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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Agathon, im Aristipp, im Peregrinus Proteus durchgemacht, wenn auch die
Darstellung Moore's, so wie seine Empfindung, ungleich poetischer ist, als Wie-
land's geschwätziger Nationalismus.

Ans die neuere Lyrik der Engländer hat Moore keinen bleibenden Einfluß
ausgeübt. Die bedeutendsten Dichter der neuern Zeit, Alfred Tennyson, Philipp
Bailey, Robert Browning, gehören der Schule Shelley's an, mit etwas Bei¬
mischung von Byron nud der elegischen "Schule der Seen." Die spiritualistische
und kosmopolitische Reflexion hat die Unbefangenheit des melodischen Gestaltens
I. S. wieder verdrängt.




Böhmische Zustände.

Mit der Einnahme der Festung Bihatsch war die zweijährige Böhmische Jn-
surrection gedämpft; alle Anzeichen aber sprechen dafür, daß der Herbst einen
neuen Aufstand mit sich bringen werde. Lassen wir indessen dies dahin gestellt
bleiben, und sehen wir, wie es seit Ende April in Bosnien geht. -- Ich glaube
es den Freunden Neschid-Pascha's gern, daß es diesem Staatsmann mit der
Reform Ernst sei; allein eine andere Frage ist es, ob die Reform mit den gei¬
stigen Kräften, welche dem Divan zu Gebote stehen, durchgeführt werden könne.
Und hierauf muß ich mit einem apodiktischen "Nein" antworte". Die reformi¬
stische Partei in der Türkei ist, obwol ihre Anhänger im Evangelium des Euro¬
päischen Liberalismus, im "LsprU nos lois" und im "e<mtM "oeial" bewanderter
sind, als im Koran, dennoch zu sehr Türkisch, das heißt vvrurtheilsvoll und
despotisch, als daß sie bei deu Slavische" Unterthanen der Pforte bedeutende
Erfolge erzielen könnte. So wurde zwar gleich nach der Beendigung des Feld-
zuges gegen die Rebellen der 'l'-insulae,, die famose Türkische Charte, mit Fest¬
setzung gleicher Rechte sür alle Türkischen Unterthanen ohne Rücksicht ans ihren
Glauben, publicirt, aber er bleibt, wie alle geschriebenen Constitutionen, auf dem
Papiere stehen, ja, er verschlimmert die Lage Derjenigen, denen er helfen will,
der Raja nämlich, welche dadurch ein Gegenstand des Neides und der Verfolgung
für die Türken wurde. Und in den Händen der Letztern liegt doch alle Macht
nud Gewalt im Lande. -- Wie soll man ihnen also eine solche evangelische
Selbstverläugnung zumuthe", wie sie der 'l'zur"im!.et von ihnen fordert? ES sind
nnn einmal Türken, Menschen, die sich als die einzigen Herren, und alle übrigen
Unterthanen des Padischah als ihre Knechte betrachten, wie es ja ausdrücklich
im Koran heißt. Mau kauu sich daher leicht vorstellen, daß sie ihrerseits sich
nicht beeilen werden, den sie mit den Dschauri gleichstellenden, also erniedrigenden


Agathon, im Aristipp, im Peregrinus Proteus durchgemacht, wenn auch die
Darstellung Moore's, so wie seine Empfindung, ungleich poetischer ist, als Wie-
land's geschwätziger Nationalismus.

Ans die neuere Lyrik der Engländer hat Moore keinen bleibenden Einfluß
ausgeübt. Die bedeutendsten Dichter der neuern Zeit, Alfred Tennyson, Philipp
Bailey, Robert Browning, gehören der Schule Shelley's an, mit etwas Bei¬
mischung von Byron nud der elegischen „Schule der Seen." Die spiritualistische
und kosmopolitische Reflexion hat die Unbefangenheit des melodischen Gestaltens
I. S. wieder verdrängt.




Böhmische Zustände.

