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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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durch auf das Folgende vorbereitet zu sein, es will auch einen Augenblick aus
der Passivität des bloßen Anschauens heraustreten, und einmal positiv thätig sein,
es will entweder seinen officiellen Beifall oder sein Mißfallen äußern, oder auch
nur mit dem Nachbar privatim deu eben gewonnenen Eindruck verarbeiten. Drei
Stunden lang in ununterbrochener passiver Aufmerksamkeit zu verharren, kann
man keinem Menschen zumuthen. Um so unangemessener aber wird diese Zu-
muthung, wenn man die Aufmerksamkeit aus zwei wesentlich von einander ver¬
schiedene Gebiete richten soll. Ich weiß zwar, daß es heut zu Tage zur Mode¬
sache geworden ist, wenigstens in gewissen Kreisen, die Vermischung der verschie¬
denen Künste als das höchste Kunstwerk anzusehen, aber wie falsch diese Vor¬
aussetzung ist, zeigt die erste beste Beobachtung. Beethoven's Ouvertüre zum
Egmont ist für sich betrachtet ein Kunstwerk im strengsten Styl, welches die un¬
bedingte Hingabe der Zuhörer verlangt. Mit dieser Hingabe kann man ihr aber
nicht entgegen kommen, wenn man sich ans psychologische, ethische und ähnliche
Interessen vorbereitet hat, wie sie zum Drama gehören. Wir werden allerdings
von der Einleitnngsmnsik, so wie von der Musik in den Zwischenacten verlangen,
daß sie den Eindruck des Drama's nicht durch unpassende Stimmungen stört,
aber wir werden mit demselben siecht von ihr verlangen, daß sie uns nicht zu
sehr in Anspruch nimmt; sie muß kurz sein und uns durch einfache, leicht ein¬
dringliche Accorde die nöthige Stimmung vermitteln. -- Diese äußerliche Be¬
merkung hat also zu gleicher Zeit auf das innere Wesen der Kunst Bezug.
Schiller hat in seiner Recension mit Recht das Melodramatische in der letzten
Erscheinung Clärchens getadelt, und Goethe nahm so viel Rücksicht auf seinen
Freund, daß er zu dessen Lebzeiten die Stelle bei der Aufführung ausließ; später
hat er sie wieder eingeschoben. Allein Schiller beschränkte sich mit seinem Tadel
auf diese einzelne Stelle, während das ganze Stück an dem nämlichen Mangel
leidet, an der Vermischung des Lyrischen und Dramatischen. -- Da wir indessen
in unsrer neuen dramatischen Poesie so arm sind, daß ohne eine beständige Wie¬
deraufnahme der alten classischen Stücke Publicum und Schauspieler gleichmäßig
verwildern müßten, so hat man doch die Verpflichtung, das Stück, in welchem
neben seinen Schwächen ein unendlicher Schatz von dramatischem Leben enthalten
ist, einmal von der Seite zu prüfen, ob nicht gerade ans dieses Dramatische ein
größeres Gewicht gelegt werden könnte. Bis jetzt hat man im Gegentheil alles
Mögliche gethan, das Dramatische bei Seite zu schieben, nud die ganz lyrisch
gehaltene Liebesgeschichte zwischen Clärchen und Egmont einseitig hervorzu¬
heben. So läßt man z. B. die Scenen der Herzogin fast überall aus, während
uns doch durch diese nicht nur die Lage der öffentlichen Angelegenheiten erst voll¬
ständig klar gemacht, sondern anch ein neuer Blick in Egmont's eigenthüm¬
liche Stellung geöffnet wird. So wird z. B. in der Aufführung zweier wichtiger
Scenen, der Unterredungen Egmont's mit Oranien und mit Ferdinand, in der


durch auf das Folgende vorbereitet zu sein, es will auch einen Augenblick aus
der Passivität des bloßen Anschauens heraustreten, und einmal positiv thätig sein,
es will entweder seinen officiellen Beifall oder sein Mißfallen äußern, oder auch
nur mit dem Nachbar privatim deu eben gewonnenen Eindruck verarbeiten. Drei
Stunden lang in ununterbrochener passiver Aufmerksamkeit zu verharren, kann
man keinem Menschen zumuthen. Um so unangemessener aber wird diese Zu-
muthung, wenn man die Aufmerksamkeit aus zwei wesentlich von einander ver¬
schiedene Gebiete richten soll. Ich weiß zwar, daß es heut zu Tage zur Mode¬
sache geworden ist, wenigstens in gewissen Kreisen, die Vermischung der verschie¬
denen Künste als das höchste Kunstwerk anzusehen, aber wie falsch diese Vor¬
aussetzung ist, zeigt die erste beste Beobachtung. Beethoven's Ouvertüre zum
Egmont ist für sich betrachtet ein Kunstwerk im strengsten Styl, welches die un¬
bedingte Hingabe der Zuhörer verlangt. Mit dieser Hingabe kann man ihr aber
nicht entgegen kommen, wenn man sich ans psychologische, ethische und ähnliche
Interessen vorbereitet hat, wie sie zum Drama gehören. Wir werden allerdings
von der Einleitnngsmnsik, so wie von der Musik in den Zwischenacten verlangen,
daß sie den Eindruck des Drama's nicht durch unpassende Stimmungen stört,
aber wir werden mit demselben siecht von ihr verlangen, daß sie uns nicht zu
sehr in Anspruch nimmt; sie muß kurz sein und uns durch einfache, leicht ein¬
dringliche Accorde die nöthige Stimmung vermitteln. — Diese äußerliche Be¬
merkung hat also zu gleicher Zeit auf das innere Wesen der Kunst Bezug.
