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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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tischer galt sie. DaS ist ein Fehler, in den z. B. auch unser trefflicher Uhland mehr¬
fach Verfallen ist. Eine ziemliche Reihe seiner Gedichte steht aus, wie die neumodischen
alterthümlichen Heiligenbilder ans Goldgrund, deren grotesk einfältige Formen
man nachher in der Glasmalerei wieder einführte. Die Engländer haben auch
darin immer ein gewisses Maß beobachtet. Sie gehen nie so vollständig in ihre
Romantik ans, daß sie ihre moderne Bildung darüber vergessen, sie verlieren ihren
Standpunkt nicht, und ihre Gemälde erhalten daher stets die richtige Perspec-
tive. Außerdem haben sie noch eine" andern Vorzug. Die classische Bildung
wird bei ihnen so ernst genommen, daß sie anch die Anwendung der Gothischen
Formen vermittelt. Indem Moore zu deu nationalen Weisen zurückkehrte,
hat er das Maß und die Grazie deö Alterthums ans sie anzuwenden gewußt.
Wenn mau dagegen heut zu Tage einen Blick ans die Lyrik unsrer romantischen
Schule wirft, so sollte man meinen, es sei von einer philologischen Bildung in
Deutschland gar nicht die Rede gewesen, und die Griechischen Götter, so wie die
Griechischen Rhythmen, hätten keinen andern Einfluß gehabt, als die wunderlich
verschrobenen Bilder der Indischen Mythologie und der Mystik aus den Zeiten
der Kreuzzüge.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen gehen wir auf das Einzelne über.

Thomas Moore ist -1780 zu Dublin geboren, und hat bereits im 14. Jahre
die Universität bezogen. Schon damals schrieb er seine ersten Gedichte, und er¬
hielt bald darauf eiuen Preis, die Reisen des jungen Anacharsis, propter lauäa-
Kitein in vczi'sidus coinpcmmM" pi'0Ki't;"5am. 1799 kam er zum ersten Mal
"ach London, und gleich darauf wurde seiue Uebersetzung des Anakreon heraus¬
gegeben, die den ersten Band seiner gesammelten Werke ausmacht. Die Sprache
derselben ist glatt, und die kurzen Englischen, halb trochäischen, halb jambischen
Verse passen nicht schlecht zu der leichten Tändelei des Griechischen Dichters.
Im Uebrigen enthalten sie nicht viel Bemerkenswerthes. Dasselbe ist der Fall
mit seinen Jngendgedichten, die in diesem und den nächsten Jahren geschrieben
wurden. Sie haben alle noch einen ziemlich schulmeisterlichen Anstrich, obgleich
beiläufig auch das auf mich eine" angenehmen Eindruck macht, daß in England
der junge Mensch sich bemüht, verständige Gedanken in Verse zu bringen, wäh¬
rend es bei uns zum guten Ton gehört, so unvernünftig und so unklar als
möglich zu empfinden und zu gestalten. Für unser raffinirtes Wesen hat es
freilich etwas entsetzlich Prosaisches, wenn ein Gedicht anfängt:

Ich muß aber dabei bemerken, daß diese Prosa doch nur die Ausnahme ist.
Meistens finden wir heitere, zierliche und witzige Liebeslieder, ungefähr in der


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tischer galt sie. DaS ist ein Fehler, in den z. B. auch unser trefflicher Uhland mehr¬
fach Verfallen ist. Eine ziemliche Reihe seiner Gedichte steht aus, wie die neumodischen
alterthümlichen Heiligenbilder ans Goldgrund, deren grotesk einfältige Formen
man nachher in der Glasmalerei wieder einführte. Die Engländer haben auch
darin immer ein gewisses Maß beobachtet. Sie gehen nie so vollständig in ihre
Romantik ans, daß sie ihre moderne Bildung darüber vergessen, sie verlieren ihren
Standpunkt nicht, und ihre Gemälde erhalten daher stets die richtige Perspec-
tive. Außerdem haben sie noch eine» andern Vorzug. Die classische Bildung
wird bei ihnen so ernst genommen, daß sie anch die Anwendung der Gothischen
Formen vermittelt. Indem Moore zu deu nationalen Weisen zurückkehrte,
hat er das Maß und die Grazie deö Alterthums ans sie anzuwenden gewußt.
Wenn mau dagegen heut zu Tage einen Blick ans die Lyrik unsrer romantischen
Schule wirft, so sollte man meinen, es sei von einer philologischen Bildung in
Deutschland gar nicht die Rede gewesen, und die Griechischen Götter, so wie die
Griechischen Rhythmen, hätten keinen andern Einfluß gehabt, als die wunderlich
verschrobenen Bilder der Indischen Mythologie und der Mystik aus den Zeiten
der Kreuzzüge.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen gehen wir auf das Einzelne über.

