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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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geben, welche trotz ihrer revolutionairen Haltung im Allgemeinen es sehr wohl
verstand,, in einzelnen kleinen Zügen für das fallende .Königshaus das allgemeine
Mitleid zu erwecken. Die schrecklichen Scenen des Jahres 1848 mögen dazu
beigetragen haben, die Empfindungen des Künstlers zu steigern, und der Haltung
seines Gemäldes ein größeres Leben einzuflößen.

Die Begebenheit ist auf eine sehr einfache Art in Scene gehest. Im Hin¬
tergründe stehen die Richter, durch das zweifelhafte Licht, einer Lampe beschienen,
und mit ihren revolutionairen Insignien bekleidet. Sie haben gesiegt, sie trium-
phiren, aber ihre Stiru ist finster, ihr Blick verwirrt. Im Vordergrund, den
Rücken dem Tribunal zugewendet und mit dem Geficht gegen den Zuschauer,
nähert sich die Königin, von Gendarmen und Nationalgarten geleitet. Der Of-
ficier, der die Letztern anführt, gehört seiner Physiognomie nach den leidenschaft¬
lichsten Jakobinern an, währen die untergeordneten Schergen jene stumpfe Gleich-
giltigkeit zeigen, die in Zeiten, wo man sich an das Blut gewöhnt hat, ihrem
Gewerbe eigen ist. Die Sitzung des Tribunals hat lange gedauert, sie hat eine
ganze Nacht hindurch gewährt. Der blasse und kalte Strahl eines October-
morgens stiehlt sich zum Fenster hinein, und wirft auf das Antlitz, die Schultern
und die Arme der Königin ein unheimliches Licht. Zur Seite ist eine niedrige
Tribune, in welcher eine Menge Zuschauer sich an einander drängt, von jedem
Alter und vom jedem Geschlecht. Dort sieht man den wüthenden Jakobiner, der
gegen das Opfer die Faust ballt, die zahnlose Megäre, die ihr flucht, das junge.
Weib, das vielleicht eben erst den glühenden Haß ihres Volks gegen sie theilte,
die aber jetzt gerührt wird und in deren Auge eine Thräne sich zeigt, den Gamin .
der Zeit, dessen brauner Kopf sich malerisch unter den rothen Mützen hervor¬
drängt, und dessen mehr murhwilliges und neugieriges, als boshaftes Auge sich
Kor dem seltsamen und neuen Schauspiele nicht abwenden kann. -- Die Kleidung
der Königin zeigt Nichts von ihrem alten Glanz, aber sie ist so anständig, wie
ihre Kerkermeister es ihr erlaubt haben. Schwarzes Kleid, weißes Halstuch, das
Haar mit einem schwarzen Bande zusammen gehalten. --Die ganze Situation, ist
so einfach, daß alles Interesse sich in dem Ausdruck im Gesicht der Königin
concentrirt. Ihre Stirn trägt zwar nicht mehr die Krone, aber sie ist stolz und
Majestätisch, und der Schmerz und die Angst der Gefangenschaft haben sie vor
der Zeit mit einem Diadem weißer Haare umkränzt. Wenn auch der Kummer
und die Schlaflosigkeit ihre Farbe gebleicht, ihr Ange gehöhlt und gedunkelt
haben, wenn man in ihm die Spuren vielfacher Thränen sieht, so ist es doch
noch immer das Antlitz einer Königin. Die natürliche Majestät ihres Ganges,
gleichgiltige Verachtung, mit der sie an den Schmähungen des Pöbels vor¬
beigeht, das leichte Zucken ihrer Augenbrauen, das unwillkürliche Anschwellen der
Nasenflügel, das bittere und zugleich resignirte Zusammenziehen der Lippen, das
Alles sind einzelne Züge von dem königlichen Ausdruck, den der Maler ihrem


37."

geben, welche trotz ihrer revolutionairen Haltung im Allgemeinen es sehr wohl
verstand,, in einzelnen kleinen Zügen für das fallende .Königshaus das allgemeine
Mitleid zu erwecken. Die schrecklichen Scenen des Jahres 1848 mögen dazu
beigetragen haben, die Empfindungen des Künstlers zu steigern, und der Haltung
seines Gemäldes ein größeres Leben einzuflößen.

Die Begebenheit ist auf eine sehr einfache Art in Scene gehest. Im Hin¬
tergründe stehen die Richter, durch das zweifelhafte Licht, einer Lampe beschienen,
und mit ihren revolutionairen Insignien bekleidet. Sie haben gesiegt, sie trium-
phiren, aber ihre Stiru ist finster, ihr Blick verwirrt. Im Vordergrund, den
Rücken dem Tribunal zugewendet und mit dem Geficht gegen den Zuschauer,
nähert sich die Königin, von Gendarmen und Nationalgarten geleitet. Der Of-
ficier, der die Letztern anführt, gehört seiner Physiognomie nach den leidenschaft¬
lichsten Jakobinern an, währen die untergeordneten Schergen jene stumpfe Gleich-
giltigkeit zeigen, die in Zeiten, wo man sich an das Blut gewöhnt hat, ihrem
Gewerbe eigen ist. Die Sitzung des Tribunals hat lange gedauert, sie hat eine
ganze Nacht hindurch gewährt. Der blasse und kalte Strahl eines October-
morgens stiehlt sich zum Fenster hinein, und wirft auf das Antlitz, die Schultern
und die Arme der Königin ein unheimliches Licht. Zur Seite ist eine niedrige
Tribune, in welcher eine Menge Zuschauer sich an einander drängt, von jedem
Alter und vom jedem Geschlecht. Dort sieht man den wüthenden Jakobiner, der
gegen das Opfer die Faust ballt, die zahnlose Megäre, die ihr flucht, das junge.
Weib, das vielleicht eben erst den glühenden Haß ihres Volks gegen sie theilte,
die aber jetzt gerührt wird und in deren Auge eine Thräne sich zeigt, den Gamin .
der Zeit, dessen brauner Kopf sich malerisch unter den rothen Mützen hervor¬
drängt, und dessen mehr murhwilliges und neugieriges, als boshaftes Auge sich
Kor dem seltsamen und neuen Schauspiele nicht abwenden kann. — Die Kleidung
der Königin zeigt Nichts von ihrem alten Glanz, aber sie ist so anständig, wie
ihre Kerkermeister es ihr erlaubt haben. Schwarzes Kleid, weißes Halstuch, das
Haar mit einem schwarzen Bande zusammen gehalten. —Die ganze Situation, ist
so einfach, daß alles Interesse sich in dem Ausdruck im Gesicht der Königin
concentrirt. Ihre Stirn trägt zwar nicht mehr die Krone, aber sie ist stolz und
Majestätisch, und der Schmerz und die Angst der Gefangenschaft haben sie vor
der Zeit mit einem Diadem weißer Haare umkränzt. Wenn auch der Kummer
und die Schlaflosigkeit ihre Farbe gebleicht, ihr Ange gehöhlt und gedunkelt
haben, wenn man in ihm die Spuren vielfacher Thränen sieht, so ist es doch
noch immer das Antlitz einer Königin. Die natürliche Majestät ihres Ganges,
gleichgiltige Verachtung, mit der sie an den Schmähungen des Pöbels vor¬
beigeht, das leichte Zucken ihrer Augenbrauen, das unwillkürliche Anschwellen der
Nasenflügel, das bittere und zugleich resignirte Zusammenziehen der Lippen, das
Alles sind einzelne Züge von dem königlichen Ausdruck, den der Maler ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/299>, abgerufen am 30.06.2024.