Schiller hat in seiner Recension mit Recht das Melodramatische in der letzten
Erscheinung Clärchens getadelt, und Goethe nahm so viel Rücksicht auf seinen
Freund, daß er zu dessen Lebzeiten die Stelle bei der Aufführung ausließ; später
hat er sie wieder eingeschoben. Allein Schiller beschränkte sich mit seinem Tadel
auf diese einzelne Stelle, während das ganze Stück an dem nämlichen Mangel
leidet, an der Vermischung des Lyrischen und Dramatischen. — Da wir indessen
in unsrer neuen dramatischen Poesie so arm sind, daß ohne eine beständige Wie¬
deraufnahme der alten classischen Stücke Publicum und Schauspieler gleichmäßig
verwildern müßten, so hat man doch die Verpflichtung, das Stück, in welchem
neben seinen Schwächen ein unendlicher Schatz von dramatischem Leben enthalten
ist, einmal von der Seite zu prüfen, ob nicht gerade ans dieses Dramatische ein
größeres Gewicht gelegt werden könnte. Bis jetzt hat man im Gegentheil alles
Mögliche gethan, das Dramatische bei Seite zu schieben, nud die ganz lyrisch
gehaltene Liebesgeschichte zwischen Clärchen und Egmont einseitig hervorzu¬
heben. So läßt man z. B. die Scenen der Herzogin fast überall aus, während
uns doch durch diese nicht nur die Lage der öffentlichen Angelegenheiten erst voll¬
ständig klar gemacht, sondern anch ein neuer Blick in Egmont's eigenthüm¬
liche Stellung geöffnet wird. So wird z. B. in der Aufführung zweier wichtiger
Scenen, der Unterredungen Egmont's mit Oranien und mit Ferdinand, in der


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[0278] durch auf das Folgende vorbereitet zu sein, es will auch einen Augenblick aus der Passivität des bloßen Anschauens heraustreten, und einmal positiv thätig sein, es will entweder seinen officiellen Beifall oder sein Mißfallen äußern, oder auch nur mit dem Nachbar privatim deu eben gewonnenen Eindruck verarbeiten. Drei Stunden lang in ununterbrochener passiver Aufmerksamkeit zu verharren, kann man keinem Menschen zumuthen. Um so unangemessener aber wird diese Zu- muthung, wenn man die Aufmerksamkeit aus zwei wesentlich von einander ver¬ schiedene Gebiete richten soll. Ich weiß zwar, daß es heut zu Tage zur Mode¬ sache geworden ist, wenigstens in gewissen Kreisen, die Vermischung der verschie¬ denen Künste als das höchste Kunstwerk anzusehen, aber wie falsch diese Vor¬ aussetzung ist, zeigt die erste beste Beobachtung. Beethoven's Ouvertüre zum Egmont ist für sich betrachtet ein Kunstwerk im strengsten Styl, welches die un¬ bedingte Hingabe der Zuhörer verlangt. Mit dieser Hingabe kann man ihr aber nicht entgegen kommen, wenn man sich ans psychologische, ethische und ähnliche Interessen vorbereitet hat, wie sie zum Drama gehören. Wir werden allerdings von der Einleitnngsmnsik, so wie von der Musik in den Zwischenacten verlangen, daß sie den Eindruck des Drama's nicht durch unpassende Stimmungen stört, aber wir werden mit demselben siecht von ihr verlangen, daß sie uns nicht zu sehr in Anspruch nimmt; sie muß kurz sein und uns durch einfache, leicht ein¬ dringliche Accorde die nöthige Stimmung vermitteln. — Diese äußerliche Be¬ merkung hat also zu gleicher Zeit auf das innere Wesen der Kunst Bezug. Schiller hat in seiner Recension mit Recht das Melodramatische in der letzten Erscheinung Clärchens getadelt, und Goethe nahm so viel Rücksicht auf seinen Freund, daß er zu dessen Lebzeiten die Stelle bei der Aufführung ausließ; später hat er sie wieder eingeschoben. Allein Schiller beschränkte sich mit seinem Tadel auf diese einzelne Stelle, während das ganze Stück an dem nämlichen Mangel leidet, an der Vermischung des Lyrischen und Dramatischen. — Da wir indessen in unsrer neuen dramatischen Poesie so arm sind, daß ohne eine beständige Wie¬ deraufnahme der alten classischen Stücke Publicum und Schauspieler gleichmäßig verwildern müßten, so hat man doch die Verpflichtung, das Stück, in welchem neben seinen Schwächen ein unendlicher Schatz von dramatischem Leben enthalten ist, einmal von der Seite zu prüfen, ob nicht gerade ans dieses Dramatische ein größeres Gewicht gelegt werden könnte. Bis jetzt hat man im Gegentheil alles Mögliche gethan, das Dramatische bei Seite zu schieben, nud die ganz lyrisch gehaltene Liebesgeschichte zwischen Clärchen und Egmont einseitig hervorzu¬ heben. So läßt man z. B. die Scenen der Herzogin fast überall aus, während uns doch durch diese nicht nur die Lage der öffentlichen Angelegenheiten erst voll¬ ständig klar gemacht, sondern anch ein neuer Blick in Egmont's eigenthüm¬ liche Stellung geöffnet wird. So wird z. B. in der Aufführung zweier wichtiger Scenen, der Unterredungen Egmont's mit Oranien und mit Ferdinand, in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/278>, abgerufen am 30.06.2024.