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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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thun. Cromwell benutzte sie zu seinen Zwecken, und seine Gegner lernten 'ihm
bald das Kunststück ab. Die Post wurde dnrch Couriere, und wo diese nicht
sicher reisen konnten, dnrch Tauben und sonstige geheime Boten ersetzt.

Man würde aber gewaltig irren, wollte man glauben, die Pamphletschreiber
wären in ihrem Handwerke von der Regierung so wenig beengt gewesen wie
heilte. Vor der großen Revolution war jede Druckschrift einer doppelten Censur
unterworfen: der königlichen und der geistlichen. Die Idee kam von der Tiber
an die Themse. Die Könige waren eifersüchtig auf die selbstaugemaßte Gewalt
der Kirche (seit Papst Alexander VI.), und wollten in ihren Gerechtsamen hinter
den Prälaten nicht zurückstehen. Was Diese verschonten, zerstörte die königliche
Hand. Am Ende blieb auch wenig übrig. Es ist ja so schwer, den Himmel mit
der Erde zu vereinen, Gott und den Menschen, der Krone und dem Krummstab
zu gleicher Zeit gerecht zu werden! -- Als mit der Gründung der Anglikanischen
Kirche unter Heinrich VIII. das Reich der katholischen Prälaten in England zu
Ende war, bemächtigten sich die Anglikanischen Bischöfe mit gleich frommem Eifer
des Censoramtes, und verwalteten es wo möglich mit noch größerer Strenge, als
ihre Vorgänger. Denn im Fördern des Rückschritts hat es von jeher einen eben
so markirten Ehrgeiz gegeben, als im Streben für den Fortschritt, und gewisse
Principe giebt es, in denen alle Kirchen des Erdballs, und wären sie in ihren
Grundideen einander noch so, widersprechend, so ziemlich übereinstimmen. Der
große Wolsey, Staatsmann und Priester zu gleicher Zeit, mochte die.doppelte
Berechtigung in sich fühlen, der freien. Presse ans den Nacken zu treten. "Wir
Müssen sie vernichten, oder sie vernichtet uns", das war sein ehrlich ausgespro¬
chenes Glanbenbekenntniß. Und dennoch wollte weder Heinrich VIII., noch die
Geistlichkeit jener Zeit die Presse unbenutzt lassen. Sie sollte leben, aber
als Sclaviu ihrer Zwecke. Der Papst bearbeitete das Volk dnrch Schriften ohne
Zahl. Was war natürlicher, als daß man dem Papste mit gleichen Waffen entgegen¬
trat? Nur Eines wurde dabei vergessen, daß polemische Gedanken sich nicht wie
Soldaten ans einem vorgezeichneten Terrain verwenden lassen, daß sie sich nach
geschlagener Schlacht unaufhaltsam einen andern Kampfplatz aufsuchen, daß ein
Volk, welches einmal durch Schriften zum Selbsturtheil und Sclbstnachdenken
""geregt ist, die geistige Anregung nicht mehr entbehren kann, und daß es nie
an Köpfen fehlt, welche ihm 'dieselbe bieten, selbst mit Gefahr der Freiheit und
des Lebens.

Alle Schrecken der Sternkammer konnten den losgelassenen Dämon nicht
mehr bändigen. Elisabeth, die gelehrte, hochgebildete, hatte eine unbeschreibliche
Angst vor allen gedruckten Schriften, wofern sie nicht ihre jungfräuliche Schönheit
besangen, oder in den Zeiten des classischen Alterthums geschrieben waren. Sie
verordnete, daß außer in London, Oxford und Cambridge keine Druckerpresse exi-
stiren dürfe; sie schlenderte ein Strafgesetz nach dem andern gegen "die infamen,


thun. Cromwell benutzte sie zu seinen Zwecken, und seine Gegner lernten 'ihm
bald das Kunststück ab. Die Post wurde dnrch Couriere, und wo diese nicht
sicher reisen konnten, dnrch Tauben und sonstige geheime Boten ersetzt.

Man würde aber gewaltig irren, wollte man glauben, die Pamphletschreiber
wären in ihrem Handwerke von der Regierung so wenig beengt gewesen wie
heilte. Vor der großen Revolution war jede Druckschrift einer doppelten Censur
unterworfen: der königlichen und der geistlichen. Die Idee kam von der Tiber
an die Themse. Die Könige waren eifersüchtig auf die selbstaugemaßte Gewalt
der Kirche (seit Papst Alexander VI.), und wollten in ihren Gerechtsamen hinter
den Prälaten nicht zurückstehen. Was Diese verschonten, zerstörte die königliche
Hand. Am Ende blieb auch wenig übrig. Es ist ja so schwer, den Himmel mit
der Erde zu vereinen, Gott und den Menschen, der Krone und dem Krummstab
zu gleicher Zeit gerecht zu werden! — Als mit der Gründung der Anglikanischen
Kirche unter Heinrich VIII. das Reich der katholischen Prälaten in England zu
Ende war, bemächtigten sich die Anglikanischen Bischöfe mit gleich frommem Eifer
des Censoramtes, und verwalteten es wo möglich mit noch größerer Strenge, als
ihre Vorgänger. Denn im Fördern des Rückschritts hat es von jeher einen eben
so markirten Ehrgeiz gegeben, als im Streben für den Fortschritt, und gewisse
Principe giebt es, in denen alle Kirchen des Erdballs, und wären sie in ihren
Grundideen einander noch so, widersprechend, so ziemlich übereinstimmen. Der
große Wolsey, Staatsmann und Priester zu gleicher Zeit, mochte die.doppelte
Berechtigung in sich fühlen, der freien. Presse ans den Nacken zu treten. „Wir
Müssen sie vernichten, oder sie vernichtet uns", das war sein ehrlich ausgespro¬
chenes Glanbenbekenntniß. Und dennoch wollte weder Heinrich VIII., noch die
Geistlichkeit jener Zeit die Presse unbenutzt lassen. Sie sollte leben, aber
als Sclaviu ihrer Zwecke. Der Papst bearbeitete das Volk dnrch Schriften ohne
Zahl. Was war natürlicher, als daß man dem Papste mit gleichen Waffen entgegen¬
trat? Nur Eines wurde dabei vergessen, daß polemische Gedanken sich nicht wie
Soldaten ans einem vorgezeichneten Terrain verwenden lassen, daß sie sich nach
geschlagener Schlacht unaufhaltsam einen andern Kampfplatz aufsuchen, daß ein
Volk, welches einmal durch Schriften zum Selbsturtheil und Sclbstnachdenken
""geregt ist, die geistige Anregung nicht mehr entbehren kann, und daß es nie
an Köpfen fehlt, welche ihm 'dieselbe bieten, selbst mit Gefahr der Freiheit und
des Lebens.

Alle Schrecken der Sternkammer konnten den losgelassenen Dämon nicht
mehr bändigen. Elisabeth, die gelehrte, hochgebildete, hatte eine unbeschreibliche
Angst vor allen gedruckten Schriften, wofern sie nicht ihre jungfräuliche Schönheit
besangen, oder in den Zeiten des classischen Alterthums geschrieben waren. Sie
verordnete, daß außer in London, Oxford und Cambridge keine Druckerpresse exi-
stiren dürfe; sie schlenderte ein Strafgesetz nach dem andern gegen „die infamen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/291>, abgerufen am 04.07.2024.