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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Regel eine rein lyrische oder epigrammatische Wendung genommen. Oranien,
als der aus der Geschichte bekannte kalte und reflectirte Staatsmann, und Eg¬
mont, der liebenswürdige Bonvivant, declamiren gegen einander im Charakter
ihrer Rolle, ohne ans einander einzuwirken. Mir scheint das Gegentheil in der
Absicht des Dichters gelegen zu haben. Oranien ist ein vornehmer Herr, der
allerdings dem Volk und dem Fremden gegenüber niemals seiue diplomatische Nmts-
miene bei Seite legt; aber hier hat er es mit einem Freunde zu thun, und wenn
er auch in der Gewohnheit seiner aphoristischen Redeweise bleibt, so soll er diesem
doch nicht mit der Superiorität eines überweisen Mentors entgegentreten, der dem
unerfahrenen Jüngling Charaden aufgiebt, sondern mit der Unruhe eines Freun¬
des, der zwar jetzt fest in seinem Entschluß steht, aber ihn doch erst nach schwe¬
re" Kämpfen gesaßt hat. Gleich bei seinem ersten Austreten muß er uns also
nicht durch Spanische Grandezza imponiren, sondern durch die Hast und unter¬
drückte Leidenschaftlichkeit seiner Vorstellungen uns die Wirklichkeit der Gefahr
versinnlichen. Die letzte Krisis der Thränen muß nicht überraschend kommen,
sondern durch seine frühere Haltung vorbereitet sein. Auf der andern Seite muß
Egmont durch diese Warnungen eines verehrten Mannes tiefer ergriffen werden,
als er sich den Anschein geben will, und sein Entschluß, sich denselben zu ent¬
ziehen, muß mit einer gewissen Gewalt gefaßt werden; wir müssen in ihm das
geheime anticipireude Bewußtsein der Schuld erblicken, die ihn in sein Verhäng-
niß treibt, denn er soll nicht mit bloßer Naivetät, sondern unter Mitwirkung
seines Willens fallen, man soll durchblicken, daß er mit den Gründen, die er
Oranien entgegenstellt, seine eigene aufkeimende Besorgniß bekämpft. -- Noch
schlimmer wird es mit der Scene zwischen Egmont und Ferdinand gemacht. In
der Regel giebt man die letztere Rolle einem jungen Naturburschen, dem Lieb¬
haber des Lustspiels, der auf diese hochpoetische Stelle das Gepräge des Lächer¬
lichen drückt. Mir ist das sogar bei Hofthcatern vorgekommen, wo man doch
eigentlich über einen solchen Mangel an Kräften erstaunen sollte. Außerdem läßt
Man in der Regel Egmont zu sehr in den Ton eines Pwceptors verfallen, wäh¬
rend doch gerade der Einfluß, den die Unterredung auf die Wendung seiner eigenen
Gedanken und Empfindungen hat, die Hauptsache ist. Zudem er einerseits von
der ernsten Nothwendigkeit seines Schicksals unterichtet wird, eine Betrachtung, zu
der er vorher nicht kam, da er seinen gehässigen Feinden gegenüber nur die stolze
Haltung des unrechtmäßig gekränkten Mannes bewahren mußte, und indem er
"Ulf der andern Seite den geistigen Einfluß erkennt, den sein Leben und sein Tod
">>f junge empfängliche Gemüther haben wird, geht jene sittliche Reinigung mit
ihm vor, die uns mit dem Ausgang versöhnt. In seine AnjMnng der Verhält¬
nisse, die bisher leichtsinnig und individuell gewesen war, tritt nun der Gedanke
der höhern historischen Bedeutung. Diese Umstimmung, die den Traum und
namentlich den letzten feurigen Monolog vorbereitet, wollen wir aber auch ausgedrückt


Regel eine rein lyrische oder epigrammatische Wendung genommen. Oranien,
als der aus der Geschichte bekannte kalte und reflectirte Staatsmann, und Eg¬
mont, der liebenswürdige Bonvivant, declamiren gegen einander im Charakter
ihrer Rolle, ohne ans einander einzuwirken. Mir scheint das Gegentheil in der
Absicht des Dichters gelegen zu haben. Oranien ist ein vornehmer Herr, der
allerdings dem Volk und dem Fremden gegenüber niemals seiue diplomatische Nmts-
miene bei Seite legt; aber hier hat er es mit einem Freunde zu thun, und wenn
er auch in der Gewohnheit seiner aphoristischen Redeweise bleibt, so soll er diesem
doch nicht mit der Superiorität eines überweisen Mentors entgegentreten, der dem
unerfahrenen Jüngling Charaden aufgiebt, sondern mit der Unruhe eines Freun¬
des, der zwar jetzt fest in seinem Entschluß steht, aber ihn doch erst nach schwe¬
re» Kämpfen gesaßt hat. Gleich bei seinem ersten Austreten muß er uns also
nicht durch Spanische Grandezza imponiren, sondern durch die Hast und unter¬
drückte Leidenschaftlichkeit seiner Vorstellungen uns die Wirklichkeit der Gefahr
versinnlichen. Die letzte Krisis der Thränen muß nicht überraschend kommen,
sondern durch seine frühere Haltung vorbereitet sein. Auf der andern Seite muß
Egmont durch diese Warnungen eines verehrten Mannes tiefer ergriffen werden,
als er sich den Anschein geben will, und sein Entschluß, sich denselben zu ent¬
ziehen, muß mit einer gewissen Gewalt gefaßt werden; wir müssen in ihm das
geheime anticipireude Bewußtsein der Schuld erblicken, die ihn in sein Verhäng-
niß treibt, denn er soll nicht mit bloßer Naivetät, sondern unter Mitwirkung
seines Willens fallen, man soll durchblicken, daß er mit den Gründen, die er
Oranien entgegenstellt, seine eigene aufkeimende Besorgniß bekämpft. — Noch
schlimmer wird es mit der Scene zwischen Egmont und Ferdinand gemacht. In
der Regel giebt man die letztere Rolle einem jungen Naturburschen, dem Lieb¬
haber des Lustspiels, der auf diese hochpoetische Stelle das Gepräge des Lächer¬
lichen drückt. Mir ist das sogar bei Hofthcatern vorgekommen, wo man doch
eigentlich über einen solchen Mangel an Kräften erstaunen sollte. Außerdem läßt
Man in der Regel Egmont zu sehr in den Ton eines Pwceptors verfallen, wäh¬
rend doch gerade der Einfluß, den die Unterredung auf die Wendung seiner eigenen
Gedanken und Empfindungen hat, die Hauptsache ist. Zudem er einerseits von
der ernsten Nothwendigkeit seines Schicksals unterichtet wird, eine Betrachtung, zu
der er vorher nicht kam, da er seinen gehässigen Feinden gegenüber nur die stolze
Haltung des unrechtmäßig gekränkten Mannes bewahren mußte, und indem er
«Ulf der andern Seite den geistigen Einfluß erkennt, den sein Leben und sein Tod
">>f junge empfängliche Gemüther haben wird, geht jene sittliche Reinigung mit
ihm vor, die uns mit dem Ausgang versöhnt. In seine AnjMnng der Verhält¬
nisse, die bisher leichtsinnig und individuell gewesen war, tritt nun der Gedanke
der höhern historischen Bedeutung. Diese Umstimmung, die den Traum und
namentlich den letzten feurigen Monolog vorbereitet, wollen wir aber auch ausgedrückt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/279>, abgerufen am 02.07.2024.