Mit der Einnahme der Festung Bihatsch war die zweijährige Böhmische Jn-
surrection gedämpft; alle Anzeichen aber sprechen dafür, daß der Herbst einen
neuen Aufstand mit sich bringen werde. Lassen wir indessen dies dahin gestellt
bleiben, und sehen wir, wie es seit Ende April in Bosnien geht. — Ich glaube
es den Freunden Neschid-Pascha's gern, daß es diesem Staatsmann mit der
Reform Ernst sei; allein eine andere Frage ist es, ob die Reform mit den gei¬
stigen Kräften, welche dem Divan zu Gebote stehen, durchgeführt werden könne.
Und hierauf muß ich mit einem apodiktischen „Nein" antworte». Die reformi¬
stische Partei in der Türkei ist, obwol ihre Anhänger im Evangelium des Euro¬
päischen Liberalismus, im „LsprU nos lois" und im „e<mtM »oeial" bewanderter
sind, als im Koran, dennoch zu sehr Türkisch, das heißt vvrurtheilsvoll und
despotisch, als daß sie bei deu Slavische» Unterthanen der Pforte bedeutende
Erfolge erzielen könnte. So wurde zwar gleich nach der Beendigung des Feld-
zuges gegen die Rebellen der 'l'-insulae,, die famose Türkische Charte, mit Fest¬
setzung gleicher Rechte sür alle Türkischen Unterthanen ohne Rücksicht ans ihren
Glauben, publicirt, aber er bleibt, wie alle geschriebenen Constitutionen, auf dem
Papiere stehen, ja, er verschlimmert die Lage Derjenigen, denen er helfen will,
der Raja nämlich, welche dadurch ein Gegenstand des Neides und der Verfolgung
für die Türken wurde. Und in den Händen der Letztern liegt doch alle Macht
nud Gewalt im Lande. — Wie soll man ihnen also eine solche evangelische
Selbstverläugnung zumuthe», wie sie der 'l'zur»im!.et von ihnen fordert? ES sind
nnn einmal Türken, Menschen, die sich als die einzigen Herren, und alle übrigen
Unterthanen des Padischah als ihre Knechte betrachten, wie es ja ausdrücklich
im Koran heißt. Mau kauu sich daher leicht vorstellen, daß sie ihrerseits sich
nicht beeilen werden, den sie mit den Dschauri gleichstellenden, also erniedrigenden


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[0264] Agathon, im Aristipp, im Peregrinus Proteus durchgemacht, wenn auch die Darstellung Moore's, so wie seine Empfindung, ungleich poetischer ist, als Wie- land's geschwätziger Nationalismus. Ans die neuere Lyrik der Engländer hat Moore keinen bleibenden Einfluß ausgeübt. Die bedeutendsten Dichter der neuern Zeit, Alfred Tennyson, Philipp Bailey, Robert Browning, gehören der Schule Shelley's an, mit etwas Bei¬ mischung von Byron nud der elegischen „Schule der Seen." Die spiritualistische und kosmopolitische Reflexion hat die Unbefangenheit des melodischen Gestaltens I. S. wieder verdrängt. Böhmische Zustände. Mit der Einnahme der Festung Bihatsch war die zweijährige Böhmische Jn- surrection gedämpft; alle Anzeichen aber sprechen dafür, daß der Herbst einen neuen Aufstand mit sich bringen werde. Lassen wir indessen dies dahin gestellt bleiben, und sehen wir, wie es seit Ende April in Bosnien geht. — Ich glaube es den Freunden Neschid-Pascha's gern, daß es diesem Staatsmann mit der Reform Ernst sei; allein eine andere Frage ist es, ob die Reform mit den gei¬ stigen Kräften, welche dem Divan zu Gebote stehen, durchgeführt werden könne. Und hierauf muß ich mit einem apodiktischen „Nein" antworte». Die reformi¬ stische Partei in der Türkei ist, obwol ihre Anhänger im Evangelium des Euro¬ päischen Liberalismus, im „LsprU nos lois" und im „e<mtM »oeial" bewanderter sind, als im Koran, dennoch zu sehr Türkisch, das heißt vvrurtheilsvoll und despotisch, als daß sie bei deu Slavische» Unterthanen der Pforte bedeutende Erfolge erzielen könnte. So wurde zwar gleich nach der Beendigung des Feld- zuges gegen die Rebellen der 'l'-insulae,, die famose Türkische Charte, mit Fest¬ setzung gleicher Rechte sür alle Türkischen Unterthanen ohne Rücksicht ans ihren Glauben, publicirt, aber er bleibt, wie alle geschriebenen Constitutionen, auf dem Papiere stehen, ja, er verschlimmert die Lage Derjenigen, denen er helfen will, der Raja nämlich, welche dadurch ein Gegenstand des Neides und der Verfolgung für die Türken wurde. Und in den Händen der Letztern liegt doch alle Macht nud Gewalt im Lande. — Wie soll man ihnen also eine solche evangelische Selbstverläugnung zumuthe», wie sie der 'l'zur»im!.et von ihnen fordert? ES sind nnn einmal Türken, Menschen, die sich als die einzigen Herren, und alle übrigen Unterthanen des Padischah als ihre Knechte betrachten, wie es ja ausdrücklich im Koran heißt. Mau kauu sich daher leicht vorstellen, daß sie ihrerseits sich nicht beeilen werden, den sie mit den Dschauri gleichstellenden, also erniedrigenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/264>, abgerufen am 04.07.2024.