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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Camera zur Folie dienen, bilden ein anmuthiges Ganze und gewähren ein reizen¬
des Bild. Da begreift man die Freude am Tanze, es ist die Heiterkeit eines sinn¬
lichen Naturvolkes. Die Castagnetten, die Musik, Alles gehört dazu; nur wenn diese
lärmenden Kundgebungen nicht mehr genügen, wenn der Siunestaumel den
höchsten Gipfelpunkt erreicht hat, dann, dann brechen die Gefühle der Lust in
einen Frcudenchor ans, zu dem die Tanzenden, wie die Zuschauer, Jung und Alt,
ihre Stimme erheben. Es muß der ganze Mensch an der Freude des Herzens
betheiligt sein, und diese geht auch auf die bloßen Zuschauer über, die im Gesänge
eine Erinnerung der Vergangenheit feiern, oder eine Hoffnung der Zukunft ausspre-
chen. Was die Theater sonst berichten, verdient kaum eine Erwähnung, und von
Alfred de Musset'S neuem Stücke habe ich Ihnen bereits geschrieben. Wie voraus¬
zusagen war, hat sich die Speculation der Theilnahme, die der Proceß Bocarmv
hier erregte, bereits bemächtigt. Es erscheint jetzt eine illustrirte Ausgabe desselben,
zu drei Sous die Lieferung. Ich habe mir das Ding aus Neugierde angesehen.
Die Tendenz dieser Publication und vielleicht auch das Interesse, das dieser Pro¬
ceß fand, erklärt sich aus deu Illustrationen. Eine derselben stellt den Grafen
Bocarmv im Hemde vor, wie er das Stubenmädchen Justine um den Leib saßt,
und die Unterschrift lautet: "Der Graf Bocarm" prüft die Tugend Justinens".
Madame Bocarmö ist vorgestern hier angekommen; als sie auf dem Bahnhofe
anlangte, erwarteten sie schon Haufen von Neugierigen, und damit man sie uicht
erkenne, wollte die Gräfin die Etiquetten von ihren Koffern reißen lassen. Die
Beamten weigerten sich, und sie lief selber zu ihren Effecten, um diese Operation
zu vollbringen. Interessant dürste es sein, zu bemerken, das Balzac ein Bekannter
des Hauses Bocarmv gewesen, und auch eiues seiner Werke der Gräfin widmete.
Er spricht mit großer Achtung von ihr. Als er einst ans dem Schlosse von Bury
zu Besuche war, führte ihn der Graf zu einem Ochsenhändler in der Nachbarschaft.
Balzac brachte die Unterhaltung -- seiner Gewohnheit nach -- auf die Habsucht
Dessen, bei dem er sich eben befand, und entwickelte eine solche Kenntniß des
Ochsenhandels, daß ihm Jener einen Handel anbot. "Wofür halten Sie mich
denn?" fragte Balzac. "Ich halte Sie für das, was Sie find, für einen Ochsen-
Händler," erwiderte der Gefragte. Aehnliches widerfuhr dem Verfasser von "Eugenie
Grandes" und der "Komödie des Latour" sehr häufig.




Die Revolution in Portugal.

Im Jahre 18i8, wo das Revolntionsficber selbst die ruhigsten Philister
Deutschlands ansteckte, wurde das seit 40 Jahren fast nie zur Ruhe gekommene
Portugal seinem Charakter untreu und blieb unerschüttert. Jetzt, wo alle Welt


I*

Camera zur Folie dienen, bilden ein anmuthiges Ganze und gewähren ein reizen¬
des Bild. Da begreift man die Freude am Tanze, es ist die Heiterkeit eines sinn¬
lichen Naturvolkes. Die Castagnetten, die Musik, Alles gehört dazu; nur wenn diese
lärmenden Kundgebungen nicht mehr genügen, wenn der Siunestaumel den
höchsten Gipfelpunkt erreicht hat, dann, dann brechen die Gefühle der Lust in
einen Frcudenchor ans, zu dem die Tanzenden, wie die Zuschauer, Jung und Alt,
ihre Stimme erheben. Es muß der ganze Mensch an der Freude des Herzens
betheiligt sein, und diese geht auch auf die bloßen Zuschauer über, die im Gesänge
eine Erinnerung der Vergangenheit feiern, oder eine Hoffnung der Zukunft ausspre-
chen. Was die Theater sonst berichten, verdient kaum eine Erwähnung, und von
Alfred de Musset'S neuem Stücke habe ich Ihnen bereits geschrieben. Wie voraus¬
zusagen war, hat sich die Speculation der Theilnahme, die der Proceß Bocarmv
hier erregte, bereits bemächtigt. Es erscheint jetzt eine illustrirte Ausgabe desselben,
zu drei Sous die Lieferung. Ich habe mir das Ding aus Neugierde angesehen.
Die Tendenz dieser Publication und vielleicht auch das Interesse, das dieser Pro¬
ceß fand, erklärt sich aus deu Illustrationen. Eine derselben stellt den Grafen
Bocarmv im Hemde vor, wie er das Stubenmädchen Justine um den Leib saßt,
und die Unterschrift lautet: „Der Graf Bocarm« prüft die Tugend Justinens".
Madame Bocarmö ist vorgestern hier angekommen; als sie auf dem Bahnhofe
anlangte, erwarteten sie schon Haufen von Neugierigen, und damit man sie uicht
erkenne, wollte die Gräfin die Etiquetten von ihren Koffern reißen lassen. Die
Beamten weigerten sich, und sie lief selber zu ihren Effecten, um diese Operation
zu vollbringen. Interessant dürste es sein, zu bemerken, das Balzac ein Bekannter
des Hauses Bocarmv gewesen, und auch eiues seiner Werke der Gräfin widmete.
Er spricht mit großer Achtung von ihr. Als er einst ans dem Schlosse von Bury
zu Besuche war, führte ihn der Graf zu einem Ochsenhändler in der Nachbarschaft.
Balzac brachte die Unterhaltung — seiner Gewohnheit nach — auf die Habsucht
Dessen, bei dem er sich eben befand, und entwickelte eine solche Kenntniß des
Ochsenhandels, daß ihm Jener einen Handel anbot. „Wofür halten Sie mich
denn?" fragte Balzac. „Ich halte Sie für das, was Sie find, für einen Ochsen-
Händler," erwiderte der Gefragte. Aehnliches widerfuhr dem Verfasser von „Eugenie
Grandes" und der „Komödie des Latour" sehr häufig.




