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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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sehen, und sie läßt sich ausdrücken, freilich nicht von jenen Coulisseurcißeru, die
in der Regel in der Rolle des Egmont ihre hübsche Figur und die Kraft ihrer
Lunge zur Schau stellen, sondern von einem denkenden Künstler. -- Wahrend
man so ans der einen Seite den historisch-dramatischen Inhalt stärker hervorheben
sollte, müßten die sentimentalen Geschichten so viel wie möglich zurückgedrängt
werden. Aus der traurigen Figur des Brackenbnrg ist Nichts zu macheu, und
ohne erheblichen Nachtheil für das Stück könnte uns Vieles von seinem Gewinsel
erspart werden. Auch Elärchen sollte in der letzten Scene nicht zu sehr sterben;
ihr Entschluß ist ein ernster, und wenn, man von der Bedenklichkeit des gan¬
zen Verhältnisses absteht, ein großer; sie darf die Energie, mit der sie ihn
gefaßt hat, nicht durch weiches, geisterhaftes Wesen abschwächen, und so mochten
wir auch die sanfte Musik, die ihren Tod bezeichnen soll, gern entbehren. An
der Art und Weise, wie die Lampe erlischt, ist Nichts gelegen; wir wissen, daß sie
erlischt und erlöschen muß. Egmont hat freilich einen schwachen Augenblick, wo.
er das Letztere nicht weiß, wo er mit einer gewissen Gutmüthigkeit seine Maitresse
dem neugewonnenen Freunde vermacht; dieser abscheuliche Einfall sollte billiger
Weise ausgelassen werden. -- Ich bemerke zum Schluß, daß, wenn Elärchen
einmal als transparente Erscheinung der Freiheit auftreten soll, und namentlich mit
der weit ausgeführten Musik, wir nicht blos ein elegisches Genrebild, sondern
ein dramatisches Tableau sehen wollen, welches der Stimmung entspricht. Ihr
Kleid ist mit Blut bespritzt, und durch Flammen und Tod muß sie schreiten, ehe
sie dem Geliebten den Kranz des Ruhms überreicht. Wie das zu arrangiren ist,
kaun, ich freilich für deu Augenblick nicht sagen, aber entweder, oder. Um in
einer Dame im Salouklcid mit dem Kranz auf dem Kopf die Erscheinung
I. S. der Freiheit zu erkennen, müßte man sonst I.iborlns darüber schreiben.




W o es e n s eh an.
Pariser Botschaften.

" Die Politik nimmt Abschied von uns, sie geht
in die Bäder oder aufs Land, um den eleganten Pariserinnen, die uns schon längst
verlassen, mit ihren geistreichen Migrainen, ihren liebenswürdigen Vapeurs, ihren Anbetern,
aber ohne ihre Männer, Gesellschaft zu leisten, oder um die Rcvisionswünschc des
Landes von Angesicht zu Angesicht zu schauen, die schreibunkundigen Kreuze persönlich
kennen zu lernen. Selbst die leidige Centralisation hat Ferien genommen, und die Bc-
zirkSräthc, später die Gcneralräthc, werden ihre souveraine Stimme erheben. Es ist
das eine wahre Petitionsvendve, welche die Regierung gegen die Konstitution organisirt,
die berathenden Choucas sollen der eigensinnigen Legislativen Furcht einjagen, und das
Elysve hofft, die dreihundert Bezirks-, die sechsundachtzig Generalräthe werden der Ver¬
fassung ein Bein unterstellen, über das sie stolpern muß. Bei der gegenwärtigen Zu-


sehen, und sie läßt sich ausdrücken, freilich nicht von jenen Coulisseurcißeru, die
in der Regel in der Rolle des Egmont ihre hübsche Figur und die Kraft ihrer
Lunge zur Schau stellen, sondern von einem denkenden Künstler. — Wahrend
man so ans der einen Seite den historisch-dramatischen Inhalt stärker hervorheben
sollte, müßten die sentimentalen Geschichten so viel wie möglich zurückgedrängt
werden. Aus der traurigen Figur des Brackenbnrg ist Nichts zu macheu, und
ohne erheblichen Nachtheil für das Stück könnte uns Vieles von seinem Gewinsel
erspart werden. Auch Elärchen sollte in der letzten Scene nicht zu sehr sterben;
ihr Entschluß ist ein ernster, und wenn, man von der Bedenklichkeit des gan¬
zen Verhältnisses absteht, ein großer; sie darf die Energie, mit der sie ihn
gefaßt hat, nicht durch weiches, geisterhaftes Wesen abschwächen, und so mochten
wir auch die sanfte Musik, die ihren Tod bezeichnen soll, gern entbehren. An
der Art und Weise, wie die Lampe erlischt, ist Nichts gelegen; wir wissen, daß sie
erlischt und erlöschen muß. Egmont hat freilich einen schwachen Augenblick, wo.
er das Letztere nicht weiß, wo er mit einer gewissen Gutmüthigkeit seine Maitresse
dem neugewonnenen Freunde vermacht; dieser abscheuliche Einfall sollte billiger
Weise ausgelassen werden. — Ich bemerke zum Schluß, daß, wenn Elärchen
einmal als transparente Erscheinung der Freiheit auftreten soll, und namentlich mit
der weit ausgeführten Musik, wir nicht blos ein elegisches Genrebild, sondern
ein dramatisches Tableau sehen wollen, welches der Stimmung entspricht. Ihr
Kleid ist mit Blut bespritzt, und durch Flammen und Tod muß sie schreiten, ehe
sie dem Geliebten den Kranz des Ruhms überreicht. Wie das zu arrangiren ist,
kaun, ich freilich für deu Augenblick nicht sagen, aber entweder, oder. Um in
einer Dame im Salouklcid mit dem Kranz auf dem Kopf die Erscheinung
I. S. der Freiheit zu erkennen, müßte man sonst I.iborlns darüber schreiben.




W o es e n s eh an.
Pariser Botschaften.

" Die Politik nimmt Abschied von uns, sie geht
in die Bäder oder aufs Land, um den eleganten Pariserinnen, die uns schon längst
verlassen, mit ihren geistreichen Migrainen, ihren liebenswürdigen Vapeurs, ihren Anbetern,
aber ohne ihre Männer, Gesellschaft zu leisten, oder um die Rcvisionswünschc des
Landes von Angesicht zu Angesicht zu schauen, die schreibunkundigen Kreuze persönlich
kennen zu lernen. Selbst die leidige Centralisation hat Ferien genommen, und die Bc-
zirkSräthc, später die Gcneralräthc, werden ihre souveraine Stimme erheben. Es ist
das eine wahre Petitionsvendve, welche die Regierung gegen die Konstitution organisirt,
die berathenden Choucas sollen der eigensinnigen Legislativen Furcht einjagen, und das
Elysve hofft, die dreihundert Bezirks-, die sechsundachtzig Generalräthe werden der Ver¬
fassung ein Bein unterstellen, über das sie stolpern muß. Bei der gegenwärtigen Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/280>, abgerufen am 04.07.2024.