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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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In England hat es zu allen Zeiten reiche Käuze gegeben, die es verstanden
haben, sich das Leben so augenehm als möglich zu machen. Lange bevor der
kluge Kopf geboren wurde, welcher die erste Londoner Zeitung gründete, besol¬
deten reiche Kavaliere in der Stadt und ans dem Lande eigene Agenten, die
ihnen von Zeit zu Zeit die wichtigsten und interessantesten Neuigkeiten vom Jn-
nnd Auslande brieflich mitzutheilen hatten. Die Korrespondenten waren somit
in der Schöpfungsgeschichte der Journalistik früher zur Welt gekommen, als die
Journalistik selbst. Die Nährmutter wurde von ihren Kindern geboren.

Solche Korrespondenten, oder, wie man sie damals nannte, Mohne".
Nenigkeitshändlcr, mögen höchst interessante Figuren gewesen sein. Sie hielte"
später offene Läden, meist in Cornhill, im Garten 'der City, und da wurde"
Neuigkeiten verkauft, wie beim Nachbar Bäcker das Brod. , Die Leute kamen in
den Laden und verlangten Neues ans England, Spanien, Frankreich, Deutschland
für ein, zwei, drei Pence bis zu einem Shilling. Der Preis richtete sich nack"
der Entfernung des Kriegsschauplahes und nach der Wichtigkeit der Nachricht.
Wenn's in der Welt recht still und ruhig war, daun gab's, wenn man dem alte"
Hampdon glauben darf, ganz so wie bei uns, immer die alleranserlesensteu Ge-
schichten, dann wurde so künstlerisch gelogen, wie in dem renommirtesten Zeitnngs-
institute der Gegenwart.

Ein solcher Nenigkeitsmann war es, der gegen Ende der Regierung vo"
James l., im Jahre 1622, das erste Londoner Journal gründete. Der Naim'
des Unsterblichen ist Nathaniel Butter; der Titel seines Blattes: Weeckly Um-s-
Es ist ein, in Englischen Geschichtsbüchern häufig vorkommender Irrthum,
die erste -Londoner Zeitung in jener Regierungsepoche der Königin Elisabeth
erschien, als die Spanische Armada die Existenz Englands bedrohte. Diese An¬
gabe ist falsch, wie sich ans dem alten Zeituugsschatze des British-Museum be¬
weisen läßt. Shakspeare's Freunde trauerten noch an seinem kaum geschlossenen
Grabe, Milton war Jahre alt, Oliver Cromwell debütirte uoch als Brauer
in Huntington, als das vierte Genie der Zeit, in Gestalt des Herrn Nathaniel
Butter, seine Weeckly News gründete. Das waren -I i>8 Jahre, nachdem Caxto"
das erste Buch in England druckte"), und 10 Jahre vor dem Erscheinen de>
ersten Französischen Zeitung: in, Kasette Ä" issrnnev unter Ludwig XIV.

Unser Nathaniel scheint durch sein Unternehmen kein reicher Mann geworden z"
sein; er wurde die Zielscheibe manches Witzes, und Ben Johnson persiflirte ihn n"d
seine ganze Zunft -- denu er hatte Nachahmer gefunden -- in einer Komödie-
8tapl<z ok it<;v8". Aber das Bedürfniß nach periodischen Blättern war
einmal im Volt erweckt, es mußte befriedigt werden. Zumal während des
Revolutionskrieges hatten die Neuigkeitsmänner lind Pamphletschreiber viel zu



') Es hieß! "ame ut ol.e"" (das Schachspiel) und war im Jahre 1t74 vollendet.

In England hat es zu allen Zeiten reiche Käuze gegeben, die es verstanden
haben, sich das Leben so augenehm als möglich zu machen. Lange bevor der
kluge Kopf geboren wurde, welcher die erste Londoner Zeitung gründete, besol¬
deten reiche Kavaliere in der Stadt und ans dem Lande eigene Agenten, die
ihnen von Zeit zu Zeit die wichtigsten und interessantesten Neuigkeiten vom Jn-
nnd Auslande brieflich mitzutheilen hatten. Die Korrespondenten waren somit
in der Schöpfungsgeschichte der Journalistik früher zur Welt gekommen, als die
Journalistik selbst. Die Nährmutter wurde von ihren Kindern geboren.

Solche Korrespondenten, oder, wie man sie damals nannte, Mohne«.
Nenigkeitshändlcr, mögen höchst interessante Figuren gewesen sein. Sie hielte»
später offene Läden, meist in Cornhill, im Garten 'der City, und da wurde»
Neuigkeiten verkauft, wie beim Nachbar Bäcker das Brod. , Die Leute kamen in
den Laden und verlangten Neues ans England, Spanien, Frankreich, Deutschland
für ein, zwei, drei Pence bis zu einem Shilling. Der Preis richtete sich nack»
der Entfernung des Kriegsschauplahes und nach der Wichtigkeit der Nachricht.
Wenn's in der Welt recht still und ruhig war, daun gab's, wenn man dem alte»
Hampdon glauben darf, ganz so wie bei uns, immer die alleranserlesensteu Ge-
schichten, dann wurde so künstlerisch gelogen, wie in dem renommirtesten Zeitnngs-
institute der Gegenwart.