Thomas Moore ist -1780 zu Dublin geboren, und hat bereits im 14. Jahre
die Universität bezogen. Schon damals schrieb er seine ersten Gedichte, und er¬
hielt bald darauf eiuen Preis, die Reisen des jungen Anacharsis, propter lauäa-
Kitein in vczi'sidus coinpcmmM« pi'0Ki't;«5am. 1799 kam er zum ersten Mal
»ach London, und gleich darauf wurde seiue Uebersetzung des Anakreon heraus¬
gegeben, die den ersten Band seiner gesammelten Werke ausmacht. Die Sprache
derselben ist glatt, und die kurzen Englischen, halb trochäischen, halb jambischen
Verse passen nicht schlecht zu der leichten Tändelei des Griechischen Dichters.
Im Uebrigen enthalten sie nicht viel Bemerkenswerthes. Dasselbe ist der Fall
mit seinen Jngendgedichten, die in diesem und den nächsten Jahren geschrieben
wurden. Sie haben alle noch einen ziemlich schulmeisterlichen Anstrich, obgleich
beiläufig auch das auf mich eine» angenehmen Eindruck macht, daß in England
der junge Mensch sich bemüht, verständige Gedanken in Verse zu bringen, wäh¬
rend es bei uns zum guten Ton gehört, so unvernünftig und so unklar als
möglich zu empfinden und zu gestalten. Für unser raffinirtes Wesen hat es
freilich etwas entsetzlich Prosaisches, wenn ein Gedicht anfängt:

Ich muß aber dabei bemerken, daß diese Prosa doch nur die Ausnahme ist.
Meistens finden wir heitere, zierliche und witzige Liebeslieder, ungefähr in der


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[0251] tischer galt sie. DaS ist ein Fehler, in den z. B. auch unser trefflicher Uhland mehr¬ fach Verfallen ist. Eine ziemliche Reihe seiner Gedichte steht aus, wie die neumodischen alterthümlichen Heiligenbilder ans Goldgrund, deren grotesk einfältige Formen man nachher in der Glasmalerei wieder einführte. Die Engländer haben auch darin immer ein gewisses Maß beobachtet. Sie gehen nie so vollständig in ihre Romantik ans, daß sie ihre moderne Bildung darüber vergessen, sie verlieren ihren Standpunkt nicht, und ihre Gemälde erhalten daher stets die richtige Perspec- tive. Außerdem haben sie noch eine» andern Vorzug. Die classische Bildung wird bei ihnen so ernst genommen, daß sie anch die Anwendung der Gothischen Formen vermittelt. Indem Moore zu deu nationalen Weisen zurückkehrte, hat er das Maß und die Grazie deö Alterthums ans sie anzuwenden gewußt. Wenn mau dagegen heut zu Tage einen Blick ans die Lyrik unsrer romantischen Schule wirft, so sollte man meinen, es sei von einer philologischen Bildung in Deutschland gar nicht die Rede gewesen, und die Griechischen Götter, so wie die Griechischen Rhythmen, hätten keinen andern Einfluß gehabt, als die wunderlich verschrobenen Bilder der Indischen Mythologie und der Mystik aus den Zeiten der Kreuzzüge. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen gehen wir auf das Einzelne über. Thomas Moore ist -1780 zu Dublin geboren, und hat bereits im 14. Jahre die Universität bezogen. Schon damals schrieb er seine ersten Gedichte, und er¬ hielt bald darauf eiuen Preis, die Reisen des jungen Anacharsis, propter lauäa- Kitein in vczi'sidus coinpcmmM« pi'0Ki't;«5am. 1799 kam er zum ersten Mal »ach London, und gleich darauf wurde seiue Uebersetzung des Anakreon heraus¬ gegeben, die den ersten Band seiner gesammelten Werke ausmacht. Die Sprache derselben ist glatt, und die kurzen Englischen, halb trochäischen, halb jambischen Verse passen nicht schlecht zu der leichten Tändelei des Griechischen Dichters. Im Uebrigen enthalten sie nicht viel Bemerkenswerthes. Dasselbe ist der Fall mit seinen Jngendgedichten, die in diesem und den nächsten Jahren geschrieben wurden. Sie haben alle noch einen ziemlich schulmeisterlichen Anstrich, obgleich beiläufig auch das auf mich eine» angenehmen Eindruck macht, daß in England der junge Mensch sich bemüht, verständige Gedanken in Verse zu bringen, wäh¬ rend es bei uns zum guten Ton gehört, so unvernünftig und so unklar als möglich zu empfinden und zu gestalten. Für unser raffinirtes Wesen hat es freilich etwas entsetzlich Prosaisches, wenn ein Gedicht anfängt: Ich muß aber dabei bemerken, daß diese Prosa doch nur die Ausnahme ist. Meistens finden wir heitere, zierliche und witzige Liebeslieder, ungefähr in der 31 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/251>, abgerufen am 04.07.2024.