes noch ferner im Schmuz zu wühlen, welche Ab¬
neigung ich bis zu einer gewissen Grenze für vollkommen berechtigt halte,) Wider¬
stand leisten, sondern aus politischen Motiven, so kann das nur unter zwei Um¬
ständen als gerechtfertigt gelten. Entweder hoffen wir dadurch, die beabsichtigte
„Rechtsverletzung" abzuwenden, oder wir wollen die herrschende Partei vollstän¬
dig vom Volk isoliren, d. h. eine Revolution herbeiführen (oder abwarten; ich
Streite nicht um Worte).

Von dem ersten giebt mein Gegner zu, daß es eine thörichte Hoffnung ist.
„Die alten Stände werden ins Leben treten, wir zweifeln nicht daran." Da-


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[0033] Im Uebrigen ist in diesem Aufsätze meine Auffassung vollständig verdreht worden. Es handelt sich gar nicht darum, was der Einzelne thun soll, der die Ueberzeugung hegt, daß seine Theilnahme an den neugeschaffenen Institutionen mit seinem Eide auf die Verfassung unverträglich sei. Wo das Gewissen spricht, haben alle übrigen Rücksichten zu schweigen, und Hr. v. Vincke hat z. B. ganz Recht daran gethan, sich 18i9 der Wahl nach dem einseitig amendirten Wahl¬ gesetz zu enthalten, obgleich die Partei wählte, und obgleich er selbst später seine Ansicht von dem Verhältniß des Rechts- und des Nützlichkeitsprincips geändert hat. Es handelt sich vielmehr darum, ob diese Ueberzeugung auch Diejenigen binden soll, für welche die genannte Unvereinbarkeit nicht so unzweifelhaft ist. Mein Gegner giebt zu, daß diese Unvereinbarkeit objectiv nicht auszumachen ist, er glaubt aber, sie subjectiv den Constitutionellen imputiren zu müssen, „die unmöglich ver¬ gessen können, in welchem Sinn sie die Verfassung aufgenommen haben; die es wissen müssen, daß bei der ausgesprochenen Aufhebung der Standesvorrechte (mit Aufstellung einer Pairieü) Niemand an die Möglichkeit des Fortbestehens der ritterlichen Privilegien gedacht hat" u. s. w. — Das ist nur eine Deduction, die als solche nicht schlagend auf das Gewissen wirkt. — Die beschworene Verfassung enthält eine Menge Widersprüche gegen den Geist derselben; das betreffende Ge¬ setz ist unklar und verworren; der König hat die Verfassung auf eine ungewöhn¬ liche Weise beschworen — das Alles sind Thatsachen, deren Eintreten wir nach Kräften bekämpft, die wir aber nicht gehindert haben, nicht ans jenem mythischen Vertrauen, das Gott weiß wer! damals noch gehegt haben mag, sondern weil wir nicht die Macht hatten, sie zu hindern. Wir konnten die Majorität der Kammer nicht zwingen, in unserm Sinn zu stimmen, wir konnten den König nicht zwingen, in unserm Sinn zu schwören. — Wenn wir die Macht haben werden, jene Widersprüche der Verfassung in nnserm Sinn zu lösen, so werden wir es unzweifelhaft thun; jetzt haben wir diese Macht nicht, und wenigstens nach meiner Ueberzeugung wird uns der passive Widerstand sie uns eben so wenig verschaffen, als es bei den Demokraten der Fall gewesen ist. Wenn wir nicht aus zwingenden Gewissensgründen (oder aus persönlicher Ab¬ neigung, zum Besten des Landes noch ferner im Schmuz zu wühlen, welche Ab¬ neigung ich bis zu einer gewissen Grenze für vollkommen berechtigt halte,) Wider¬ stand leisten, sondern aus politischen Motiven, so kann das nur unter zwei Um¬ ständen als gerechtfertigt gelten. Entweder hoffen wir dadurch, die beabsichtigte „Rechtsverletzung" abzuwenden, oder wir wollen die herrschende Partei vollstän¬ dig vom Volk isoliren, d. h. eine Revolution herbeiführen (oder abwarten; ich Streite nicht um Worte). Von dem ersten giebt mein Gegner zu, daß es eine thörichte Hoffnung ist. „Die alten Stände werden ins Leben treten, wir zweifeln nicht daran." Da- Grenzboten. III. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/33>, abgerufen am 30.06.2024.