Ein solcher Nenigkeitsmann war es, der gegen Ende der Regierung vo»
James l., im Jahre 1622, das erste Londoner Journal gründete. Der Naim'
des Unsterblichen ist Nathaniel Butter; der Titel seines Blattes: Weeckly Um-s-
Es ist ein, in Englischen Geschichtsbüchern häufig vorkommender Irrthum,
die erste -Londoner Zeitung in jener Regierungsepoche der Königin Elisabeth
erschien, als die Spanische Armada die Existenz Englands bedrohte. Diese An¬
gabe ist falsch, wie sich ans dem alten Zeituugsschatze des British-Museum be¬
weisen läßt. Shakspeare's Freunde trauerten noch an seinem kaum geschlossenen
Grabe, Milton war Jahre alt, Oliver Cromwell debütirte uoch als Brauer
in Huntington, als das vierte Genie der Zeit, in Gestalt des Herrn Nathaniel
Butter, seine Weeckly News gründete. Das waren -I i>8 Jahre, nachdem Caxto»
das erste Buch in England druckte"), und 10 Jahre vor dem Erscheinen de>
ersten Französischen Zeitung: in, Kasette Ä« issrnnev unter Ludwig XIV.

Unser Nathaniel scheint durch sein Unternehmen kein reicher Mann geworden z»
sein; er wurde die Zielscheibe manches Witzes, und Ben Johnson persiflirte ihn n»d
seine ganze Zunft — denu er hatte Nachahmer gefunden — in einer Komödie-
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einmal im Volt erweckt, es mußte befriedigt werden. Zumal während des
Revolutionskrieges hatten die Neuigkeitsmänner lind Pamphletschreiber viel zu



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[0290] In England hat es zu allen Zeiten reiche Käuze gegeben, die es verstanden haben, sich das Leben so augenehm als möglich zu machen. Lange bevor der kluge Kopf geboren wurde, welcher die erste Londoner Zeitung gründete, besol¬ deten reiche Kavaliere in der Stadt und ans dem Lande eigene Agenten, die ihnen von Zeit zu Zeit die wichtigsten und interessantesten Neuigkeiten vom Jn- nnd Auslande brieflich mitzutheilen hatten. Die Korrespondenten waren somit in der Schöpfungsgeschichte der Journalistik früher zur Welt gekommen, als die Journalistik selbst. Die Nährmutter wurde von ihren Kindern geboren. Solche Korrespondenten, oder, wie man sie damals nannte, Mohne«. Nenigkeitshändlcr, mögen höchst interessante Figuren gewesen sein. Sie hielte» später offene Läden, meist in Cornhill, im Garten 'der City, und da wurde» Neuigkeiten verkauft, wie beim Nachbar Bäcker das Brod. , Die Leute kamen in den Laden und verlangten Neues ans England, Spanien, Frankreich, Deutschland für ein, zwei, drei Pence bis zu einem Shilling. Der Preis richtete sich nack» der Entfernung des Kriegsschauplahes und nach der Wichtigkeit der Nachricht. Wenn's in der Welt recht still und ruhig war, daun gab's, wenn man dem alte» Hampdon glauben darf, ganz so wie bei uns, immer die alleranserlesensteu Ge- schichten, dann wurde so künstlerisch gelogen, wie in dem renommirtesten Zeitnngs- institute der Gegenwart. Ein solcher Nenigkeitsmann war es, der gegen Ende der Regierung vo» James l., im Jahre 1622, das erste Londoner Journal gründete. Der Naim' des Unsterblichen ist Nathaniel Butter; der Titel seines Blattes: Weeckly Um-s- Es ist ein, in Englischen Geschichtsbüchern häufig vorkommender Irrthum, die erste -Londoner Zeitung in jener Regierungsepoche der Königin Elisabeth erschien, als die Spanische Armada die Existenz Englands bedrohte. Diese An¬ gabe ist falsch, wie sich ans dem alten Zeituugsschatze des British-Museum be¬ weisen läßt. Shakspeare's Freunde trauerten noch an seinem kaum geschlossenen Grabe, Milton war Jahre alt, Oliver Cromwell debütirte uoch als Brauer in Huntington, als das vierte Genie der Zeit, in Gestalt des Herrn Nathaniel Butter, seine Weeckly News gründete. Das waren -I i>8 Jahre, nachdem Caxto» das erste Buch in England druckte"), und 10 Jahre vor dem Erscheinen de> ersten Französischen Zeitung: in, Kasette Ä« issrnnev unter Ludwig XIV. Unser Nathaniel scheint durch sein Unternehmen kein reicher Mann geworden z» sein; er wurde die Zielscheibe manches Witzes, und Ben Johnson persiflirte ihn n»d seine ganze Zunft — denu er hatte Nachahmer gefunden — in einer Komödie- 8tapl<z ok it<;v8". Aber das Bedürfniß nach periodischen Blättern war einmal im Volt erweckt, es mußte befriedigt werden. Zumal während des Revolutionskrieges hatten die Neuigkeitsmänner lind Pamphletschreiber viel zu ') Es hieß! «ame ut ol.e«« (das Schachspiel) und war im Jahre 1t74 vollendet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/290>, abgerufen am 02.07.2024.