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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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in Erschlaffung liegt, holt es das Versäumte nach, und präsentirt der Welt eine
Revolution, die zwar keine heroischen, desto mehr aber originelle Züge auszuweisen
hat. Der Urheber der Staatsumwälzung ist einer der höchsten Würdenträger
des Reichs und der treueste Diener der Königin, das Opfer ein Minister, der
sich fast allein dauernd das Zutrauen der Herrscherin hat erhalten können, und
nun doch von seinem politischen Gesinnungsgenossen und ehemaligen Collegen mit
Hilfe der politischen Feinde desselben gestürzt wird, das Werkzeug die Armee, welche
berufen ist, den Thron gegen ungesetzmäßige Gewalt zu schützen. Der Ausbruch
der Bewegung erfolgt, ohne daß es Jemand geahnt hat, sie mißlingt, wo Jeder
ihren sichern Sieg prophezeiht, und gewinnt endlich die Oberhand, wo kein
Mensch mehr an ihren Erfolg glaubt, und ihr Urheber selbst, an seiner Sache
verzweifelnd, über die Greuze geflüchtet ist.

Durch Korruption der Cortes, Einschüchterung der Presse und Begünstigung
der Armee, auf die sich sein System in letzter Instanz stützte, hatte der Gras
Thomar (Costa Cabral) in deu zwei Jahren seiner Regierung einen Zustand her¬
gestellt, den man einen geordneten und ruhigen nannte, weil ein tyrannisches
Regiment die Symptome der innern Auflösung nicht fühlbar werden läßt, ohne
ihre Ursachen aufzuheben. Man nennt das heut zu Tage eine starke Regierung.
Auf welch schwachen Füßen sie jedoch in Wirklichkeit stand, sollte sich bald zeigen,
als von einem Manne die Fahne des Aufstandes erhoben wurde, von dessen
politischen Antecedentien ein solcher Schritt allerdings am Wenigsten zu erwarten
war. Der Marschall von Saldanha war 1846, als der Aufstand der Septembri-
sten die Königin mit dem Verlust der Krone bedrohte, die vornehmste Stütze
des Thrones, und als die Intervention des Auslandes dem Bürgerkrieg ein Ende
machte, wurde Saldanha zur Belohnung für seine ausgezeichneten Dienste gegen
dierevolutiouaire Junta von Oporto zum Premierminister ernannt, während Thomar,
der schon damals durch seiue Willkürherrschaft die Revolution veranlaßt, als
Gesandter nach Madrid ging. Nur in der Ausführung war Saldanha milder
und vorsichtiger als sein Vorgänger im Amte, ihre politischen Grundsätze waren
sich ziemlich gleich, und sie blieben auch uach der Krisis Freunde. Thomar wurde
von dem neuen Minister sogar oft zu Rathe gezogen, um parlamentarische Unter¬
stützung angegangen, sogar zum Eintritt in's Cabinet eingeladen. Saldanha
mußte aber im Juni 18^9 abtreten, denn obgleich ihn sein hoher Rang und
seine militairischen Verdienste oft an die Spitze der Negierung brachten, erlaubte
ihm doch sein Mangel an staatsmännisch ein Geschick nie, sich lange zu behaupten.
Sein Nachfolger war Graf Thomar, ein besonderer Liebling der Königin, weil er
sich nie durch Gewissensscrupel und allzuängstliche Ehrfurcht vor dem Buchstaben der
Verfassung abhalten läßt, den absolutesten Gelüsten des Hoses zu dienen. Sal¬
danha versprach dem neuen Cabinet seiue aufrichtige Unterstützung, nahm aber
bald einen feindseligen Ton gegen seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen an. Man


in Erschlaffung liegt, holt es das Versäumte nach, und präsentirt der Welt eine
Revolution, die zwar keine heroischen, desto mehr aber originelle Züge auszuweisen
hat. Der Urheber der Staatsumwälzung ist einer der höchsten Würdenträger
des Reichs und der treueste Diener der Königin, das Opfer ein Minister, der
sich fast allein dauernd das Zutrauen der Herrscherin hat erhalten können, und
nun doch von seinem politischen Gesinnungsgenossen und ehemaligen Collegen mit
Hilfe der politischen Feinde desselben gestürzt wird, das Werkzeug die Armee, welche
berufen ist, den Thron gegen ungesetzmäßige Gewalt zu schützen. Der Ausbruch
der Bewegung erfolgt, ohne daß es Jemand geahnt hat, sie mißlingt, wo Jeder
ihren sichern Sieg prophezeiht, und gewinnt endlich die Oberhand, wo kein
Mensch mehr an ihren Erfolg glaubt, und ihr Urheber selbst, an seiner Sache
verzweifelnd, über die Greuze geflüchtet ist.

Durch Korruption der Cortes, Einschüchterung der Presse und Begünstigung
der Armee, auf die sich sein System in letzter Instanz stützte, hatte der Gras
Thomar (Costa Cabral) in deu zwei Jahren seiner Regierung einen Zustand her¬
gestellt, den man einen geordneten und ruhigen nannte, weil ein tyrannisches
Regiment die Symptome der innern Auflösung nicht fühlbar werden läßt, ohne
ihre Ursachen aufzuheben. Man nennt das heut zu Tage eine starke Regierung.
Auf welch schwachen Füßen sie jedoch in Wirklichkeit stand, sollte sich bald zeigen,
als von einem Manne die Fahne des Aufstandes erhoben wurde, von dessen
politischen Antecedentien ein solcher Schritt allerdings am Wenigsten zu erwarten
war. Der Marschall von Saldanha war 1846, als der Aufstand der Septembri-
sten die Königin mit dem Verlust der Krone bedrohte, die vornehmste Stütze
des Thrones, und als die Intervention des Auslandes dem Bürgerkrieg ein Ende
machte, wurde Saldanha zur Belohnung für seine ausgezeichneten Dienste gegen
dierevolutiouaire Junta von Oporto zum Premierminister ernannt, während Thomar,
der schon damals durch seiue Willkürherrschaft die Revolution veranlaßt, als
Gesandter nach Madrid ging. Nur in der Ausführung war Saldanha milder
und vorsichtiger als sein Vorgänger im Amte, ihre politischen Grundsätze waren
sich ziemlich gleich, und sie blieben auch uach der Krisis Freunde. Thomar wurde
von dem neuen Minister sogar oft zu Rathe gezogen, um parlamentarische Unter¬
stützung angegangen, sogar zum Eintritt in's Cabinet eingeladen. Saldanha
mußte aber im Juni 18^9 abtreten, denn obgleich ihn sein hoher Rang und
seine militairischen Verdienste oft an die Spitze der Negierung brachten, erlaubte
ihm doch sein Mangel an staatsmännisch ein Geschick nie, sich lange zu behaupten.
Sein Nachfolger war Graf Thomar, ein besonderer Liebling der Königin, weil er
sich nie durch Gewissensscrupel und allzuängstliche Ehrfurcht vor dem Buchstaben der
Verfassung abhalten läßt, den absolutesten Gelüsten des Hoses zu dienen. Sal¬
danha versprach dem neuen Cabinet seiue aufrichtige Unterstützung, nahm aber
bald einen feindseligen Ton gegen seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen an. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/28>, abgerufen am 30.06.2024.