Die Revolution in Portugal.

Im Jahre 18i8, wo das Revolntionsficber selbst die ruhigsten Philister
Deutschlands ansteckte, wurde das seit 40 Jahren fast nie zur Ruhe gekommene
Portugal seinem Charakter untreu und blieb unerschüttert. Jetzt, wo alle Welt


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[0027] Camera zur Folie dienen, bilden ein anmuthiges Ganze und gewähren ein reizen¬ des Bild. Da begreift man die Freude am Tanze, es ist die Heiterkeit eines sinn¬ lichen Naturvolkes. Die Castagnetten, die Musik, Alles gehört dazu; nur wenn diese lärmenden Kundgebungen nicht mehr genügen, wenn der Siunestaumel den höchsten Gipfelpunkt erreicht hat, dann, dann brechen die Gefühle der Lust in einen Frcudenchor ans, zu dem die Tanzenden, wie die Zuschauer, Jung und Alt, ihre Stimme erheben. Es muß der ganze Mensch an der Freude des Herzens betheiligt sein, und diese geht auch auf die bloßen Zuschauer über, die im Gesänge eine Erinnerung der Vergangenheit feiern, oder eine Hoffnung der Zukunft ausspre- chen. Was die Theater sonst berichten, verdient kaum eine Erwähnung, und von Alfred de Musset'S neuem Stücke habe ich Ihnen bereits geschrieben. Wie voraus¬ zusagen war, hat sich die Speculation der Theilnahme, die der Proceß Bocarmv hier erregte, bereits bemächtigt. Es erscheint jetzt eine illustrirte Ausgabe desselben, zu drei Sous die Lieferung. Ich habe mir das Ding aus Neugierde angesehen. Die Tendenz dieser Publication und vielleicht auch das Interesse, das dieser Pro¬ ceß fand, erklärt sich aus deu Illustrationen. Eine derselben stellt den Grafen Bocarmv im Hemde vor, wie er das Stubenmädchen Justine um den Leib saßt, und die Unterschrift lautet: „Der Graf Bocarm« prüft die Tugend Justinens". Madame Bocarmö ist vorgestern hier angekommen; als sie auf dem Bahnhofe anlangte, erwarteten sie schon Haufen von Neugierigen, und damit man sie uicht erkenne, wollte die Gräfin die Etiquetten von ihren Koffern reißen lassen. Die Beamten weigerten sich, und sie lief selber zu ihren Effecten, um diese Operation zu vollbringen. Interessant dürste es sein, zu bemerken, das Balzac ein Bekannter des Hauses Bocarmv gewesen, und auch eiues seiner Werke der Gräfin widmete. Er spricht mit großer Achtung von ihr. Als er einst ans dem Schlosse von Bury zu Besuche war, führte ihn der Graf zu einem Ochsenhändler in der Nachbarschaft. Balzac brachte die Unterhaltung — seiner Gewohnheit nach — auf die Habsucht Dessen, bei dem er sich eben befand, und entwickelte eine solche Kenntniß des Ochsenhandels, daß ihm Jener einen Handel anbot. „Wofür halten Sie mich denn?" fragte Balzac. „Ich halte Sie für das, was Sie find, für einen Ochsen- Händler," erwiderte der Gefragte. Aehnliches widerfuhr dem Verfasser von „Eugenie Grandes" und der „Komödie des Latour" sehr häufig. Die Revolution in Portugal. Im Jahre 18i8, wo das Revolntionsficber selbst die ruhigsten Philister Deutschlands ansteckte, wurde das seit 40 Jahren fast nie zur Ruhe gekommene Portugal seinem Charakter untreu und blieb unerschüttert. Jetzt, wo alle Welt I*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/27>, abgerufen am 30.06.2024.