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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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edlen Gesicht zu geben gewußt hat. Er hat begriffen, daß der feierliche Augen¬
blick weder Gesten iwch Worte duldet. Die Königin schweigt, und lebt nur noch
in den Gedanken. Ihre Arme hängen bewegungslos, und folgen ohne Anstren¬
gung der Haltung des Körpers. Die Physiognomie ist ruhig und concentrirt. Der
Kopf ist überhaupt ein Meisterstück: er druckt alle die verschiedenen Empfindungen
aus, die hier am Orte find, aber ohne Uebertreibung. Man fühlt die religiöse
Haltung des Martyriums heraus.

Was das Technische betrifft, so findet die Französische Kritik, aus der wir diese
Bemerkungen zusammenstellen, einen wesentlichen Fortschritt. Die Farbe ist aus
ihrer Trockenheit und Strenge herausgetreten, die Linien weicher und geschmei¬
diger geworden. Dagegen ist jene Poesie des Contrastes, welche Delaroche über¬
haupt anstrebt, diesmal noch mehr hervorgetreten. Der ganze untere Theil der
Gestalt, das Getäfel der Tribune, bis Hintere Baut siud in einem gleichmäßigen
Dunkel gehalten und die Formen fast undeutlich. Das unheimliche Lampenlicht,
welches die Richter bescheint, ist ein etwas zu starker Effect gegen das Tageslicht
auf dem Kopfe und der Büste der Königin. Eben so wie bei dem Napoleon,
hat sich der Künstler auch bei Marie Antoinette etwas zu streng an die geschicht¬
liche Wahrheit gehalten. Ihr Embonpoint nimmt einen etwas zu großen Raum
ein. Die Nebenfiguren siud uur ganz leicht skizzirt.

Wir fugen dieser kurze" Beschreibung einzelne Bemerkungen über die frühere
Thätigkeit des Künstlers und über die allgemeine Richtung seiner Kunst hinzu.
Das erste Gemälde, mit dem er öffentlich auftrat, war: Joas uuter den Todten
hervorgesucht, im Salon von 182Ä. Es folgte: Jeanne d'Arc, krank und im
Gefängniß vor ihrem Untersuchungsrichter, dem Cardinal Winchester, 4 825; Cau-
mont de la Force, Miß Macdonald und die Folgen eines Duells, 1827; dann
Strafford, vom Erzbischof von Canterbury gesegnet; Karl I., gefangen, von
einer frechen Soldateska verspottet; Richelieu im Sterben, an die Rache gegen
seine Feinde denkend; Cromwell, wie er den Leichnam des enthaupteten Königs
betrachtet; Napoleon, wie er über den Se. Bernhard zieht; die sterbende Elisa¬
beth, von Neue gefoltert; Johanna Grey; die Söhne Eduard's u. s. w.

Schon die Wahl dieser Stoffe deute,t die dramatische Richtung an, in wel¬
cher die Conception und die Ausführung gehalten ist. Sie steht zu der frühern
Französische" Schule ungefähr in dem Verhältniß, wie die neue romantische Poesie
zu der sogenannten classischen der beiden vorigen Jahrhunderte. Der Idealismus
der ältern Richtung brachte es zu weiter Nichts, als zu Combinationen alter
Forme", in denen die Symbolik der in dem öffentlichen Geschmack festgestellten
Ideen des Schöne" und Erhabenen ans einander gebreitet wurde. Die neue Zelt
findet die Idealität mir in der Bewegung und der Action, so wie andererseits
im Charakteristischen. Die Ideale der ältern classischen Schule, in der bildenden
Kunst, wie in der Poesie, gehörten keiner bestimmten Zeit, keinem bestimmten


edlen Gesicht zu geben gewußt hat. Er hat begriffen, daß der feierliche Augen¬
blick weder Gesten iwch Worte duldet. Die Königin schweigt, und lebt nur noch
in den Gedanken. Ihre Arme hängen bewegungslos, und folgen ohne Anstren¬
gung der Haltung des Körpers. Die Physiognomie ist ruhig und concentrirt. Der
Kopf ist überhaupt ein Meisterstück: er druckt alle die verschiedenen Empfindungen
aus, die hier am Orte find, aber ohne Uebertreibung. Man fühlt die religiöse
Haltung des Martyriums heraus.

Was das Technische betrifft, so findet die Französische Kritik, aus der wir diese
Bemerkungen zusammenstellen, einen wesentlichen Fortschritt. Die Farbe ist aus
ihrer Trockenheit und Strenge herausgetreten, die Linien weicher und geschmei¬
diger geworden. Dagegen ist jene Poesie des Contrastes, welche Delaroche über¬
haupt anstrebt, diesmal noch mehr hervorgetreten. Der ganze untere Theil der
Gestalt, das Getäfel der Tribune, bis Hintere Baut siud in einem gleichmäßigen
Dunkel gehalten und die Formen fast undeutlich. Das unheimliche Lampenlicht,
welches die Richter bescheint, ist ein etwas zu starker Effect gegen das Tageslicht
auf dem Kopfe und der Büste der Königin. Eben so wie bei dem Napoleon,
hat sich der Künstler auch bei Marie Antoinette etwas zu streng an die geschicht¬
liche Wahrheit gehalten. Ihr Embonpoint nimmt einen etwas zu großen Raum
ein. Die Nebenfiguren siud uur ganz leicht skizzirt.

Wir fugen dieser kurze» Beschreibung einzelne Bemerkungen über die frühere
Thätigkeit des Künstlers und über die allgemeine Richtung seiner Kunst hinzu.
Das erste Gemälde, mit dem er öffentlich auftrat, war: Joas uuter den Todten
hervorgesucht, im Salon von 182Ä. Es folgte: Jeanne d'Arc, krank und im
Gefängniß vor ihrem Untersuchungsrichter, dem Cardinal Winchester, 4 825; Cau-
mont de la Force, Miß Macdonald und die Folgen eines Duells, 1827; dann
Strafford, vom Erzbischof von Canterbury gesegnet; Karl I., gefangen, von
einer frechen Soldateska verspottet; Richelieu im Sterben, an die Rache gegen
seine Feinde denkend; Cromwell, wie er den Leichnam des enthaupteten Königs
betrachtet; Napoleon, wie er über den Se. Bernhard zieht; die sterbende Elisa¬
beth, von Neue gefoltert; Johanna Grey; die Söhne Eduard's u. s. w.

Schon die Wahl dieser Stoffe deute,t die dramatische Richtung an, in wel¬
cher die Conception und die Ausführung gehalten ist. Sie steht zu der frühern
Französische» Schule ungefähr in dem Verhältniß, wie die neue romantische Poesie
zu der sogenannten classischen der beiden vorigen Jahrhunderte. Der Idealismus
der ältern Richtung brachte es zu weiter Nichts, als zu Combinationen alter
Forme», in denen die Symbolik der in dem öffentlichen Geschmack festgestellten
Ideen des Schöne» und Erhabenen ans einander gebreitet wurde. Die neue Zelt
findet die Idealität mir in der Bewegung und der Action, so wie andererseits
im Charakteristischen. Die Ideale der ältern classischen Schule, in der bildenden
Kunst, wie in der Poesie, gehörten keiner bestimmten Zeit, keinem bestimmten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/300>, abgerufen am 02.07.2024.